Donnerstag, 25. April 2024

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Literaturklassiker im Magazinformat
"Ein bisschen ist das auch so ein trojanisches Pferd"

"Das Buch als Magazin" ist eine Zeitschrift, die zwei Mal im Jahr erscheint und immer einen Literaturklassiker als Ganzes abdruckt. Die Texte im Umfeld reichen von Interviews mit Zoologen bis hin zur Schwierigkeit der Traumdeutung. Der Klassiker soll so leichter konsumierbar sein.

Von Sandra Hoffmann | 10.06.2016
    Ein trojanisches Pferd wird am Montag (07.03.2011) beim traditionellen Springerzug in Herbstein im Vogelsberg in Anspielung an die griechische Finanzkrise durch die Stra
    Ein trojanisches Pferd (picture-alliance/dpa/lhe)
    "Ein bisschen ist das auch so ein trojanisches Pferd, also wir verstecken den Klassiker in einem Magazin, eröffnen so eine Welt um den Text drumrum, sodass der leichter konsumierbar wird, dass es Zugänge gibt dazu, dass man sich vielleicht auch traut einzelne Passagen zu lesen."
    Sagt Peter Wagner, einer der beiden Erfinder, Gründer, Macher von "Das Buch als Magazin". Zweimal jährlich erscheint die Zeitschrift, in der immer ein Klassiker der Literatur als ganzer Text abgedruckt wird. Bedingung, der Verfasser muss mehr als 70 Jahre tot sein, denn erst dann werden die Abdruckrechte frei. Aber das ist noch nicht alles. Auf eigenwillige und bisher ungekannte Weise kann man im zweiten Teil des Heftes Reportagen und kleinere journalistische Textformen lesen, Fotos betrachten, und dabei die Konnotationen entdecken, die der Journalist und Autor Peter Wagner und die Art Direktorin Joanna Mühlbauer dem Klassiker abgewinnen können. Was ist der Mehrwert so einer angereicherten Text-Edition in Zeitschriftenformat?
    Johanna Mühlbauer:
    "Ich glaub, dass das Format so viel zugänglicher ist, man hat viel weniger Scheu ein Magazin zu blättern und quer zu lesen und man geht da irgendwie spielerischer heran als an ein Buch. "
    Erschließt sich dadurch der Text für den Leser denn besser?
    Peter Wagner:
    "Wir nehmen den Leser im Grunde an die Hand, und zeigen ihm mit journalistischen Mitteln, was in dem Buch heute für ihn drinsteckt. Bei Kafka zum Beispiel, was sagt mir die Geschichte im Jahr 2013 - als unsere Heft erschienen ist - und wir haben die Geschichte durchforstet und gekuckt, wo gibt es da so Parallelen in die Gegenwart, wo gibt es Anknüpfungspunkte zu Geschichten, die wir aus dem heute erzählen könnten, und daraus sind so neun Geschichten entstanden, die in jedem Magazin 2016 auch stehen könnten und die im Subtext aber immer so einen Ansatz bei dem literarischen Klassiker haben. Und idealerweise entdeckt der Leser dadurch seinen eigenen persönlichen Zugang zum Klassiker, oder aus der Gegenwart heraus sieht er dann: Hey, jetzt verstehe ich, warum dieses Ding eigentlich die Tage überdauert hat."
    Das Heft etwa, das Schnitzlers "Traumnovelle" abdruckt, spannt den journalistischen Begleitbogen vom "Werkstattbericht eines Schlagersängers" über ein "Rotlichtviertel bei Tag und bei Nacht", Geschichten über die Angst, die Liebe zu verpassen, ein Interview mit einem Zoologen über Tiere und Gefühle, die Schwierigkeiten der Traumdeutung, die schöne episodische Erzählung von einem Polizisten über die gefährliche Nacht im Bayerischen Wald, Gespräche mit Pornodarstellern und so weiter. Die Texte sind allesamt journalistischer Natur und stark angebunden an unsere aktuelle Wirklichkeit, an unser heutiges Leben. Sie stellen sich in keinen direkten Dialog mit Schnitzlers Klassiker, sie erzählen ihre eigene Geschichte, und tatsächlich kommt es einem ein wenig so vor, als bilde sich um die "Traumnovelle" herum ein kleiner Garten aus Themen, die Anbindung, Rückbindung und im besten Fall sogar Aha-Erkenntnis schaffen für die literarische Vorlage. Die Fotografien in dieser Ausgabe stammen von Andrea Grambow und Joscha Kirchknopf und sind teilweise ziemlich schrill und viele ganz aufregend sexy, Hinkucker eben, mehr Kunst als Beiwerk und keinesfalls schlichte Illustration.
