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Litauen
Katholisch statt sowjetisch

Der frühere Bischof Teofilius Matulionis wird an diesem Wochenende seliggesprochen, als erster Geistlicher Litauens. In seiner Heimat wird er schon lange als Märtyrer verehrt. Die Ehrung für ihn wühlt Erinnerungen an das Sowjetregime auf, das die katholische Kirche als Staatsfeind einstufte.

Von Markus Nowak | 23.06.2017
    Kirchen in Vilnius: Sie prägen das Stadtbild der Hauptstadt Litauens.
    In der Haupstadt Litauens, Vilnius, freut man sich über die Seligsprechung von Teofilius Matulionis (picture alliance / Birgit Zimmermann/dpa-Zentralbild/dpa)
    "Willst Du ein unvergessliches Leben?", fragt ein Internetspot der Erzdiözese Kaunas. Dann werden Eigenschaften für einen "guten Christen" aufgeführt: darunter verantwortungsvolles Handeln oder Ehrlichkeit. Der kurze Spot ist eine Art posthumer Imagefilm für einen litauischen Geistlichen, der vor einem halben Jahrhundert verstorben ist. Oder an den Folgen der sowjetischen Haftlager starb?
    Teofilius Matulionis gilt als erster litauischer Märtyrer der Sowjet-Zeit. Sein Leben hat der Priester Mindaugas Sabonis rekonstruiert. Etwa die Zeit, als Matulionis nach der Oktoberrevolution im bolschewistischen Sowjetrussland als Seelsorger arbeitete.
    Taufe trotz allem
    "Zu dieser Zeit war es verboten für katholische Priester, nicht-katholische Kinder zu taufen. Matulonis ist Matulonis. Er hat nicht auf diese Gesetze aufgepasst. Da war ein schwaches, krankes Kind und er hat es getauft. Deswegen hatte er, logisch, ein Problem. Ein Tribunal in Rezekne, dem heutigen Lettland, gab ihm eine Strafe: Fünfzig Rubel und Suspendierung von allen Beschäftigungen. Und er wurde in ein Priestergefängnis geschickt."
    Die zweijährige Gefängnisstrafe 1923 war nicht das letzte Mal, dass der litauische Geistliche in sowjetische Haft kam. Papst Pius XI. ernannte Matulionis zum Weihbischof von Minsk-Mahiljou. Die sowjetischen Machthaber reagierten 1929 mit einer zehnjährigen Lagerhaft im Gulag auf den berüchtigten Solowezki-Inseln im Weißen Meer. Es ist ein Wunder, dass Matulionis diese überlebte, glaubt Mindaugas Sabonis.
    "Er war an einem Ort, wo man kaum überleben kann"
    "Nach zwei Jahren konnte er nicht mehr laufen, seine Gelenke waren alle kaputt. Die anderen Priester mussten ihn tragen. Ich habe dann in einem Archiv der Kongregation der Bischöfe ein Dokument entdeckt, dass man bestätigt, dass er verstorben ist. Niemand hat geglaubt, dass er überlebt. Er war so schwach. Er war auch an einem Ort, wo man kaum überleben kann. Die litauische Regierung hat der sowjetischen Regierung Kommunisten angeboten, also jene, die gefangen genommen waren. Dafür haben sie nach Priestern gefragt. Damit konnte Matulionis überleben."
    1933 kam ein Gefangenenaustausch zwischen Litauen und Moskau zustande. 1943 wurde Matulionis Bischof des kleinen litauischen Bistums Kaišiadorys, doch schon drei Jahre später verhafteten die Sowjets ihn erneut und verbannten ihn für Jahre aus dem Land. 1962 verstarb er dann während eines Hausarrests in Litauen. Schon zu Lebzeiten wurde er von den Gläubigen seines ehemaligen Bistums als Märtyrer gefeiert. Bereits 1989 gab es daher Bestrebungen, das Martyrium anzuerkennen. Vergeblich, der Vatikan sah zu viele offene Fragen. 2008 wurde ein neuer Anlauf unternommen und Mindaugas Sabonis trug als Postulator die Archivmaterialien im Vatikan vor.
