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Literarisches Fastfood

Bereits vor Monaten hatte der Rowohlt Verlag juristische Probleme in Tenenboms Manuskript über den Antisemitismus der Deutschen gesehen. Nun veröffentlicht Konkurrent Suhrkamp das Werk des US-Amerikaners. Rezensent Jens Rosbach hält es für geschmacklos und wenig gehaltvoll.

Von Jens Rosbach | 17.12.2012
    Tuvia Tenenbom hatte eine Mission, als er 2010 nach Deutschland flog: Der US-Amerikaner - er stammt aus einer deutsch-jüdisch-polnischen Familie - wollte den Antisemitismus untersuchen. In einem Interview in einem Tübinger Privatsender erklärte er:

    "Ich möchte herausfinden, was wirklich ist. Ich müsste größenwahnsinnig sein, um jetzt zu sagen: Ja, ich bin dort ein paar Monate finde eine wirklich exakte, wissenschaftliche Antwort. Das ist nicht möglich. Aber ich möchte Eindrücke sammeln. Also, ich möchte es herausfinden." (lacht)

    Das Ergebnis der Recherche liegt nun vor in seinem Buch "Allein unter Deutschen. Eine Entdeckungsreise". Laut Suhrkamp-Werbung nimmt Tenenbom, …

    ... in seinem humorvoll, provokanten Reisebericht kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, uns den Spiegel vorzuhalten.

    "Es scheint, als habe der Suhrkamp-Verlag ein anderes Buch gelesen als ich."

    Professor Volkhard Knigge ist Direktor der KZ-Gedenkstätte Buchenwald und Mittelbau-Dora. Der Historiker hat sich stundenlang mit Tenenbom unterhalten. Doch als Knigge schließlich den Report las, war er entsetzt: Denn das Buch stellt die Gedenkstätte als eine Art Themenpark dar.

    "Die Gedenkstätte wird beschrieben als eine Art Disneyland, in dem der Klamauk herrscht, könnte man beinahe sagen. Ein Ort, an dem sich die Deutschen – das wird beinahe noch insinuiert – gewissermaßen nachträglich vergnügen. "

    Tenenbom, Journalist und Regisseur, hat auf seiner Reise Menschen aller Couleur befragt: Prominente wie Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt oder Komiker Helge Schneider - aber auch Rechtsradikale und Autonome sowie Christen, Muslime und Juden. Der Autor kommt zu folgender drastischer Bilanz über die Deutschen:

    Sie sind antisemitisch und rassistisch bis ins Mark, verdecken es aber mit Masken, Liebesbekundungen und öffentlichen Umarmungen des anderen. Sie lieben es, auf jede Frage mit einer ausführlichen Einleitung zu reagieren, bevor sie sich zu einer Antwort bequemen, weil sie von einer echten Antwort keinen Schimmer haben, aber trotzdem gescheit aussehen wollen. Sie sind, kurz gesagt, so selbstbetrügerisch und selbstgerecht wie kein zweites Volk auf der Welt.

    Tenenbom schreibt emotional und widersprüchlich – kurz darauf heißt es plötzlich, tief in sich liebe er die Deutschen. Sein Buch enthält zwar einzelne interessante Passagen, etwa über eine Neonazikneipe in Neumünster. Doch insgesamt ist es ein problematisches Werk. Zum einen wegen heikler Sachfehler. So meint der Autor, im KZ Buchenwald seien Juden vergast worden. Tatsächlich wurde dort massenhaft gemordet – aber ohne Vergasungsanlagen. Das zweite Problem: Der US-Amerikaner will offenbar möglichst viele Interviewpartner als Judenfeinde entlarven. Gedenkstättenleiter Knigge erinnert sich an die Begegnung mit Tenenbom:

    "Die verlief so, dass ich sehr schnell den Eindruck hatte, da ist jemand enttäuscht, dass sich sowohl Weimar wie auch die Gedenkstätte Buchenwald nicht so darstellten wie erwartet oder vielleicht sogar erhofft. Nämlich als Orte des Verschweigens der düsteren Seiten, die sich mit der Geschichte Weimars und Buchenwalds verbinden, sondern sehr klar über die verbrecherische Vergangenheit bereit waren zu sprechen."

