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Literarischer Hexenmeister

Carlos Castaneda war ein Autor am Puls der Zeit - einer Zeit, der die äußere Wirklichkeit zu langweilig war und die darum nach einer inneren verlangte. Der peruanisch-amerikanische Anthropologe schrieb über seine Begegnungen mit einem indianischen Zauberer Don Juan. In den 70er und 80er Jahren verzauberte er damit Millionen Leser.

Von Kersten Knipp | 27.04.2008
    Drogen, heißt es, erweitern das Bewusstsein. Irgendein Kraut zerrieben und in die Pfeife gestopft, das Ganze kräftig inhaliert, und schon ist klar, was die Welt im Innersten zusammenhält. In diesem Rauch konzentrierte sich in den 60er Jahren das Lebensgefühl einer ganzen Generation, und auch den Forschern jener Zeit galt er als ebenso attraktives wie bedeutsames Forschungsobjekt. Zahllose Ethnologen gaben sich im Selbstversuch den heiligen Dämpfen hin und vertrauten die Deutung der im Rausch gewonnenen Erkenntnisse indianischen Autoritäten an.

    Genau das tat seit 1961 auch der junge, aus Peru in die USA eingewanderte Anthropologe César Aranha, der sich später Carlos Castaneda nannte. In jener Zeit lernt er Don Juan, einen alten Indianer aus dem mexikanischen Volk der Yaqui, kennen. Der, berichtet Castaneda, verstehe die Welt nach ganz anderen Prinzipien als den im Westen üblichen. Schon die Umstände, die Don Juan bewogen, den jungen Anthropologen als Schüler zu akzeptieren, waren einigermaßen spektakulär, erzählte Castaneda 1969.

    "Ich spielte mit einem Hund, und das war eine sehr bemerkenswerte Erfahrung, denn wir verstanden uns sehr gut. Und dieses Einvernehmen verstand Don Juan als Zeichen, als Omen, dass die Gottheit Mescalito mit mir gespielte hatte. Das war ein Vorfall, den er zuvor noch nie erlebt hatte. Und das verstand er als Hinweis, dass ich die richtige Person sei, der er sein Wissen übermitteln könne – oder zumindest einen Teil davon."

    "Die Lehren des Don Juan". "Eine andere Wirklichkeit". "Reise nach Ixtlan". "Der Ring der Kraft". "Das Rad der Zeit". Titel wie diese schlugen ein in den späten 60ern und frühen 70ern, als man dem Verstand misstraute, weil er die Welt nur vordergründig erkenne. Castaneda selbst verlor nach und nach die Distanz zu seiner wissenschaftlichen Arbeit und wurde zu einem Propheten transzendenter Erlösungsphantasien. Und weil er darüber so betörend schön schrieb, verkauften sich seine Bücher millionenfach. In ihnen verkündete er vor allem eines: Die Welt ist Geist.

    "Don Juan legte mir eines Tages seine Vorstellung nahe, dass die Gesamtheit des Universums nichts anderes als die Vorstellung des Beobachters ist. Es komme darauf an, wie wir die Dinge sähen. Es gebe keine Fakten, nur Interpretationen. Vielleicht hat er Recht in dieser Annahme, doch, doch, er hat Recht. Die Fakten sind nur unsere Interpretation."

    Vergiss die Fakten, was zählt, sind deine Gedanken. Diese frohe Botschaft aller esoterischen Lehren dürfte auch erheblich zu Castanedas Erfolg beigetragen haben. Denn sie barg eine tröstliche Nachricht: Du brauchst dich um die Wirklichkeit nicht sonderlich zu scheren, du kannst sie besiegen, und zwar durch die Kraft deines Denkens.

    Als "Wildes Denken" hatte der französische Anthropologe Claude Lévi-Strauss diese magische Sichtweise kurz zuvor beschrieben, ohne sie aber zur Nachahmung zu empfehlen. Das zu tun, blieb Castaneda vorbehalten. Auch sonst berichtete Castaneda von Erlebnissen hart am Rande der Wirklichkeit.

    "Don Juan lehrte mich eine Körperhaltung, die für Schamanen in Zeiten großer Krisen, etwa des Todes, typisch ist. Denn bevor sie sterben, tanzen sie, sie schreien – und dann sterben sie. Vor allem aber vermitteln diese Position und die auf ihr gründenden Bewegungen dem Menschen, dass er existiert. Sie bestätigen ihm, dass er ein Mensch ist, denn unser Körper, unsere Bewegungen sind alles, was wir haben. Und das Wichtigste, was ein Mensch im letzten Moment seines Lebens tun kann, ist, sich noch einmal selbst zu bestätigen, dass er gelebt hat, ein Mensch war."

    Sein eigenes Leben ließ Castaneda bewusst im Dunkeln. Viele Einzelheiten verschleierte er oder manipulierte sie sogar, der Mensch passte sich dem Mythos an. Vor allem aber blieb er Beweise für seine Lehre schuldig. Wer etwa Don Juan tatsächlich war, blieb Castanedas Geheimnis. Immer stärker bezweifelte man, ob er die Lehre von der Umwandlung körperlicher in geistige Kräfte wirklich von einem Schamanen namens Don Juan übernommen oder nicht doch selbst erfunden hatte.

    Castaneda selbst brauchte das nicht mehr zu kümmern - als Erfolgsautor, der er war, konnte er sich einen etwas freieren, man könnte auch sagen: magischen Umgang mit der Wirklichkeit erlauben. Am 27. April 1998 ging er ein in die ewigen Jagdgründe.