Literatur

Mehr als ein Kinderbuchautor

Ein Mann betrachtet am 06.11.2013 in Marbach (Baden-Württemberg) im Literaturarchiv Bilder, die den Schriftsteller Erich Kästner zeigen. Rund 3000 Bilder aus dem Nachlass Kästners liegen sauber archiviert im Marbacher Literaturarchiv.
Seine Werke wurden von den Nazis verbrannt, erst in der jungen Bundesrepublik war Erich Kästner eine angesehene Größe des Literaturbetriebs. © picture alliance / dpa / Jonas Schöll
Von Beatrix Novy · 29.07.2014
Mit "Pünktchen und Anton", "Das fliegende Klassenzimmer" oder "Das doppelte Lottchen" hat Erich Kästner die Kinderliteratur um etliche Klassiker bereichert. Aber das Schreiben von Kinderbüchern und Unterhaltungsromanen war nur eine Facette des Autors.
"Kästner gehört dem Stammbaum der unvernebelten Deutschen an, doch im allgemeinen liebt diese Nation die Leichtigkeit nicht sonderlich, sie ist ihr etwas Anrüchiges, sie zieht das Schwere vor."
Das hatte Friedrich Dürrenmatt Anfang 1974 in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" geschrieben. Als der von ihm gewürdigte Erich Kästner ein halbes Jahr später, am 29. Juli 1974, in München einer Krebserkrankung erlag, wusste Deutschland tatsächlich nicht genau, wen es da betrauern sollte. Ein Land, das zwischen E- und U-Kultur so sorgfältig unterscheidet, konnte den Verfasser freizügiger Lyrik, munterer Kinderbücher und gut verfilmbarer Unterhaltungsromane mit dem Dr. phil, dem politischen Autor und Zeitkritiker, dem Romanschriftsteller nicht unter den einen Hut bringen, den der immer korrekt gekleidete Kästner getragen hatte.
"Erst wollte er bis ans Mittelmeer,
er war schon auf halber Strecke
und stieg im Schnee und in Innsbruck umher.
Der Himmel war blau, das gefiel ihm sehr
und er staunte an jeder Ecke."
Rache am sadistischen Militärvorgesetzten
Er wurde 1899 geboren als einziges Kind eines proletarisierten Dresdner Sattlermeisters, dessen Vaterschaft ungewiss und dessen Rolle in der Familie marginal war; die Hauptrolle blieb lebenslang Erichs Mutter vorbehalten, was spätere Gefährtinnen zu ihrem Leidwesen erfahren mussten. Aber vorerst ging der aufgeweckte Erich, keineswegs ein Muttersöhnchen im klassischen Sinn, seinen Weg von der Realschule zum Lehrerseminar, von da zu Studium, Doktorat und zum Journalismus. Zwischendurch hatte der Erste Weltkrieg, vor allem in Gestalt eines sadistischen Militärvorgesetzten, die kritische Wahrnehmung des jungen Kästner geschärft:
"Sergeant Waurich hieß das Vieh, damit es jeder weiß."
Sergeant Waurich hatte die Gesundheit des Rekruten Kästner ruiniert und der rächte sich dafür mit einem Gedicht:
"Andere gehen zum Arzt, andere schreiben Gedichte."
Die Sprache ganz Neue Sachlichkeit, unpathetisch, treffsicher, die Verse sauber und gekonnt, so empfahl sich der junge Kästner der linksbürgerlichen Publizistik der 20er-Jahre. Weil er den modernen Geist offensiver Anti-Prüderie in seine Texte einbezog, verspielte er seine erste Redakteursstelle bei der "Neuen Leipziger Zeitung" - mit dem "Abendlied des Kammervirtuosen":
"Du meine neunte Sinfonie!
Wenn du das Hemd an hast mit rosa Streifen...
Komm wie ein Cello zwischen meine Knie,
Und laß mich zart in deine Seiten greifen."
Fasziniert und abgestoßen zugleich
Aus Leipzig ging Kästner weg und nach Berlin, wo die neuentdeckte Libertinage der Weimarer Republik ihre wildesten Blüten trieb. Kästner war fasziniert und abgestoßen zugleich. Besonders in seinem Roman "Der Gang vor die Hunde", den der Verlag damals als "Fabian" erscheinen ließ, tritt diese Ambiguität zutage: Man spürt im freizügigen Sittengemälde den Moralisten, als der Kästner - eine seiner vielen Zuschreibungen - ja auch immer galt. Moral war ihm aber jenseits des gesellschaftlichen Sittenkodex eine allgemeinere Richtschnur, sie war das, was die Nazis planvoll zugrunde richteten:
"Ein Staat hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das dem Menschen eingeborene Gewissen und Rechtsempfinden innerhalb der Landesgrenzen radikal auszurotten."
Obwohl er 1933 die Ehre hatte, zu den verbrannten Dichtern zu gehören, und trotz Schreibverbot hatte Kästner NS-Deutschland nicht verlassen. Mit Unverschämtheit und viel Glück frettete er sich durch, dank der Ufa, die so manchem Unerwünschten Unterschlupf bot, und lebte von dem, was er im Ausland veröffentlichte. Ausgebombt und mittellos erlebte er das chaotische Kriegsende im Schutz einer Ufa-Truppe, die sich zu frei erfundenen Dreharbeiten nach Bayern abgesetzt hatte. In München gehörte er zu den Gründern des Kabaretts "Schaubude", wo er sich das Erlebnis des Untergangs von der Seele und Ursula Herking auf den Leib schrieb.
In der jungen Bundesrepublik war Kästner eine angesehene Größe des Literaturbetriebs: PEN-Präsident, Büchner-Preisträger, populärer Autor. Seine große Zeit war es nicht mehr. Aber von "großen Zeiten" hatte er wohl auch genug.
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