Freitag, 19. April 2024

Archiv

Liquid Biopsy
Post vom Tumor

Ein Blut-Test könnte in Zukunft ausreichen, um Krebs zu diagnostizieren und gleichzeitig die beste Therapie zu finden. Beim Konzept der "Liquid Biopsy" suchen Onkologen nach Nachrichten des Tumors im Blut der Patienten. Die "Flüssig-Biopsie" könnte zu einem einfachen und regelmäßigen Krebs-Test für jeden führen – wären da nicht ethische Bedenken.

Von Arndt Reuning | 11.05.2016
    Alexander Baraniskin, Mitarbeiter des Universitätsklinikums Knappschaftskrankenhaus Bochum, erklärt die Funktionsweise eines Durchflusszytometers für die "Liquid Biopsy", einem neuen Diagnostikverfahren für Krebserkrankungen
    Die Liquid Biopsy wird als neues Diagnoseverfahren am Knappschaftskrankenhaus Bochum eingesetzt (picture alliance / dpa / Monika Skolimowska)
    Evi Lianidou fahndet nach verräterischen Spuren, die ein Krebsgeschwür im Blut eines Patienten hinterlässt. Die Professorin an der Universität von Athen sucht nach einzelnen Tumorzellen. "Liquid Biopsy" nennt sich das.
    "Das ist ein brandaktuelles Thema in der Krebsforschung. Denn wir können nun anhand von Blutproben den Tumor wie in einem Film verfolgen. Mit der klassischen Biopsie haben wir immer nur Momentaufnahmen erhascht. Aber ein Tumor verändert sich allmählich. Wir können nun nach der Operation verfolgen, welche Zellen weiterhin im Blut zirkulieren. Und die kann man dann gezielt bekämpfen. Mit diesem Test befinden wir uns an vorderster Front in der Krebsforschung."
    Nicht nur ganze Zellen lassen sich so nachweisen, sondern auch einzelne Bruchstücke des Erbgutmoleküls DNA. Die entlässt der üblicherweise gut durchblutete Tumor über die Venen, also über die Adern, die zum Herzen hin führen, sagt Michael Neumaier von der Universitätsmedizin Mannheim:
    "Die Vene ist quasi der Auspuff des Tumors. Alles, was den Tumor verlässt, verlässt ihn durch die Venen. Und die Venen sind die Gefäße, in denen wir das Blut abnehmen, zum Beispiel im Arm."
    Bisher hatten Onkologen bei Blutuntersuchungen vor allem Eiweißverbindungen im Blick, welche auf die Anwesenheit von Krebsgewebe hindeuten, sogenannte Tumormarker. Doch die "flüssige Biopsie" gehe darüber hinaus, sagt Neumaier:
    "Diese DNA des Tumors trägt wichtige Informationen bezüglich der Biologie des Tumors. Nicht nur die Tatsache, dass der Tumor das ist, sondern er trägt biologische Informationen, die wichtig sind, um die richtige Therapie zu wählen."
    Im klinischen Alltag stehen solche Untersuchungen noch am Anfang. Nur an ausgewählten Zentren werden sie bereits angeboten. So zum Beispiel an der Medizinischen Universitätsklinik am Knappschaftskrankenhaus in Bochum. Dort hilft ein Test auf Tumor-DNA im Blut bei der Behandlung von Patienten mit Darmkrebs im fortgeschrittenen Stadium. Im Fokus der Untersuchung stehen dabei die sogenannten RAS-Gene der Krebspatienten. Im gesunden Körper liefern sie den Bauplan für ein Protein, das als Schalter das Zellwachstum reguliert. In Krebszellen funktioniert dieser Mechanismus nicht mehr wie gewohnt, erklärt Wolff Schmiegel aus Bochum:
    "Auf verschiedenen Abschnitten dieser Gene sind Veränderungen, die wir Mutationen nennen, die dazu führen, dass diese Proteine, die von diesen gestörten Genen hergestellt werden, permanent auf 'AN' geschaltet sind, aktiv sind und das Tumorwachstum fördern."
    Der Zustand des RAS-Gens ist entscheidend für die Behandlung der Krebserkrankung, weil bestimmte Therapien mit Antikörpern im ungünstigsten Fall gar nicht erst greifen. Solch eine Behandlung kann dem Patienten dann erspart bleiben.
    "Wir können, wenn wir die Mutation finden, auch etwas über die Prognose sagen, weil unterschiedliche Mutationen mit unterschiedlichen Problemen behaftet sind. Es gibt Mutationen, die eine bessere und es gibt Mutationen, die leider eine schlechtere Prognose für das weitere Leben des Patienten aussagen", sagt Schmiegel.
    Der Nachweis von Tumor-DNA im Blut lässt auch eine andere Hoffnung wieder aufkeimen, nämlich mit einem einfachen Test Patienten regelmäßig auf eine Vielzahl von Krebsarten hin zu untersuchen. Doch solch ein Massenscreening lehnt Michael Neumaier zu Zeit noch ab:
    "Und das hat etwas damit zu tun, dass Tumoren in der generellen, gesunden Bevölkerung eben vergleichsweise trotz alledem selten vorkommen. Und wenn sie sehen, dass diese Tests alle nicht hundertprozent effektiv und spezifisch sind, gibt es immer eine kleine Rate an Fehlern. Wenn Sie das in einer großen Population machen, dann wird dieser Fehler sehr groß."
    Das heißt, eine große Zahl von Menschen würde mit einer Krebsdiagnose konfrontiert, obwohl ihr Körper gar keinen Tumor beherbergt. Und das möchte kein Arzt seinen Patienten zumuten.