    Mit Teofilius Matulionis wird am 25. Juni 2017 erstmalig ein Märtyrer in Litauen seliggesprochen. Matulionis war im Krieg Bischof von Kaišiadorys und wurde immer wieder in sowjetischen Lagern interniert. Bild: Flyer und Plakate machen auf die Seligsprechung aufmerksam
    Märtyrer-Seligsprechung in Litauen (Markus Nowak/Deutschlandfunk)
    Die erste Seligsprechung eines Litauers
    Wenn diesen Sonntag die Glocken der St. Stanislaus und St. Ladislaus-Kathedrale in Vilnius läuten, wird mit Teofilius Matulionis erstmalig ein Litauer seliggesprochen. Für diejenigen, die das kirchenfeindliche Sowjet-Regime überlebt haben, ist er eine Symbolfigur, glaubt Postulator Sabonis.
    "Wenn sie über Matulionis sprechen, meinen sie, für uns war Matulonis ein Zeugnis, das es möglich ist, auch unter dem sowjetischen Regime, katholisch zu bleiben und verbunden mit dem Vatikan zu bleiben."
    Die Seligsprechung des Märtyrerbischofs wird in der Baltenrepublik als Würdigung des Beitrags der litauischen Kirche zur Bewahrung der nationalen und kulturellen Identität gesehen. Denn während der sowjetischen Besatzung Litauens, wie heute die Periode zwischen 1944 und 1990/91 genannt wird, wurde die katholische Kirche als Staatsfeind eingestuft und ging in den Untergrund. Dutzende Kirchen wurden geschlossen, das Vermögen verstaatlicht und hunderte Priester weggesperrt. Zugleich aber gab es auch die "Schweigende Kirche". Also jene Geistlichen, die mit dem Sicherheitsapparat zusammenarbeiteten - ob aus Eigennutz oder pastoraler Notwendigkeit. Die Kleriker-Kollaboration mit dem Sowjetsystem gilt als unzureichend aufgearbeitet, sagt der katholische Publizist Juazepas Dapsauskas.
    "Nun kommt der Einfluss der Säkularisierung"
    "Die sowjetische Okkupation war eine schlechte Zeit und hinterließ viele Wunden in der Gesellschaft und der Kirche. In westlichen Gesellschaften kann man sich gar nicht vorstellen, wie groß dieser Einfluss noch immer ist. Es gibt da die Meinung, dass wir nach dieser Zeit als Menschen müde geworden sind. Und nun kommt der Einfluss der Säkularisierung."
    Tatsächlich sind die litauischen Kirchen an Sonntagen zwar noch gut besucht, im Vergleich zum Beginn der Neunziger Jahre lichten sich die Kirchbänke. Als 1991 die kleine Baltenrepublik ihre Unabhängigkeit erlangte, erlebte gerade die Kirche eine Aufbruchszeit: Die geschlossenen Gotteshäuser wurden wieder eröffnet, Dutzende neugebaut. Klöster und Priesterseminare erhielten Zulauf, der mit der Zeit aber abflaute. Den Religionsunterricht besucht nur noch jeder zweite Schüler. Und die Scheidungsrate hat längst westeuropäische Werte erreicht. Vor diesem Hintergrund kann Sigitas Tamkevičius der kirchenfremden Sowjetzeit sogar etwas abgewinnen. Tamkevicius war bis vor drei Jahren Erzbischof von Kaunas und saß als junger Jesuitenpater für seinen kirchlichen Widerstand selbst im Gulag.
    "Die Erfahrung der Verfolgung, der Haft, der Deportationen hat den individuellen Glauben gestärkt. Wenn aber die Situation für die Kirche einfach ist, dann kann der Glauben umso mehr in Gefahr geraten."