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Literarischer Kuhstall

"Ich fühl’ mich heut’ so leer, ich fühl’ mich Brandenburg", heißt es in einem Lied des Kabarettisten Rainald Grebe. Dabei gibt es in der Mark Brandenburg eine Menge Geschichte und Kultur zu entdecken. So auch in In Görne. Dort steht ein ganz besonderer Kuhstall - mit einer Bibliothek.

Von Marcus Weber | 25.03.2012
    In Görne, einem kleinen Dorf in der Mark Brandenburg, wo Störche über die Wiese staksen und Mobilfunknetze nicht mehr funktionieren, liegt ein noch kleinerer Garten. Darin stehen Rosenbüsche, weiße Bänke und ein alter Stall. Aus Feldsteinen und Ziegeln gebaut, mit großen Holztoren. Einst muhten hier die Kühe der gräflichen Familie Bredow. Nun steht "Leserast" in bunten Buchstaben vor Tür. Und drinnen, zwischen 40 Regalen und 150 Bücherkisten, sitzt auf einem Sofa der Hausherr: Werner Bader.

    "Hier haben wir billige Romane, hier haben wir Geschichtsbücher, hier haben wir Geografie, hier haben wir Bücher über den deutschen Osten, hier haben wir Lehrbücher, hier haben wir Rezeptbücher, hier haben wir Kinderbücher, aber auch durch den Garten West und Ost, auch DDR-Bücher... alles kann man hier finden."

    Insgesamt mehr als 13.000 registrierte Bücher. Mit anderen Worten: Die Bibliothek im Grafenstall ist das größte Antiquariat weit und breit. Und sie ist ein Kulturzentrum auf dem Dorfe, in dem regelmäßig Lesungen, Ausstellungen und Vorträge stattfinden. Der brandenburgische Ministerpräsident Matthias Platzek war schon hier, ebenso wie Kulturstaatsminister Bernd Neumann. Sie alle lockt etwas ganz besonderes: die Bibliothek der Märkischen Dichter.

    "Bisher haben wir angefangen mit den seltenen Bänden, nämlich mit denen, die nicht mehr aufgelegt werde: Wie etwa Klabund aus Krossen an der Oder, der in seiner Ode an die Stadt geschrieben hat: "Wo der Bober in die Oder, wo die Zeit mündet in die Ewigkeit." Oder Ewald Müller aus Drebkau, der in Cottbus gelebt hat und sozusagen der Spreewalddichter war und den Schillerpreis im vorigen Jahrhundert gekriegt hat. Aber man kann hier bereits jetzt auch den ganzen Strittmatter lesen oder Fontane-Bände eine ganze Reihe, sodass das ein ganz rundes Ding wird."

    Vor drei Jahren hat Werner Bader begonnen, die Bibliothek einzurichten. Dafür hat der ehemalige Journalist und Chef des deutschen Programms der Deutschen Welle den Kuhstall renoviert und die Namen von 142 brandenburgischen Schriftstellern recherchiert. Einige ihrer Geburts- und Wirkungsstätten, erzählt der 89-Jährige, sollen bald durch die "Märkische Dichterstraße" verbunden sein. Ideeller Mittelpunkt der Straße wird dabei die Bibliothek im Grafenstall, in der Bader seinen Besuchern Kaffee, Bücher und Geschichten serviert. Zum Beispiel die der Familie Bredow, deren Mitglieder einst als Raubritter ihr Unwesen trieben.

    "Da sagte der liebe Gott zum Teufel: "Die kannste alle haben." Und der Teufel hat sie in einen Sack gepackt und ist losgeflogen in die Hölle. Sein Arm wurde immer länger, und da hat der Sack angestoßen an der Kirchturmspitze in Friesack; ritzte auf und die Bredows purzelten runter. Und dann sagte der Eine: "Ich gehe nach Land innen." Und danach wurde das Dorf Landin, Land-innen benannt. Und der andere sagte: "Ich gehe denselben Weg lang." Und deswegen gibt es das Dorf Selbelang. Und ein anderer sagte: "Ne, ich gehe rechts zu." Und deswegen gibt es das Dorf Retzow."

    Auch das 150-Seelen-Dorf Görne, dessen Name seinen Ursprung im Slawischen hat und "hoch gelegene Siedlung" bedeutet, ist von den Bredows geprägt. Hier ließen sie Anfang des 18. Jahrhunderts eine kleine Fachwerkkirche bauen und errichteten später ein Gutshaus, das heute – im Gegensatz zum Grafenstall – größtenteils leer steht. Auf dem Platz davor befindet sich zwischen alten und jungen Lindenbäumen eine Büste von Theodor Fontane. Zweimal war der große märkische Dichter in Görne, um Material für sein Alterswerk über die Bredows zu sammeln.

    "Und hat von hier aus seiner Frau einen Brief geschrieben, mit dem Inhalt: Hier fand ich wenig Hoheitsvolles, aber sehr viel Kurioses über das sich gut schreiben lässt. Und dahinter steckt die Geschichte, dass hier eine Frau von Briest, nicht die berühmte Effi, den Grafen geheiratet, und er starb. Dann hat sie den Bruder geheiratet, weil sie klug war und sagt: Wenn ich den heiratete, behalt ich den gleichen Namen und kann im Schloss wohnen. Der starb auch. Tragisch. Und nun hat sie den dritten Bruder geheiratet, und mit dem hatte sie dann eine Familie."

    Nicht weit hinter dem Gutshaus beginnt der Görner See und das gleichnamige Naturschutzgebiet: ein 40 Hektar großes, flaches Gewässer, umgeben von Feuchtwiesen und Erlenbruchwäldern. Eine leise Landschaft, durch die vor mehr als 120 Jahren schon Theodor Fontane wanderte:

    "Am Waldessaume träumt die Föhre / Am Himmel weiße Wölkchen nur; / Es ist so still, dass ich sie höre, / Die tiefe Stille der Natur."

    Ein Gedicht, dass sich am schönsten im Garten der "Bibliothek im Grafenstall" lesen lässt.