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Lissabon zum Zweiten

Unter den 27 EU-Staaten dürfen nur die Iren in einer Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag von Lissabon direkt abstimmen, und das heute schon zum zweiten Mal: 2008 hatten sie das Vertragswerk noch abgelehnt. Zugeständnisse an Irland sollen diesmal ein endgültiges Scheitern von Lissabon verhindern.

Von Doris Simon | 02.10.2009
    Es sieht gut aus für die Befürworter des Lissabonvertrags. Eigentlich sehr gut. Schon seit Wochen sagen die Umfragen ein Ja der Iren zur Reform der EU voraus. Trotzdem halten sich in Brüssel alle bedeckt: Schließlich sahen die Umfragen vor dem Referendum vor einem Jahr auch lange gut aus.

    Deshalb soll der irische Wähler, der nun schon zum zweiten Mal in derselben Sache befragt wird, bloß nicht scheu gemacht werden. Dabei hat sich die Ausgangslage in Irland in einem Jahr komplett verändert. Jim Murray hat in Brüssel viele Jahre lang für die Interessen der europäischen Verbraucher eingesetzt, derzeit kämpft er in Irland für die Zustimmung zum Lissabonner Vertrag:

    "Letztes Jahr haben Politiker und Befürworter jämmerlich versagt. Die haben Plakate aufgehängt: Stimmt mit Ja, und das war es. Die Initiativen gingen von der Nein-Kampagne aus. Das ist diesmal total anders. Und natürlich leidet Irland derzeit unter der schlimmsten Wirtschafts- und Finanzkrise seit Langem. Da gehen die Leute ungern ein Risiko ein. Die Stimmung ist eher, sich eng an Europa zu halten."

    In Brüssel überwiegt Vorsicht: Das sehen wir nach dem irischen Referendum, lautet die Antwort auf viele Fragen. Auch die Zusammenstellung der nächsten Europäischen Kommission wird erst nach diesem Wochenende in ihre heiße Phase treten. Sagen die Iren Nein, ist die Reform der europäischen Institutionen endgültig gescheitert - und niemand mag darüber reden, was dann in der EU überhaupt noch geht. Aus Brüsseler Sicht ist das irische Ja der vielleicht entscheidende Schritt für den Lissabonner Vertrag: So hat Polens zögernder Präsident Kaczynski mehrfach erklärt, dass er unterschreiben werde, wenn die Iren den Vertrag im zweiten Anlauf absegnen. Ratifizieren Irland und Polen, dann hätten 26 von 27 EU-Mitgliedsstaaten Ja zur Reform der EU gesagt. Dann müsse es zügig weitergehen, drohte Nicholas Sarkozy auf dem EU-Gipfel vor zwei Wochen in Richtung Prag:

    "Sagen die Iren Ja, dann werden wir keine künstliche Ungewissheit hinnehmen, und nicht akzeptieren, dass Europa mitten in der Krise die die erforderlichen Institutionen verwehrt werden. Da müssen wir dann Konsequenzen ziehen. Welche das sind, sehen wir beim nächsten Treffen."

    In Prag haben wie in Warschau beide Kammern des Parlamentes der EU-Reform bereits zugestimmt. Doch Präsident Vaclav Klaus will die Ratifizierungsurkunde nicht unterschreiben. Der tschechische Sozialdemokrat Libor Roucek, Vizepräsident des Europäischen Parlaments:

    "Der Präsident verhält sich wie ein absolutistischer Monarch in einem Staat, der keine Verfassung hat. Nach der Verfassung ist er verpflichtet zu unterschreiben, wenn beide Kammern mit so klarer Mehrheit Ja sagen. Das hat er bisher nicht getan."

    Doch es gibt keine Fristen und niemand kann Klaus zwingen. Nachdem das tschechische Verfassungsgericht in Brünn eine erste Klage gegen den Lissabonner Vertrag abgewiesen hatte, reagierte der Präsident den ganzen Sommer über nicht - bis in dieser Woche einige EU-skeptische Senatoren eine weitere Klage gegen die Reform der Europäischen Union einreichten. Nun wartet Vaclav Klaus ab, wie das Verfassungsgericht nun entscheidet, scheinbar völlig ungerührt vom wachsenden Druck im In- und Ausland. Die tschechische Regierung überlegt inzwischen, Präsident Klaus und nicht Premier Fischer zum EU-Gipfel Ende Oktober nach Brüssel zu schicken: damit die übrigen 26 direkt mit Klaus reden können. Libor Roucek:

    "Wenn Nein in Tschechien: Trauma. Europäische Integration gehört einfach dazu."

    Rückenwind bekommt der tschechische Präsident aus Großbritannien: Der konservative britische Oppositionsführer David Cameron hat Klaus aufgefordert, seine Unterschrift bis nach den Wahlen in Großbritannien im nächsten Frühjahr herauszuzögern. Der konservative Londoner Europaabgeordnete Syad Kamall:

    "Wenn der Lissabonner Vertrag nach unserem Wahlsieg noch nicht ratifiziert ist, dann werden wir ein Referendum darüber abhalten."

    Bei einem Nein wollen die britischen Konservativen die Ratifizierung ihres Landes wieder rückgängig machen - Voraussetzung dafür ist, dass der tschechische Präsident noch nicht unterschrieben hat und der Vertrag noch nicht in Kraft ist. Die Reform der europäischen Institutionen dürfte also auch nach einem irischen Ja eine Zitterpartie bleiben.