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Lion und Bertolt

Mit einer Doktorarbeit über Lion Feuchtwanger schloss der Schriftsteller Klaus Modick Ende der 70er-Jahre sein Literaturstudium beschlossen. In Modicks neuen Roman steht Feuchtwanger erneut im Mittelpunkt neben einem zweiten deutschen Dichter im US-Exil: Bertolt Brecht.

Von Annemarie Stoltenberg | 25.05.2011
    Lion Feuchtwanger war einer der wenigen Autoren, die es im Exil geschafft haben und Erfolg hatten. "Goya" ein historischer Roman über die spanische Inquisition, Gleichnis der Gegenwart, zum Nationalsozialismus, aber auch zur McCarthy Ära wurde in den USA hymnisch gefeiert und zu einem riesigen Verkaufserfolg. In Deutschland war Feuchtwanger in den 20er-Jahren ein Star der Kulturszene, vermögend und anerkannt. Nach dem Krieg verschwand Feuchtwanger für die westdeutschen Leser in der Nische der verbrannten und vergessenen Autoren. In der DDR wurde er dagegen hochgelobt und gefeiert. Nicht zuletzt durch die Doktorarbeit und die Veröffentlichungen von Klaus Modick Ende der 70er-Jahre ist er auch im Westen wiederentdeckt worden. Nun beschreibt Modick in einer Art Künstlernovelle die Freundschaft zwischen Brecht und Feuchtwanger:

    "Brecht war das Originalgenie, eine Art Naturereignis. So ist er ja auch Feuchtwanger entgegen getreten, als sie sich Ende 1918 kennengelernt haben. Da war Feuchtwanger schon arrivierter, zwar noch nicht als Romancier, aber als Bühnenautor. Brecht kam zu Feuchtwanger in der Hoffnung, dort protegiert zu werden, was Feuchtwanger dann auch sofort gemacht hat, weil er sofort das Genie von Brecht erkannt hat. Das hat mich natürlich gereizt, diese sehr unterschiedlichen Charaktere. Also einerseits von ihrem Temperament her, aber auch von ihren Arbeitsweisen her. Unterschiedlicher kann man eigentlich kaum funktionieren als Autoren - und wie sie dann doch funktioniert haben. Sie haben dann ja mehrere Stücke zusammen geschrieben und auch an Filmskripts zusammengearbeitet und das ist schon erstaunlich. Wenn man sagt, dass sich Gegensätze anziehen und dass Widersprüche produktiv sind, dann kann man das an diesen beiden wunderbar studieren."

    Klaus Modick entführt uns mit beeindruckender Mühelosigkeit in das Amerika der 50er-Jahre und die Gedankenwelt des einsamen, alternden Schriftstellers:

    "Was ich sehr interessant fand, war die Frage - wie jemand, der zu Lebzeiten ein absoluter Bestsellerautor war und immer sehr umschwärmt und hofiert wurde - wie ergeht es dem eigentlich zum Schluss seines Lebens? Wenn er feststellt, dass er da, wo er ist, im Exil, der Letzte ist? Um ihn herum wird es einsam und die Krankheit kriecht in ihm hoch. Das ist ja auch ein Roman sehr wesentlich über das Altwerden und über die Frage, was Altwerden und Altsein für Schriftsteller bedeutet."

    Beschrieben wird ein Tag, an dem wir Feuchtwanger begleiten, zweifelnd, erinnernd voller Trauer:

    "Das ist ja der Tag, an dem Feuchtwanger das Telegramm erhält, dass sein Freund und langjähriger Partner Brecht gestorben sei. Das erschüttert ihn natürlich. Brecht war ja viel jünger. Er war 16 Jahre jünger als er. Das ist dann der Anlass, dass Feuchtwanger zu reflektieren anfängt: anhand der Stationen dieser Freundschaft, die diese beiden sehr ungleichen Autoren lebenslang miteinander verbunden hat. Dann sich über sein eigenes Leben auch Rechenschaft angibt. Das ist gewissermaßen die Erzählstruktur meines Buches."

