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Lisa Taddeo: "Animal"
Ein bravouröses Beispiel für missverstandene Emanzipation

Mit "Three Women", den sexuellen Bekenntnissen dreier Frauen, erhitzte Lisa Taddeo in den USA die Gemüter. Mit ihrem Romandebüt „Animal“ will sie daran anknüpfen. Ein literarischer Beitrag zur Geschlechterdebatte aber sieht anders aus.

Von Insa Wilke | 01.10.2021
Die Schriftstellerin Lisa Taddeo und ihr Roman "Animal"
Bei Lisa Taddeo sind die Männer schuldig und die Frauen bleiben Opfer (Foto: Diane von Schoen, Buchcover: Piper Verlag)
Als Lisa Taddeo gefragt wurde, worum es ihr bei ihrem Bestseller "Three Women" gegangen sei, antwortete sie: Frauen würden ihre Bedürfnisse nicht zulassen. Sie wolle nicht, dass ihre Tochter glaube, mit jemandem zusammen sein zu müssen, den sie sexuell und emotional nicht anziehend finde.
Als Mahnung in diesem Sinne kann man auch Taddeos Roman-Debüt "Animal" verstehen, das 2021 zeitgleich in den USA und Deutschland erschienen ist und das Thema zum zweiten Mal aufgießt, diesmal als Fiktion. "Trostlos", so hatte die New York Times Taddeos Darstellung weiblicher Sexualität in "Three Women" bezeichnet, mit Spuren ins Trauma. Sprachlich zeige Taddeo aber so wenig analytischen Ehrgeiz, so die NYT, dass die Frage erlaubt sein müsse, ob es um ihre Analyse von Traumata denn besser bestellt sei. Auch in Deutschland verkaufte sich Lisa Taddeos Bestseller zwar ordentlich, kam bei den Kritikerinnen aber nicht gut an. Das wird "Animal" jetzt nicht anders gehen. Was als emanzipatorische Literatur behauptet wird, kann eigentlich niemand ernst nehmen. Die Sprache sagt alles:
"Sie stellte ein Basilikumbüschel in eine Vase mit Wasser, ein Bündel Koriander wanderte in einen leeren Kaffeeweißerbecher. Sie packte das Obst und Gemüse aus, das wir eingekauft hatten, und räumte es in die Schalen und hohe Glasbehälter, bis die Küche regelrecht zum Leben erwachte. Rostoranger Wassermelonenrettich, adrette Perlzwiebeln, grasige Frühlingszwiebeln, Rispentomaten und Limetten. Sandiger Spinat, Senfblätter und Rucola. Grüne Papaya und Avocado, während die Bananenblüte, allein in ihrer weißen Schale, wie ein in Panik geratener Vogel aussah."

Man könnte es für Satire halten

Sparen wir uns den "rubinroten" Thunfisch und die Vorstellung, wie Alice ihre zarten Hände einer Palmoliv-Werbung würdig in Zitronenseife wäscht. Alice ist die jüngere Halbschwester der 37jährigen Hauptfigur Joan, aus deren Perspektive überwiegend erzählt wird. Man könnte für Satire halten, was hier als ersehntes frauensolidarisches Idyll in der Küche erzählt wird. Und in der Tat hat man die Übersetzerin Anne-Kristin Mittag in Verdacht, dass sie durchaus so etwas im Hinterkopf hatte, denn die Übersetzung mit ihren drastischen Tonwechseln ist das einzig wirklich Gute an diesem Buch.
Von der Autorin sind weder solche Szenen ironisch gemeint noch Behauptungen wie die, dass in jedem Mann ein Vergewaltiger stecke. Oder drastische Szenen wie die erste des Romans, in der sich Joans von ihr gedemütigter Liebhaber Vic vor ihren Augen in einem Restaurant erschießt.
"Es war ein gefräßiger Mann, und das Blut, das herausströmte, sah aus wie das Blut eines Schweins. Grausam, so etwas zu denken, ich weiß."
Dass eine Großstädterin in dieser Lage, die vermutlich noch niemals Schweineblut gesehen hat, so denkt, ist eher unglaubwürdig. Grausam ist diese Protagonistin nämlich leider nicht. Anders als Bret Easton Ellis in "American Psycho" zeichnet Taddeo ihre Anti-Heldin nicht als kalte, sexsüchtige Killerin. Genau das wäre ja literarisch emanzipatorisch. Aber nein: Joans Sex- und Beziehungsstörungen, ihr Hang zu verheirateten älteren Männern und ihr Gefühl nichts wert zu sein, führt Taddeo auf ein mehrfaches Trauma zurück: Ehebruch des Vaters, Kindesmissbrauch, Selbstmord der Mutter, die vorher noch flugs den Vater abgeschlachtet hat, weil sie, so Joan am Ende ihres Erkenntnistrips in die Vergangenheit, ein "reicheres Innenleben" hatte als er. Joan beichtet der gehassten und fetischisierten Halbschwester ihr Leben. Die jüngere, aber abgeklärte und seelisch unversehrte Alice erklärt ihr, dass nicht sie das Leben von Vic zerstört habe, sondern er ihres.
"Es gibt Vergewaltigungen und es gibt Vergewaltigungen, die wir geschehen lassen, für die wir uns duschen und fertig machen. Was nicht heißt, dass der Mann keinen Anteil daran hat."

Die Männer sind schuld, die Frauen bleiben Opfer

Hat denn diese Plattitüde von Geschlechterkampf noch immer nicht ausgedient? Wer die Front Männer gegen Frauen aufmacht, ohne wirklich an patriarchale Muster, die Männer wie Frauen in ihrer Selbstbestimmung einschränken und von beiden Geschlechtern fortgeschrieben werden, kann nicht behaupten, solche Muster durchbrechen zu wollen. Literarisch fehlt es an Komplexität, was Charaktere und Situationen angeht. Vor allem aber bedient sich Taddeo einer Hochglanz-Ästhetik, die nicht nur Perlzwiebeln, sondern auch Frauen- und Männerkörper noch in schlimmster Lage konsumierbar präsentiert.
Das Rezept hat schon bei Hanya Yanagihara und ihrem Roman "Ein bisschen Leben" die Verkaufszahlen in die Höhe getrieben: Sex, Gewalt und ein appetitliches Setting, das mit den Düften der Reichen und Schönen parfümiert wird. Nur, dass bei Yanagihara ein männlicher Protagonist dem Voyeurismus von Autorin und Publikum ausgeliefert wird. Interessant, dass die Kritikerinnen damals nichts dabei fanden.
Zu Lisa Taddeo und ihrem Roman "Animal" kann man nur sagen: weder provokativ noch emanzipatorisch. Das ist Unterhaltung der niedrigsten Stufe, gut abgemischt mit einem derben Schuss Küchenpsychologie, die "adrette Perlzwiebel" lässt grüßen. Wenn Frauen den männlichen Blick einfach übernehmen und ihn auf Männer anwenden, ist das noch kein Akt der Emanzipation. Wie der gelingen könnte, zeigt eine Autorin wie Maggie Nelson mit ihrem Buch "Die roten Stellen", in dem sie den Gründen für Femizide auf den Grund geht. Sie analysiert dafür unter anderem die überdurchschnittlich hohe Zahl weiblicher Opfer in Krimis. Lisa Taddeos "Animal" interessiert sich für solche Gründe nicht. In "Animal" morden Frauen Männer. Aber nur die alten, hässlichen und schuldigen.
Lisa Taddeo: "Animal"
aus dem Amerikanischen Englisch von Anne-Kristin Mittag
Piper Verlag, München. 416 Seiten, 22 Euro.