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Liverpool Biennale
Beautiful World, Where Are You?

Die englische Hafenstadt Liverpool hat mehr als die Beatles hervorgebracht. An ungewöhnlichen Ausstellungsorten geht die 10. Biennale auf die Suche nach zeitgemäßen Formen der Kunst - und lässt die Menschen tanzen.

Von Hans Pietsch | 15.07.2018
    Silke Otto-Knapp, A series of images following one from the other (Eine aufeinander folgende Reihe von Bildern), 2018. Installationsansicht Bluecoat, Liverpool Biennial 2018: Beautiful world, where are you?
    Silke Otto-Knapp, A series of images following one from the other (Eine aufeinander folgende Reihe von Bildern), 2018. Installationsansicht Bluecoat, Liverpool Biennial 2018: Beautiful world, where are you? (Liverpool Biennial / Thierry Bal)
    "Schöne Welt, wo bist Du?", fragte Friedrich Schiller 1788 in "Die Götter Griechenlands". Die Welt war in Aufruhr, die Französische Revolution kündigte sich schon an. 1819 vertonte Franz Schubert das Gedicht, und wieder hatte sich die Welt verändert. Beide beklagen den Verlust eines paradiesähnlichen Zustandes, fordern aber auf, etwas zu tun, um diesen wieder herzustellen.
    Darum bemühen sich viele Künstler der Biennale. Der Komponist und Performer Ari Benjamin Meyers wandte sich einer Tradition Liverpools zu, die die Stadt berühmt gemacht hat:
    "Ich als Musiker - in Liverpool hat das immer etwas bedeutet. Das ist eine Musikstadt, und deswegen war es mir von Anfang klar, dass ich etwas mit der Stadt machen wollte, mit der Musikgeschichte von Liverpool. Und vielleicht auch eine Musikgeschichte entdecken, die nicht nur die Beatles als Ausgangspunkt hat."
    Vier Musiker von vier Bands wählte sich Meyers aus. Er komponierte für sie Musik, die sie auf der Bühne des Playhouse Theaters interpretierten. Er filmte sie und zeigt den Film auf drei auf der Bühne aufgebauten Leinwänden. Vier lyrische Geschichten aus Liverpool, vier Arten des Musikmachens.
    Hegemonialmacht England
    Doch die ehemalige Hafenstadt hat auch eine unrühmliche Geschichte, zwei Trockendocks aus dem 18. Jahrhundert zeugen davon. Hier wurden die Sklavenschiffe repariert, die mehr als eineinhalb Millionen Sklaven von Afrika nach Amerika verschifften. Auf großformatigen Fotos zeigt der Nigerianer George Osodi in der Galerie Open Eye die Stammesfürsten des Landes, deren Vorfahren während der Sklavenzeit Könige waren. Ebenfalls dort läuft ein poetischer Film von Madiha Aijaz über eine Bibliothek in Karachi, in dem sich die Bibliothekare über die Dominanz der englischen Sprache beklagen. Um die Nachwirkungen des Kolonialismus geht auch es in der Tate Liverpool. So kreierte etwa Dale Harding, ein Nachfahre der Ureinwohner Australiens, ein Wandgemälde, für das er Pigmente mit dem Mund an die Wand blies.
    Die Organisatoren fanden auch ungewöhnliche Ausstellungsorte. In den Kellergewölben der St. George's Hall, die als Gefängniszellen dienten, zeigt Aslan Gaisumov zwei Filme über den Kampf der Tschetschenen. Im heruntergekommenen Stadtteil Toxteth legte der Franco-Algerier Mohamed Bourouissa mit Schulkindern einen "Garten der Widerstandskraft" an, mit einheimischen und exotischen Pflanzen, den die Bewohner des Viertels auch nach der Biennale nutzen können.
    Schöne Welt im Innern
    Ein Höhepunkt der Biennale ist eine kleine Schau der legendären französischen Regisseurin Agnès Varda, mit Fotos und vor allem einem neuen Drei-Kanal-Film. "3 Movements" stellt auf drei Leinwänden Szenen aus drei ihrer über 20 Jahre entstandenen Filme zusammen, eine machtvolle Meditation der 90-Jährigen über Gewalt und die Stellung des Individuums in der Gesellschaft.
    Nicht alles auf der Biennale ist gelungen, doch es gibt Höhepunkte, die man so schnell nicht vergisst, wie die deutsche Malerin Silke Otto-Knapp, die für einen Raum in der Bluecoat Gallery ein durchgehendes Gemälde geschaffen hat, fast monochrom, mit tanzenden Menschen.
    "Also ich arbeite mit Aquarellfarbe, direkt auf Leinwand, und das ist so ein ungewöhnlicher Aquarellprozess, weil ich das Pigment immer wieder auswasche. Mit sehr viel Wasser, und so das Pigment auflöse, ablöse von der Leinwand. Das legt sich dann wieder auf, wie ein Sedimentierungsprozess an anderen Stellen. Und so entsteht dieses kontrastreiche Spiel, man nimmt das als Schwarz-Weiß-Kontrast wahr, aber ist natürlich Grautöne, die dort entstehen"
    Der Künstlerin geht es bei ihrer Arbeit hauptsächlich um formale Fragen, doch ihre Tänzer strahlen eine ansteckende Lebensfreude aus. Sie haben ihre "Schöne Welt" im Inneren gefunden, wie auch Ari Benjamin Meyers' vier Musiker.
    "Vielleicht will diese Arbeit zeigen: Das ist in uns, das müssen wir finden. In meinem Fall durch die Musik, aber jeder kann etwas Anderes finden. Wir sehen vier Menschen, die diese Schönheit und diese schöne Welt gefunden haben für sich durch ihre Musik und ihren Ausdruck von Musik."