    Wie kommen die Macher zu den Geschichten und Fotos von bekannteren Autoren wie etwa dem Schriftsteller und Spiegel-Korrespondenten Markus Feldenkirchen oder noch gänzlich unbekannten, wie dem Snowboarder David Benedek, der jetzt an der Hochschule für Film und Fernsehen studiert. Und wie überhaupt kommen die Themen zu ihnen?
    Eine Geschichte, die rumlag
    Joanna Mühlbauer:
    "Also viel überlegen wir uns natürlich im Vorfeld, was für Motive stecken drin, mit wem würden wir gern arbeiten, haben wir jemanden im Kopf, wo wir denken, der könnte das super umsetzen, wir schreiben Autoren und Fotografen an und fragen nach konkreten Sachen, aber bisher ist es bei jedem Heft so gewesen, tatsächlich, dass sich so Sachen ergeben haben, also dass dann doch jemand eine Idee hatte oder eine Geschichte, die rumlag, die nirgendwo reingepasst hat, die aber perfekt in grade diese Ausgabe bei uns gepasst hat. Und das ist dann auch immer der erhebende Moment beim Heftmachen, dass man denkt, super, wir geben dem jetzt ein Zuhause und das sind so feine Sachen, die wir da bekommen. Und das ist so schön, dass die Autoren und Fotografen uns das anvertrauen, in unser Heft geben, das ist schon sehr toll.
    Wie ist das mit der Aktualität? Eine Zeitschrift versteht sich doch immer als etwas Zeitgenössisches oder Aktuelles. Für "Das Buch als Magazin" kommen jedoch keine zeitgenössischen literarischen Texte in Frage, weil man sie nicht abdrucken kann, ohne für eine so kleine Zeitschrift viel zu hohe Summen bezahlen zu müssen. Gehen da manche der literarischen Klassiker besonders gut und andere gar nicht als Vorlage für die kleinen journalistischen Formate im zweiten Teil des Hefts?
    Joanna Mühlbauer:
    Die Frage stellen wir uns immer wieder. Aktualität ist schon das Thema, also wir wollen ja den literarischen Text in die Gegenwart holen, also Bezüge herstellen zur Gegenwart, aber dann doch wieder nicht so aktuell sein, dass es verfällt. Also die Zeitlosigkeit, die ein Klassiker hat, die wollen wir mit dem zweiten Teil auch hinkriegen."
    Sinnsuche und seelsorgerische Funktion
    Natürlich sucht der Mensch immer sofort nach Schubladen, in die er diese haptisch schönen, lässig und anspruchsvoll aufgemachten, literarische Meilensteine und journalistische Rosinen transportierenden Magazine einordnen kann. Wie kann man diese Hefte nennen? Es sind keine Kulturmagazine, aber auch keine Literaturzeitschriften.
    Peter Wagner:
    "Wir sind schon als Journalisten aufgetreten, aber was wir entdeckt haben, ist dass zwei Motive immer wieder auftauchen, das eine ist so Sinnsuche, also wir versuchen in den Texten so Fragen zu beantworten, die wir selber haben, ans Leben generell, und wir sehen, dass ein Text nur dann gut wird, wenn er uns eine Antwort gibt auf eine Frage. Und das Zweite ist, ich glaube, dass Journalismus so eine seelsorgerischen Funktion haben kann, die wird gemeinhin total unterschätzt und nie angesprochen, ich glaube aber schon, dass Geschichten erzählen, gute Geschichten, Halt geben kann, Orientierung geben kann(den Leuten). Und das ist, was wir schon sehr oft hören von den Leuten, den Lesern, die so sagen: Die Geschichte hat mir wahnsinnig viel Kraft gegeben oder ich hab mich darin wieder gefunden, oder aber, stellt genau die Fragen, die ich mir auch stelle, und mit den beiden Begriffen kann ich persönlich viel anfangen, also dieses Sinnsuchende beim Geschichten entwickeln, und dann dieser Seelsorgerische Effekt beim Journalismus. Und das ist so was, was wir nach fünf bis sechs Heften entdeckt haben, das scheint unserem Arbeiten zugrunde zu liegen. Und nicht unbedingt dieses literarische Fan-Tum.
    Peter Wagner:
    Das Buch als Magazin
    Die Zeitschrift erscheint im Malus Verlag, München