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Live und nur zwei Stunden täglich

In einem engen ehemaligen Luftschutzbunker in Hamburg fing alles an: Am 25. Dezember 1952 strahlte der Nordwestdeutsche Rundfunk das erste regelmäßige Fernsehprogramm in der Bundesrepublik Deutschland aus.

Von Hartmut Goege | 25.12.2012
    "Wir versprechen Ihnen, uns zu bemühen, dass wir auf das neue geheimnisvolle Fenster in Ihrer Wohnung, das Fenster in die Welt, auf Ihren Fernsehempfänger, alles das bringen, was Sie erfreut, Sie interessiert und Ihr Leben schöner macht."

    Groß im Bild, sprach Werner Pleister, der Intendant des Nordwestdeutschen Rundfunks, am Abend des 25. Dezember 1952 in die Kamera. Es war der etwas überhastete Start eines regelmäßigen Fernsehprogramms für Nord- und Westdeutschland. Denn vier Tage zuvor, am 21. Dezember zu Stalins Geburtstag, war das Fernsehen der DDR gestartet. Nun sollte das neue Medium auch im Westen zwei Stunden täglich zu empfangen sein. Bisher hatte es nur einige Versuchssendungen gegeben, die sich auf die Region Hamburg beschränkt hatten. In dem engen Studio eines alten Luftschutzbunkers wurde nach der Ansprache Pleisters passend zum Weihnachtsfest das Singspiel "Stille Nacht - Heilige Nacht" improvisiert und live aufgeführt, inklusive zwanzigminütiger Umbaupause. Denn Magnetaufzeichnungen gab es noch nicht.

    Am nächsten Tag dann um 20 Uhr begann der Fernsehabend im Westen auch mit der Tagesschau:

    "Hier ist das deutsche Fernsehen mit der Tagesschau und der Wetterkarte."

    Ihr erster Chefredakteur Martin Svoboda durfte sich aus Kino-Wochenschaumaterial bedienen, das er im Keller einer alten Hamburger Villa zusammenschnitt:

    "Was wir von der Wochenschau kriegten, war ja kümmerlich. Wir mussten jeden Meter nehmen, der überhaupt kam, sonst hätten wir nicht drei Mal die Woche à 15 Minuten Tagesschau machen können."

    Und so lebte das zukünftige Schlachtschiff der ARD in den ersten Jahren mehr von kuriosen und bunten als von politischen Meldungen:

    "Jetzt gibt es sie auch in Europa. Die Wäscherei mit Selbstbedienung. In Frankfurt wurde der erste öffentliche Waschsalon des Kontinents eröffnet."

    Wer sich politisch informieren wollte, las Zeitung oder hörte Radio. Zwei Stunden tägliches Fernsehen waren Anfang der 50er-Jahre noch ein elitäres Unterfangen. Denn kaum jemand konnte sich die mehr als 1000 Mark für einen Bildschirm leisten. Dass Fernsehen auch für die Programmmacher eine teure Angelegenheit würde, war den Verantwortlichen von Beginn an klar. Der Aufsichtsratsvorsitzende des NWDR Emil Dovivat erläuterte schon zwei Jahre vor dem offiziellen Start:

    "Selbstverständlich wird der kommende Fernsehfunk eine allgemein-deutsche Angelegenheit sein. Wir sind sozusagen federführend in der bahnbrechenden Arbeit auf diesem Gebiet. Aber wir haben einen Ausschuss geschaffen, der aus der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Rundfunksender zusammengesetzt ist."

    Was 1950 unter dem Namen ARD als lose Zusammenarbeit einzelner Hörfunkstationen begann, entwickelte sich mit Beginn der Fernsehära unter der Ägide des NWDR zu einem der größten Medienverbunde der Welt. Die zunehmende Faszination Fernsehen aber hatte weniger mit dem Programm zu tun, als mehr mit dem Medium selbst. Geschaut wurde alles:

    ""Schon kommt die zweite Dame – aus diesem Kästchen."
    "Sie wissen ja, warum Sie jetzt hier sind, nicht? - "Ja." – Nicht etwa, nur damit Sie jetzt überall im Bild zu sehen sind, damit man Ihr schick getupftes Kleidchen bewundert ... "
    " Ich kann vielleicht voraussagen, dass jeder Sendung eine Probe vorausgeht. Warum ich die mitgemacht habe, weiß ich nicht. Sie sind also die Frau Meier." – "Fräulein Meier."

    Erste Großereignisse im Fernsehen wie die Fußballweltmeisterschaft 1954 in Bern verhalfen dem jungen Medium zu einem rasanten Aufstieg. Ende 1952 gab es gerade mal ein paar Tausend, drei Jahre später schon fast 100.000 Geräte. Vor allem mit den Sorgen und Wünschen der ersten deutschen TV-Serie Familie Schölermann, fest verankert im deutschen Wirtschaftswunder, in der heilen Welt zwischen Nierentisch und Wohnzimmerschrank, identifizierte sich das wachsende Fernsehvolk.

    "Dann Prost auf unseren gemeinsamen Urlaub."-"Was denn, wollt ihr auch länger auf Helgoland bleiben?"-"Einen ganzen Monat!"- "Ist ja großartig. Da ließe sich ja was gemeinsam unternehmen, was?"-"Da soll ja auch alles so billig sein!"

    Und auch die Geräte wurden billiger. Als die Länder 1955 ihren Rundfunk neu regelten und sich der NWDR in den Norddeutschen und Westdeutschen Rundfunk aufteilte, standen in den Wohnstuben der Bundesrepublik schon bald eine Million Fernseher. Da waren es nur noch wenige Jahre vom Minderheitenprogramm zum Massenmedium.

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