    Tuvia Tenenbom will die Deutschen nicht nur entlarven, sondern sich auch über sie lustig machen. So wird auch die Berliner Rabbinerin Gesa Ederberg verhöhnt - weil sie sich, in einem Workshop, mit religiösen Aspekten der Käseherstellung beschäftigt hat. Tenenbom bürstet das Thema – ohne Begründung – als "Nonsens" ab. Nach der Lektüre des Buches schreibt die Rabbinerin wütend in einer Mail:

    Das ist ja ein oberflächliches Geschmiere - ich wundere mich, dass ein Verlag wie Suhrkamp das druckt! Die Passage über mich ist ja völlig nichtssagend und zeigt, dass jemand, der Bizarres sucht, natürlich alles ins Bizarre drehen kann.

    Bereits vor Monaten hatte der Rowohlt-Verlag juristische Probleme in Tenenboms Manuskript gesehen. Nun veröffentlicht Konkurrent Suhrkamp das Werk. Geschäftsführer Jonathan Landgrebe hält den Text - im Gegensatz zu vielen dargestellten Personen - für besonders gelungen.

    "Wir haben uns entschieden, das Buch zu veröffentlichen, weil wir finden, dass der Autor mit viel Witz und viel investigativem Geschick eine interessante Tour durch Deutschland hat machen können und das Thema aus einer Perspektive beleuchtet, wie man sie nicht alle Tage zu lesen bekommt."

    Allerdings räumt Suhrkamp zumindest einen Autoren-Fehler ein. Tenenbom unterscheidet nämlich in seinem "Report" nicht zwischen früheren Konzentrationslagern und heutigen Erinnerungsorten. Zum Beispiel stellt er eine Mitarbeiterin der Gedenkstätte Dachau als Angestellte "dieses KZ" dar. Der Berliner Verlag verspricht, diesen Fauxpas in der nächsten Auflage zu korrigieren. Doch damit nicht genug. In einer Vorbemerkung von "Allein unter Deutschen" werden fünf namhafte Personen aufgezählt, die Einspruch eingelegt hätten gegen die Veröffentlichung der Gespräche. Darunter der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich. Autor Tuvia Tenenbom schreibt:

    Auch wenn diese Interviews jeder Überprüfung standhalten würden, habe ich auf sie verzichtet, um langwierige rechtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

    Gedenkstättenleiter Volkhard Knigge sieht in dieser Vorbemerkung jedoch eine bewusste Verlagsstrategie: Mit dem Nimbus des Verbotenen verkaufe sich das Werk einfach besser, erklärt der Historiker. Auch wenn es hochgefährlich sei, mit dem real existierenden Antisemitismus effektheischend punkten zu wollen.

    "Das ist doch der Versuch, dieses Buch, das soweit von der Wirklichkeit entfernt ist, als das Buch der Aufklärung zu stilisieren, als das Buch, das den Finger in die Wunden legt – in eben die Wunden, die die Deutschen immer noch nicht anschauen wollen. Und das gehört wohl zum modernen Skandalisierungsmarketing dazu, zu diesem Kalkül."

    Sachliche Fehler, tendenziöse Gesprächsfetzen, Passagen voller Polemik und Beschimpfungen sowie auffallend viele Reizwörter wie Hitler, Sex, CIA und Stasi: "Allein unter Deutschen" ist literarisches Fastfood – billig, geschmacklos und wenig gehaltvoll. Viel Aufregung um einen Text, der bald vergessen ist.

    Tuvia Tenenbom: "Allein unter Deutschen - Eine Entdeckungsreise". Aus dem Amerikanischen von Michael Adrian. Suhrkamp Verlag, 431 Seiten, 16,99 Euro.