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Literarische Kriminalromane
Großer Hype und nicht immer was dahinter

Immer mehr angesehene Schriftsteller trauen sich an das Genre "Krimi" heran, obwohl es als trivial angesehen wird. Aber nicht alle diese neuen Bücher funktionieren auch wirklich als Kriminalromane, meinen die drei Kritikerinnen.

Von Dina Netz, Kirsten Reimers und Antje Deistler | 28.02.2017
    Bücherreihen, fotografiert am 17.02.2015 in einer Buchhandlung in Potsdam (Brandenburg).
    Nicht alle literarischen Kriminalromane funktionieren auch als Krimis. (dpa / picture-alliance / Ralf Hirschberger)
    E. O. Chirovici: "Das Buch der Spiegel".
    München, Goldmann Verlag. 380 Seiten, 20 Euro.
    Es gibt derzeit einen Mordshype um diesen Who-Dunit, der in 39 Ländern beinahe gleichzeitig erscheint, auch hier bei uns. "Internationale Buchsensation" wirbt der Verlag, es handele sich hier um einen Noir mit Meta-Ebene, der mit den Fallstricken und Unzulänglichkeiten der menschlichen Erinnerung spiele.
    Kirsten Reimers: "Sehr schön geschrieben, aber der Hype überfordert das arme kleine Buch total. Es funktioniert als Krimi überhaupt nicht, ist zu sehr angewiesen im Plot auf Zufälle und auf billige Tricks."
    Antje Deistler: "Ich habe vergeblich auf den grandiosen Twist gewartet, auf die philosophische Ebene oder die spannende Erörterung von Lebensgeschichten als Konstruktion. Zumal Themen wie unzuverlässige Erinnerung, widersprüchliche Aussagen oder auch Manipulation von Wahrheit eigentlich schon immer integrale Bestandteile des klassischen Detektivromans waren."
    Dina Netz: "Die These, dass es unterschiedliche Erinnerungen gibt, ist doch ein alter Hut und eine Binsenweisheit. Als Meta-Thema zu mager und zu oberflächlich umgesetzt. Ich frage mich, woher dieser Hype kommt."
    Graeme Macrae Burnet: "Sein blutiges Projekt"
    München, Europaverlag. 344 Seiten, 17.99 Euro.
    In Großbritannien hat man viel weniger Berührungsängste mit Krimistoffen als bei uns. Da gewinnt ein richtig gut gemachter Thriller auch schon mal den renommierten Man Booker Prize. "Sein blutiges Projekt" des Schotten Graeme Macrae Burnet stand 2016 auf der Shortlist zum Bookerpreis.
    Antje Deistler: "Ein Roman über ein fiktives historisches Verbrechen. Mir haben vor allem Passagen um den grundunsympathischen, arroganten Irrenarzt gefallen, hauptsächlich wegen der historischen Schilderung der sogenannten ‚Verbrecherrasse‘ – hochspannend und interessant, aber man kann sich schon streiten, ob wir es mit einem Kriminalroman zu tun haben."
    Kirsten Reimers: "Ein angeblich historischer Dreifachmord. Entworfen wird ein Vexierbild des Falles, sehr spannend und sehr intelligent gemacht. Eindeutig ein Kriminalroman, es geht um die Suche nach Wahrheit. Gleichzeitig wird die Frage aufgeworfen: ‚Gibt es überhaupt so etwas wie eine Wahrheit?‘ Ein Spiel mit der Frage, wie Wirklichkeit konstruiert wird. Auf jeden Fall besser als bei Chirovici! Das Buch zeigt, was im Genre stecken kann, wenn man es beherrscht."
    Willi Achten: "Nichts bleibt"
    Bielefeld, Pendragon Verlag. 464 Seiten, 17 Euro.
    Der neue Roman des angesehenen Lyrikers und Romanciers Willi Achten, "Nichts bleibt", erscheint ausdrücklich als Kriminalroman, was viele überraschen wird. Er beginnt tatsächlich mit einer Schießerei und damit, dass ein alter Mann beinahe totgeschlagen wird.
    Dina Netz: "Das Psychodrama eines beschädigten, traumatisierten Mannes auf einem Rachefeldzug. Eine archaische Welt voller Brutalität und Gewalt, die Willi Achten beschreibt, eine trostlose Männerwelt. Der Lyriker findet dafür aber wunderbare Worte, das macht den Roman besonders. Sehr dichte, präzise Sprache. Achten schlägt verschiedene Töne an, aber immer die richtigen. Ein aufregendes, ein ungewöhnliches Buch, aber nicht unbedingt ein Krimi. Eigentlich findet das Drama in Herz und Seele der Hauptfigur statt."
    Antje Deistler: "Ein eleganter Roman, eine sehr verdichtete Sprache. Aber ob man diesem Buch einen Gefallen tut mit dem Etikett ‚Kriminalroman‘, das ist eine andere Frage."