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Linsenwirkung der Sterne
Licht auf krummen Touren

Die allgemeine Relativitätstheorie ist eine Theorie der Schwerkraft. Und die Schwerkraft wirkt nicht nur auf Materie, sondern auch auf Licht. Große Massenansammlungen schicken Licht auf krumme Touren - als Folge sind manchmal mehrere Bilder desselben Objekts am Himmel zu sehen. Das allerdings hat sich selbst Albert Einstein nicht vorstellen können.

Von Dirk Lorenzen | 04.08.2015
    Illustration - Sterne aus Lichterketten und weitere Lichter hängen am 12.12.2012 in Berlin an den Potsdamer Platz Arkaden. (Wischeffekt durch Langzeitbelichtung.)
    Sterne wirken duch ihre Schwerkraft wie eine Linse, die Licht ablenkt (picture alliance / dpa / Jens Kalaene/dpa)
    Joachim Wambsganß ist Direktor des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg. Der Kosmologe beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Gravitationslinseneffekt, einem faszinierenden Phänomen der allgemeinen Relativitätstheorie:
    "Da geht es genau darum, dass Lichtstrahlen nicht kerzengerade durch den dreidimensionalen Raum gehen, sondern dass Lichtstrahlen die Anwesenheit von Materie spüren. Schwerkraft wirkt nicht nur auf Materie, sondern auch auf Licht."
    Dass ein massereiches Objekt Lichtstrahlen ablenkt, wurde 1919 erstmals gemessen - bei einer totalen Sonnenfinsternis. Doch selbst der große Albert Einstein bezweifelte, dieses Phänomen könne auch anderswo im Kosmos eine Rolle spielen. Joachim Wambsganß:
    "Einstein hat 1936 in 'Science' einen Artikel geschrieben, aber er war ihm fast ein bisschen peinlich. Er entschuldigt sich schon zu Beginn, ja, der tschechische Ingenieur Mandl hat mich angesprochen, ich soll diese Rechnung machen, und auf seinen Wunsch hin veröffentliche ich das hier. Und da sagt er, wenn ein weit entfernter Stern genau hinter einem naheliegenden Stern steht, dass es dann möglich sein sollte, dass ein Lichtstrahl sozusagen links herum und einer rechts herum um den Vordergrundstern geht, sodass wir zwei Bilder sehen können sollten. Aber er ist sehr skeptisch: Er schreibt dann dazu, dass er keine Hoffnung hat, dass wir dieses Phänomen jemals beobachten können."
    Erstaunlicherweise kam Albert Einstein nicht auf die Idee, dass auch weit größere Objekte als Sterne mit ihrer Schwerkraft, der Gravitation, Lichtstrahlen ablenken könnten. Dagegen hatte sein Kollege Fritz Zwicky sofort nach Erscheinen des Artikels betont, dass bei Galaxien dieses Phänomen viel auffälliger sein müsse. Dennoch brauchten die Astronomen viel Geduld, sagt Wambsganß:
    "Tatsächlich entdeckt wurde der erste Gravitationslinseneffekt mit zwei Bildern eines Hintergrundobjekts erst im Jahr 1979. Da haben Radioastronomen bei einer Himmelsdurchmusterung gesehen, dass da zwei Bilder eines weit entfernten Quasars sind. ... Die haben gesehen, dass die beiden Bilder, die ungefähr sieben Bogensekunden auseinanderstanden, sehr, sehr ähnlich sind in ihrer chemischen Zusammensetzung. Dann haben sie noch in der Veröffentlichung geschrieben: Ist dies irgendwie ein Zwillingsquasar, also zwei Objekte? Oder sehen wir zwei Bilder des gleichen Objekts? Später hat sich herausgestellt, dass dies der gleiche Quasar ist, den wir zweimal sehen: einmal links herum um die Linsengalaxie, einmal rechts herum."
    Quasare sind helle Galaxienkerne. Mittlerweile sind über hundert solcher Gravitationslinsen am Himmel bekannt. Dass die Schwerkraft ferner Galaxien mehrere Bilder weit dahinter liegender Objekte an den Himmel zaubert, ist für die Astronomen zum einen eine weitere Bestätigung der allgemeinen Relativitätstheorie. Wambsganß:
    "Zum anderen nützt der Gravitationslinseneffekt, um ganz schwache Galaxien studieren zu können, weil nämlich die Bilder heller erscheinen als vorher. Wir können also schwächere Objekte studieren. Wir können weiter entfernte Objekte sehen und wie Zwicky gesagt hat: Es ist, als ob der Spiegeldurchmesser unseres Teleskops dadurch größer wird. Die Natur hilft uns als natürliches Teleskop."
    Auch die Dunkle Materie verrät sich oft als Gravitationslinse: Denn sie leuchtet zwar nicht, krümmt mit ihrer Anziehungskraft aber die Lichtstrahlen sichtbarer Objekte. Und auch wenn Albert Einstein sich das nicht vorstellen konnte: Inzwischen sind Gravitationslinsen selbst von einzelnen Sternen zu beobachten. Der Hintergrundstern wird auf charakteristische Weise heller und wieder dunkler, wenn im Vordergrund ein Stern vorbeizieht und als Linse wirkt. Daher überwachen Joachim Wambsganß und sein Team die Helligkeit von fast 100 Millionen Sternen unserer Milchstraße. Sie lauern darauf, dass der Hintergrundstern nicht nur wie gewohnt heller und dunkler wird, sondern für ein paar Stunden regelrecht aufflammt:
    "Dies ist die Signatur eines Planeten um einen Stern. Und da haben wir vor zwei Jahren eine Arbeit veröffentlicht, wo wir herausgefunden haben, dass im Schnitt jeder Stern in der Milchstraße von mindestens einem Planeten umkreist. Und dies alles dank Einsteins Vorhersage von vor 100 Jahren!"