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Lisa Herzog
„Die Rettung der Arbeit“

Die Digitalisierung verändert unseren Alltag und unsere Arbeit. Ob man auf die negative oder die positive Seite schaut: Wir gehen davon aus, dass die Digitalisierung unvermeidbar voranschreitet. Lisa Herzog will Digitalisierung nicht als Schicksal, sondern als Aufgabe begreifen.

Von Christoph Fleischmann | 25.02.2019
Kopf einer Frau mit digitalen Daten
Die Philosophin Lisa Herzog plädiert dafür, Digitalisierung politisch zu steuern (imago / Nanette Hoogslag)
Wo von Rettung die Rede ist, muss Gefahr bestehen. Eine Gefahr der Digitalisierung sieht Lisa Herzog in der Macht der großen Konzerne Facebook, Google, Amazon und Co.:
"In der digitalen Sphäre gibt es sehr viele Märkte, die nach dem winner-takes-all-Prinzip funktionieren. Also wer am Anfang einen kleinen Vorsprung hat, hat am Ende den ganzen Markt für sich erobert. In Netzwerk-geprägten Märkten haben größere Spieler Vorteile: Niemand will zu einem Facebook, das nur zehn Prozent der Bevölkerung abdeckt, jeder will dahin, wo alle sind."
So Lisa Herzog in einem Vortrag beim Weltethos-Institut in Tübingen im Jahr 2017. Sie machte darauf aufmerksam, dass die Internet-Giganten nicht mehr mit herkömmlichen Mitteln politisch zu regulieren seien.
"Hier stellen sich sehr grundsätzliche Fragen, ob wir diese Phänomene eigentlich mit dieser Brille ‚Wir müssen die Märkte gestalten', so dass funktionaler Wettbewerb herrscht, ob uns das hier weiterhilft. Wir sind jetzt schon an einem Punkt, denke ich, wo sich die politische Macht großer Firmen in unterschiedlichen Bereichen in der digitalen Welt – auch nur am Rande bemerkt in der Finanzwelt – zeigt, insofern als der politische Einfluss oft große Fragen aufwirft."
Digitalisierung politisch steuern
Nach dem Motto "Fordert das Unmögliche" plädiert Lisa Herzog in ihrem neuen Buch nun, genau das eben doch zu tun: die Digitalisierung politisch zu steuern und sie keineswegs als Naturereignis über die Arbeitswelt hereinbrechen zu lassen.
"Mit 'Rettung der Arbeit' ist gemeint, diese öffentliche Arbeitswelt – und konkret die rechtlichen und sozialen Spielregeln, nach denen sie funktioniert – so zu gestalten, dass sie unseren Vorstellungen von der Würde und den Rechten der Einzelnen und vom Wohl der Gesellschaft als ganzer entspricht, anstatt hinzunehmen, dass sie von den Kräften, die derzeit die digitale Transformation vorantreiben, auf eine Art und Weise geformt wird, die unseren Vorstellungen von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie zuwiderläuft."
Mit Hilfe von intelligenter Datenanalyse könnten Arbeitnehmer zum Beispiel auf Abruf eingesetzt werden – zum Wohl der Firma, aber um den Preis, dass die Angestellten ihr Leben kaum mehr souverän planen könnten. Digitalisierung bringe für viele Arbeitnehmer mehr Arbeitsdruck und erhöhte Kontrolle.
Man dürfe, so Lisa Herzog, dieses Feld also nicht der unsichtbaren Hand eines unregulierten Marktes und damit den großen Playern überlassen, sondern müsse auf die sichtbaren Hände setzen, die bei der digitalen Transformation am Werk seien. Und diese sichtbaren Hände säßen einerseits in den Parlamenten, aber auch in den Unternehmen selber. Die Digitalisierung böte nach Lisa Herzog auch die Chance die Unternehmen zu demokratisieren:
"Hier könnte die Digitalisierung riesige Chancen bieten, einfach weil die Kosten für verschiedene partizipative Entscheidungsmechanismen sinken."
Das traditionelle Argument für die hierarchische Struktur von Unternehmen waren die hohen Transaktionskosten, die anfallen, wenn alles mit allen ausdiskutiert werden muss. Durch Software-Lösungen könne man Angestellten nun nicht nur Flexibilisierung abverlangen, sondern sie auch viel leichter an Entscheidungen beteiligen.
Ruf nach alternativen Eigentumsstrukturen
Lisa Herzog zeigt zu Recht auf, dass diese Demokratisierung der Unternehmen allerdings zwei sehr gravierende Änderungen voraussetzt: Einmal müssten die Angestellten als Menschen wahrgenommen werden, die nicht nur auf ökonomische Anreize reagierten, sondern mit ihrer Arbeit Bedürfnisse nach sinnvollem und gemeinschaftsbezogenem Handeln auslebten. Und noch schwieriger: Die Eigentumsstrukturen müssten hinterfragt und geändert werden:
"Die Anteilseignerinnen [einer Aktiengesellschaft] werden oft wie Eigentümerinnen im Sinne des Privateigentums behandelt, die die volle Kontrolle über ihr Eigentum hätten – dabei bringen sie nur einen bestimmten Teil ihres Vermögens in die Firma ein, der klar von ihrem Privatvermögen getrennt ist. Trotzdem werden ihnen zahlreiche Rechte auf Kosten anderer Beteiligter gewährt, zum Beispiel auf Kosten der Arbeitnehmer – obwohl diese ja ebenfalls etwas in das Unternehmen einbringen, nämlich ihr ‚Humankapital‘, um dieses scheußliche Wort einmal zu verwenden. Aber bei den Arbeitnehmerinnen wird darauf verwiesen, dass hier nur ein Vertragsverhältnis vorläge: Arbeit gegen Lohn."
Lisa Herzog deutet in dem vorliegenden Buch nur an, wie die juristischen Strukturen des Kapitalismus für eine echte Demokratisierung der Wirtschaft reformiert werden müssten. Man hätte sich etwas ausführlicher die Diskussion alternativer Eigentumsstrukturen wie Genossenschaften oder Kollektive gewünscht. Lisa Herzog ruft nicht "Enteignet Facebook" und Co., aber sie verweist auf "radikale Kritiker", die diese Unternehmen lieber in öffentlicher Hand sähen.
"Tatsächlich gab es historisch Phasen, wo die Angst vor den Mistgabeln der Massen dazu geführt hat, dass die soziale Schere nicht so weit aufging und dass es gewisse Zugeständnisse – das wurde als Zugeständnisse beschrieben – gab. Ich denke, die Machtfrage muss viel akuter gestellt werden."
So Lisa Herzog bei einer Veranstaltung der Heinrich-Böll-Stiftung im letzten Herbst, "Die Eliten sind angstfrei, die denken, sie können sich alles erlauben, sie sind abgesichert. Wir müssen wieder über die Eigentumssicherung, die der Staat diesen Eliten gewährt, nachdenken; vielleicht wäre das die entscheidende Stellschraube, um diese Angst zu erzeugen."
Sehr grundsätzliche Überlegungen zum Wandel der Arbeitswelt, die den Problemen an die Wurzel gehen – von einer wortgewandten Autorin, von der man in den nächsten Jahren sicher noch mehr hören wird.
Lisa Herzog: "Die Rettung der Arbeit. Ein politischer Aufruf"
Hanser Berlin, 222 Seiten, 22,00 Euro.