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"Little Homes" in Hamburg
3,2 Quadratmeter gegen Obdachlosigkeit

Etwa 50.000 Menschen leben in Deutschland auf der Straße. Um zu helfen, hat der Fotograf Sven Lüdecke eigenhändig Unterkünfte für Obdachlose gebaut. Mit "Little Homes" sollen sie einen ersten Schritt zurück in ein geregeltes Leben finden.

Von Axel Schröder | 08.01.2020
Neun Monate lebte Dennis auf der Straße. Jetzt freut er sich über die überdachten 3,2 Quadratmeter.
Neun Monate lebte Dennis auf der Straße. Jetzt freut er sich über die überdachten 3,2 Quadratmeter. (Deutschlandradio / Axel Schröder)
Sven Lüdecke ist unterwegs, lenkt seinen Kleinbus durch den Hamburger Stadtverkehr. Rund 120 sogenannte "Little Homes" für Obdachlose hat der Profifotograf schon in ganz Deutschland aufgestellt. Auch in Hamburg-Barmbek, für Dagmar und Dennis:
"Ich fahre auch regelmäßig dann bei den Bewohnern vorbei, wenn ich irgendwie in der Nähe bin und eine Stunde Zeit habe. Dann mach ich einen Abstecher und gucke, ob es den Menschen, der im ‚Little Home‘ wohnt, gut geht."
Seit seiner Idee mit den "Little Homes" ist Lüdecke nicht mehr als Berufsfotograf unterwegs, sondern als Kümmerer. Er parkt seinen Wagen, geht die paar Schritte zum kleinen Park zu Fuß. Die Idee, Obdachlosen ein Dach überm Kopf zu zimmern, kam dem Kölner vor vier Jahren. Damals erlebt er, wie Sicherheitsleute ziemlich rüde eine wohnungslose Frau aus dem Hauptbahnhof der Domstadt werfen:
In den Baumarkt gefahren und selbst eine Box gebaut
"Und das war so für mich der Anstoß: ‚Verdammte Scheiße! Du kannst jetzt nicht mehr weggucken. Jetzt musst Du was tun!‘ Und als ich dann von meinem Fotojob in Leipzig zurückgekommen bin, bin ich in den Baumarkt gefahren und habe angefangen. Nur mit einer groben Skizze. Ich habe keine Ahnung gehabt, ob das funktioniert. Wie das aussieht. Ich habe einfach angefangen, zu bauen."
Im kalten Nieselregen begrüßt Sven Lüdecke Dennis und Dagmar. Dennis schiebt seinen Schlüssel ins Vorhängeschloss, lässt es aufschnappen. Sein Zuhause ist ein Holzhäuschen, ein Verschlag auf Rollen in Hamburg-Barmbek am Rand eines kleinen Parks:
"Das sind 3,2 Quadratmeter. Zwei Meter Schlaffläche und dann noch so ein kleiner Stauraum von ungefähr einem Meter zehn. Dann hat man noch seine Camping-Toilette und halt ein bisschen Staufläche."
"Little Homes" schützen vor Wetter - und Übergriffen
Die beiden "Little Homes" sind winzig. Vor allem für einen breiten, bulligen Typen wie Dennis. Neben ihm steht seine Mutter Dagmar. Eine schmale Frau, mit Rucksack auf dem Rücken. Blondgraue Haare, zum Zopf gebunden. Von Januar bis September 2019 haben Dagmar und Dennis auf Hamburgs Straßen gelebt. Nachdem beide erst ihren Beruf, danach noch die Wohnung verloren hatten. Auch Dagmars Reich hat klare Abmessungen: 3,2 Quadratmeter. Aber das, sagt sie, ist allemal besser als die zugigen, kalten Straßen der Hamburger Innenstadt:
"Das war für uns… die Übergriffe. Furchtbar. Leider sind die Junkies dann gekommen und wollten mich dann entweder vergewaltigen oder unsere letzte Habe wegnehmen. Und das war grausam."
Die ersten "Little Homes" hat Sven Lüdecke aus eigener Tasche bezahlt. Stückpreis: rund 1.400 Euro, ohne Arbeitszeit. Kaum waren die ersten "Little Homes" fertig und bezogen, stand fest: das ganze Projekt kann nur gelingen und groß werden, wenn mehr Hilfe da ist, mehr Geld reinkommt, erzählt Sven Lüdecke. Er gründete einen Verein, warb um Unterstützung aus der Wirtschaft und bekam sie: eine große Baumarktkette bietet Lüdecke Sonderkonditionen, eine Mietwagenfirma stellt ihm den Dienstwagen, mit dem er in ganz Deutschland unterwegs ist. Wieder andere helfen mit rechtlichem Rat oder Spenden.
Hoffnung auch auf Rückkehr ins Berufsleben
Das Wohnen in großen Holzkisten soll nur ein erster Schritt sein. Von der Straße zurück in eine eigene Wohnung. Zurück in Arbeit. Bei Dennis und Dagmar hat das fast schon geklappt. Über Sven Lüdecke und seinen Verein haben die beiden einen kleinen Job gefunden. Und hoffen nun auf eine Sozialwohnung. Lüdecke steuert seinen Bus zurück in die Innenstadt, hat noch einen Termin mit dem neuen Chef von Dennis und Dagmar, will wissen, wie es läuft, ob er helfen kann. Klar ist mir die Sache über den Kopf gewachsen, sagt Lüdecke. Aber zurück will er deshalb nicht.
"Definitiv macht das Spaß. Und das Schöne ist: man sieht auch, was passiert, was auch mit dem einzelnen Menschen passiert. Und das Schöne ist, dass das ja alles unterschiedliche Charaktere sind. Und dass wir uns jederzeit wieder einstellen müssen auf den einzelnen Menschen und auf die neue Situation. Und das ist das, was ich an dem Job liebe."