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"Literatur entsteht in der Einsamkeit"

Jahrzehntelang war Hermann Lenz ein stiller, die Anonymität suchender Schriftsteller, dessen Bücher kaum wahrgenommen wurden. Bis plötzlich nach einer Empfehlung Peter Handkes im Jahr 1973 der Ruhm auf ihn niederprasselte.

Von Christian Linder | 26.02.2013
    Die Stille war eines von Hermann Lenz’ Idealen.

    "Du erlaubst dir, Den Wald zu preisen, / Der Grasmücke zuzuhören / An einem hellen Tag im Juni, /Unbekümmert."

    Dass Wolfgang Rihm das Gedicht "Nebendraußen" vertonte, war eines der vielen Zeichen für die Aufmerksamkeit, die Hermann Lenz’ Werk seit 1973 fand. Jahrzehnte lang hatte er im Verborgenen geschrieben, ein stiller, die Anonymität suchender Schriftsteller, dessen Bücher kaum wahrgenommen wurden. Bis plötzlich der Ruhm auf ihn niederprasselte. In diesem Jahr 1973, Lenz war 60 Jahre alt, veröffentlichte Peter Handke einen längeren, sehr persönlichen Aufsatz als "Einladung, Hermann Lenz zu lesen" und eröffnete das Verständnis für dessen Bücher und den Wunsch, in eine offene Landschaft hinauszutreten und, wie es in der Erzählung "Jung und alt" heißt, einen stillstehenden Augenblick zu erleben:

    "Hohes und gebleichtes Gras erschien als ein dichtes Gespinst, goldschimmernd. Merkwürdig, dieses Gelb der Nähe und darüber das Dunkelblau des Waldes, der ferngerückt war und aussah, als wäre er von der Luft ausgewaschen worden..."

    "Literatur entsteht in der Einsamkeit und wird nur vom Einzelnen im stillen Kämmerlein verstanden. Freilich, ohne Verbindung zur Außenwelt kann nichts dargestellt werden. Und dies ist für den, der schreibt, der anregende Zwiespalt, den es zu überwinden gilt. Dass er ohne Beziehungen nach draußen nichts zustande bringt, aber der Abgeschlossenheit und Versenkung, ja am Ende gar des Nachdenkens bedarf, was nur in der Stille möglich ist."

    Hermann Lenz hat immer autobiografisch geschrieben: Eugen Rapp zum Beispiel, der Held nicht nur in seinem Roman "Neue Zeit" studiert wie der Autor in München Anfang der 1930er-Jahre Kunstgeschichte, lernt eine Jüdin kennen und hält an seiner Freundschaft zu ihr auch fest, als ihm geraten wird, sich von ihr zu trennen – eine Liebesgeschichte, die sich auch in der Wirklichkeit abgespielt hat.

    Wie Rapp beendete Lenz sein während der Nazizeit begonnenes Studium nicht. Wichtiger war für ihn die Begegnung mit dem Schriftsteller Georg von der Vring, der ihn zum Schreiben ermunterte, weil er vermutete, Lenz habe sowieso schon etwas in der Schublade. 1938 veröffentlichte die Zeitschrift "Neue Rundschau" die ersten Gedichte von Lenz. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges, den er als Soldat unter anderem in Russland überstand, fand er einen Brotberuf als Sekretär des baden-württembergischen Schriftstellerverbandes.

    Daneben schrieb er ein umfangreiches Werk, das den Verlauf der Geschichte in Süddeutschland in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschreibt; es spielt in Stuttgart, wo Lenz am 26. Februar 1913 geboren wurde, auch in München – wo er die letzten Jahre bis zu seinem Tod am 12. Mai 1998 lebte – und in Wien.

    "Verlassene Zimmer", "Der Kutscher und der Wappenmaler", "Andere Tage" – in diesen Büchern spürte er seiner eigenen und der kollektiven Vergangenheit nach, mit feinem Gespür für die psychischen Dispositionen von Menschen und die Atmosphäre einer Zeit. Ausgehend von autobiografischen Erfahrungen, sprach Lenz von sich selbst gleichwohl auf fast verschwiegene Art:

    "Er wollte nichts (von sich) erzählen, weil’s ihm lieber war, wenn ein Zwischenraum blieb."

    "Es will mir nämlich so scheinen, als sei ich zeitlebens auf einer Grenze spazieren gegangen, ... auf jener unsichtbaren zwischen Wirklichkeit, Fantasie und Traum. Denn ich habe mehrere Bücher geschrieben, in denen sich Vergangenes mit Gegenwärtigem mischt. Ich meine, Traum und Fantasie ließen jedenfalls etwas anderes ahnen als Greifbares und Schmeckbares. Weshalb es möglich sein könnte, dass auch die sogenannte Wirklichkeit ein Zwischenbezirk ist ... "

    In dem Gedicht "Nebendraußen" heißt es zum Schluss:

    "Blaue Wälder und Höhenzüge, / Die weithin gelagert sind. / Hinter Stämmen schimmern die Blätter. Froh, nicht alles wissen zu müssen, / Keine Ahnung zu haben von ... / Aber den Wald zu hören."