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Literarische Newcomer

Das Literaturfestival "Prosanova" in Hildesheim gibt unbekannten Talenten eine Plattform. Mitveranstalter ist die Universität Hildesheim, wo man im Studiengang "Kreatives Schreiben" das nötige Rüstzeug als Autor lernen kann. Die jüngste Literaturgeneration trifft hier auf bekannte Namen wie Tanja Dückers oder Katrin Röggla.

Von Axel Hammerl | 27.05.2005
    Wer früher Schriftsteller werden wollte, war meist auf sich allein gestellt und musste oft in jahrelanger, mühevoller Kleinarbeit seine Texte entwickeln. Das geht heute natürlich auch noch. Aber der Schreibprozess kann beschleunigt werden. Seit 1995 hilft dabei das Deutsche Literaturinstitut in Leipzig und seit 1999 der Studiengang "Kreatives Schreiben" in Hildesheim. Hier, in Hildesheim feiert sich zur Zeit die jüngste deutschsprachige Literaturgeneration. Newcomer treffen dabei auf Prominente, Schreibschüler auf Autodidakten. Über 50 Autoren stellen sich beim Literaturfestival Prosanova vor und tauschen sich aus.

    Ein verlassenes Möbelhaus im Zentrum Hildesheims dient vier Tage lang als Veranstaltungszentrum. Putz bröckelt von den Wänden und von den Stützpfeilern. Im Schaufenster sind Blumen gepflanzt. Nicht nur zur Dekoration, sondern vor allem als Symbol für das kreative Wort, das die jungen Autoren hier in Hildesheim präsentieren. Beispielhaft dafür ist gleich die erste Attraktion des Festivals: Eine Art Live-Hörspiel, entstanden in siebentägiger Klausur zuvor.

    Das vielschichtige Werk kreist um das Thema Versehrtheit. Versehrtheit von Menschen, von im Krieg zerstörten Städten, von Landschaften. Das Stück ist politisch, setzt sich auch mit neonazistischem Gedankengut auseinander. Eine politische Haltung einnehmen, überhaupt Stellung beziehen, ist für den Schweizer Lyriker Raphael Urweider sehr wichtig. Das kommt ihm hier in Hildesheim zu kurz:

    " Ja, ich glaube, dass das ganze Festival zu sehr auf die Form ausgerichtet ist und nicht auf Inhalt. Es geht hier um formale Anlässe, die sich sehr wenig mit Inhalten überhaupt auseinandersetzen."

    Das stimmt nicht ganz. Ein Anliegen des Festivals ist es gerade, die Rückkehr des Politischen in die junge Literatur unter die Lupe zu nehmen. Morgen Abend diskutieren darüber Tanja Dückers, Kathrin Röggla und Thomas Meinecke. Paul Brodowsky, einer der künstlerischen Leiter des Festivals, würde mehr Politisches in der Literatur begrüßen:

    " Ich denke schon, dass das eine Möglichkeit ist, wieder einen gewissen Stoff in die Literatur zu kriegen. Es gibt den Vorwurf der Stofflosigkeit, gerade der jungen Literatur. Und da tut sich vielleicht ein Fenster auf, das man wirklich sagt, okay, ich wage mich jetzt an ein Thema, es muss ja gar nicht platt politisch sein, aber an eine Geschichte, die ich erzähle, die in irgendeiner Weise zeitgemäß politisch etwas verhandelt."

    Paul Brodowsky studiert in Hildesheim "Kreatives Schreiben", ist gleichzeitig Gründer der Literaturzeitschrift und des Vereins Bella Triste, der das Festival Prosanova auf die Beine gestellt hat - gemeinsam mit über 60 Studierenden.

    " Wir wollen junge Literatur präsentieren, junge Literatur heißt für uns Autoren der Jahrgänge 1970 und jünger und uns interessiert daran die junge Schreibschulliteratur in erster Linie, weil für diese Generation erstmalig die Frage, besuche ich eine Schreibschule oder nicht zentral im Mittelpunkt steht. Das hängt damit zusammen, dass 1995 in Leipzig das Deutsche Literaturinstitut gegründet wurde, 1999 in Hildesheim der Studiengang."

    Schreibschule oder nicht - gestern Abend hieß das "Saat oder Wildgut". Als "Saat" lasen die Schreibschulabgänger Sünje Lewejohann und Mariana Leky, als "Wildwuchs" der Clemens-Brentano-Preisträger Andreas Maier. Dass Maiers Text deutlich politisch war und die anderen beiden nicht, war vielleicht Zufall. Letztendlich kommt es darauf an, dass ein Text funktioniert, dass er glaubwürdig ist, meint Andreas Maier. Schreibschule oder nicht ist ihm eigentlich egal:

    " Das ist bei mir auch so in Gang gekommen. Ich vermisse nichts und sehe auch bei den Leuten, die von Schreibschulen kommen, keinerlei Probleme. Ich halte mich weder für defizitär denen gegenüber, noch die für defizitär gegenüber mir. Es sind ja auch von diesen Schreibschulen völlig unterschiedliche Autorencharaktere hergekommen. Das dräuende Gespenst der Vereinheitlichung von Autorinnen und Autoren durch Schreibschulen, das sehe ich überhaupt nicht."

    Mariana Leky, die zwei Jahre an der Uni Hildesheim studiert hat und heute in Berlin lebt, stimmt zu. Schließlich werden an einer Schreibschule keine Kochrezepte vermittelt. Ihr hat der Studiengang "Kreatives Schreiben" geholfen:

    " Sehr viel, ich habe sehr schnell gelernt, ein bestimmtes Talent auszubauen, das ging da sehr angenehm und gut. Und man kriegt da auch relativ schnell Kontakte zu Verlagen. Vielleicht schneller als man das ohne eine solche Institution hätte."

    Kontakte knüpfen, das können die jungen Autoren drei Tage lang auch noch auf dem Festival. Und auf den Besucher wartet ein abwechslungsreiches Programm. Denn den Veranstaltern von Prosanova geht es auch darum, neue Formen von Literaturvermittlung auszuprobieren. In einem Chill-out-Room, einem Entspannungsraum, kann der Besucher neueste Hörspiele per Kopfhörer im Liegestuhl genießen, in der Stadt flüstern Gedichte von den Bäumen und morgen Nachmittag lesen junge Autoren non stopp in Hildesheimer Gartenlauben aus ihren Werken.

    Bis Sonntagnacht dauert das Literaturfestival, das übrigens für alle offen ist, noch an. Näheres zum Programm finden Sie auf der Homepage
    Prosanova - Festival für junge Literatur