    Muss man einen Autor lieben, um sich auf diese Weise mit ihm zu beschäftigen?

    "30 Jahre vorher hatte ich über Feuchtwanger meine Promotion abgeliefert und war natürlich sehr beschlagen, was diesen Autor angeht, aber diese Beschlagenheit war eine akademische und relativ abstrakte - wie das bei Doktorarbeiten so zu sein pflegt - und nun war ich aber plötzlich in diesem Haus, dass zwar ein bisschen etwas Museales hat, aber durchaus immer noch so ist, wie der Mann da mit seiner Frau gewohnt hat. Das bekam in diesem Haus plötzlich so eine Sinnlichkeit und Lebendigkeit. Ich war sozusagen in seinem Gehäuse. Ich hab sogar in seinem Schlafzimmer gewohnt und in seinem Bett geschlafen. Es war fast so, als würde der Geist des Alten da herumspuken und mir auf die Schulter klopfen und sagen: Klaus, du bist eigentlich derjenige welcher, denn Du kennst mich ja schon von früher sehr gut! "

    Jeder Text birgt autobiografische Aspekte. Klaus Modick vermischt in seinem neuen Roman dokumentarische Teile, sein immenses Wissen über die Epoche und über Feuchtwanger und die eigene Befindlichkeit zu einem dichten schönen Roman. Verziehen seien ihm kleine Schönheitsfehler, wie der, dass es an einer Stelle heißt, dass "die Kugeln sehr locker in den Läufen" saßen. Ein Colt kann locker im Halfter stecken, aber keine Kugel im Lauf. Aber das sind literaturkritische Petitessen, ein Lektor hätte sie im Text bereinigen können.

    In einer Passage von Modicks Roman zerstreiten sich Brecht und Feuchtwanger, weil Brecht sich in einer Figur im Text des Freundes wiedererkennt und als miese Karikatur beschrieben findet. Rufmord nennt er das, er fühlt sich zum Gespött der Literaturszene gemacht. Der Streit löst sich in humorvoller Distanz zur eigenen Kleinmütigkeit auf. Wie kommt der Dichter Klaus Modick in seiner Geschichte vor?

    "In der Art und Weise, wie ich mich jetzt auf Feuchtwanger eingelassen habe, habe ich mich ja als inzwischen selbst gestandener und arrivierter Autor und auch langsam, aber sicher alternder Schriftsteller auseinandergesetzt und habe dabei festgestellt, dass ich jetzt vieles in dessen Werk und Leben viel besser verstehe - oder überhaupt erst verstehe oder mich auch anspricht, was mich vor dreißig Jahren eigentlich überhaupt nicht interessiert hat oder nur ganz am Rande."

    Modick treibt keine Liebe zu Lion Feuchtwanger an, ihn zum Helden eines Romans zu machen, aber durchaus Sympathie und Achtung:

    "Ohne Feuchtwangers Hilfe wären im Exil viele, nicht nur berühmte, sondern auch unbekannte Menschen verhungert oder nicht weiter gekommen. Also, er hat wirklich sehr viel Gutes getan, und das nimmt mich natürlich sehr für ihn ein. Und das hat er gemacht, ohne das an die große Glocke zu hängen."

    Der Roman endet mit Feuchtwangers Todesahnungen. Was bleibt vom Erfolg? Kein Erfolg schmeckt so süß, dass er die "Bitterkeit von Niederlagen vergessen macht". Der Sinn des Lebens? "Streben nach Glück". Am Ende vielleicht nur dies: "Leben. Da sein". Modick lässt Feuchtwanger den Nebel am Meer betrachten und denken: So müsste man schreiben können, "still, kühl absichtslos":

    "Dieses Gefühl, zurücktreten zu können und wirklich nur noch das zu schreiben, was sich einem unmittelbar aufdrängt. Das wünsche ich mir häufig auch."

    Klaus Modick: "Sunset". Roman. 192 Seiten. Eichborn Verlag. 18,95 Euro