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Lobbyarbeit im Klassenzimmer

Einem Forschungsprojekt der Uni Augsburg zufolge beteiligen sich 16 von 20 der umsatzstärksten Unternehmen an der Produktion von Schulmaterialien. Es sei eine indirekte Art, die Meinung und Stimmung in der Bevölkerung zu beeinflussen, meint Felix Kamella von LobbyControl.

Felix Kamella im Gespräch mit Manfred Götzke | 02.05.2013
    Manfred Götzke: "Kaum ein Instrument formt die Kultur eines Landes stärker als die Unterrichtsmaterialien, die in Schulen verwendet werden", hat das britische Magazin "The Economist" vor ein paar Monaten mal beschrieben. Viele Lobbyisten, die sehen das ganz genau so: Sie sponsern den finanziell ausgetrockneten Schulen zunehmend Klassenfahrten, veröffentlichen Schulbücher und spammen Schulen mit Hunderttausenden Arbeitsblättern zu. Die Organisation LobbyControl, die warnt davor jetzt in einem Diskussionspapier und sagt, Lobbyisten hätten Schulen als neues Handlungsfeld für sich entdeckt. Geschrieben hat das Papier Felix Kamella, und der ist jetzt bei mir im Studio. Herr Kamella, eigentlich ist ja das Ziel von Lobbyismus, politische Entscheidungen zu beeinflussen. Da sind sie in Schulen ja erst mal falsch.

    Felix Kamella: Ja, Lobbyisten nehmen zum einen direkt Einfluss auf die Politik, sie versuchen aber auch, indirekt Einfluss zu nehmen. Im Englischen heißt das Deep Lobbying, das ist die erweiterte Lobbyarbeit, mit der man versucht, Diskurse, Meinungen, Stimmung in der Bevölkerung zu beeinflussen, und das Motto, was dabei eigentlich gilt, ist je früher, desto besser. Und deswegen sind Lobbyisten eben auch an Schulen aktiv mit dem Ziel, dann indirekt Einfluss auf die Politik zu nehmen.

    Götzke: Geht es da tatsächlich darum, Einfluss auf die Politik zu nehmen, oder eher um eine Art von Werbung, die sich an die Schüler richtet?

    Kamella: Also es gibt beides, und die Grenzen sind auch fließend. Es gibt zum einen die Produktwerbung, die sich mit Kinderprodukten eigentlich direkt an die Schüler wendet, es geht darum, den Schüler Kunden von morgen anzusprechen als, aber es geht eben darum, auch beispielsweise aus Sicht von Wirtschaftsverbänden die eigene Meinung in die Bevölkerung zu tragen, ein unternehmerisches Bild zu vermitteln, und da ist dann die Schule schon auch geeigneter Ort, um indirekt Einfluss auf die Politik zu nehmen.

    Götzke: Einige Schulen kooperieren ganz konkret mit Unternehmen. ExxonMobil sponsert Gymnasien Ausflüge, spendet Geld – was ist grundsätzlich so schlimm daran, wenn Unternehmen unterfinanzierten Schulen unter die Arme greifen?

    Kamella: Wenn Lobbyisten an Schulen aktiv sind, dann ist es so, dass die Inhalte diesem Ziel der Einflussnahme untergeordnet werden, und dann werden sie einseitig, dann werden sie manipulativ, und dann geht es eben nicht mehr um Bildung, sondern um Meinungsmache. Und natürlich werden diese Aktivitäten so dargestellt, so verpackt, dass es den Schulen relativ leicht fällt, dem zuzusagen. Und deswegen sind diese Spenden, die dann damit verbunden sind, Ausflüge, Teil der Strategie, das Ganze so darzustellen, dass man sich als Schule eben leichter drauf einlässt, und das große Problem der Unterfinanzierung von Bildung, was da eigentlich zum Ausdruck kommt, führt dann eben dazu, dass Schulen, die sich nicht darauf einlassen wollen, die eben sagen, wir wollen eigentlich keine ExxonMobil-Schule sein, dass die dann ins Hintertreffen geraten, weil sie eben nicht den tollen Computerraum eben zur Verfügung haben.

    "Das ist kein Einzelfall mehr"
    Götzke: Welchen Umfang hat das denn?

    Kamella: Das lässt sich gar nicht so leicht sagen, weil es da bisher kaum wissenschaftliche Forschung zu dem Thema gibt. Es gibt jetzt ein erstes Projekt von der Universität Augsburg, die untersuchen, wie verbreitet diese Materialien tatsächlich sind, und ein Zwischenergebnis war, dass von den 20 umsatzstärksten Unternehmen 16 an der Produktion von Schulmaterialien beteiligt sind. Das heißt, es ist mittlerweile nicht mehr nur in Einzelfällen, sondern flächendeckend, da werden diese Materialien bereitgestellt, gibt es auch Kooperationen. Also das ist kein Einzelfall mehr.

    Götzke: Das eine ist ja, wenn Unternehmen Materialien, Broschüren oder Ähnliches für Unterrichtszwecke bereitstellen, das aufarbeiten, das andere ist ja, dass Lehrer tatsächlich ja die Möglichkeit haben, das kritisch zu hinterfragen, die müssen das ja nicht einsetzen. Trauen Sie den Lehrern nicht zu, dass sie so was auch gewichten können und auch andere Informationen zuliefern können, wenn beispielsweise eine Broschüre der Deutschen Bank dort in den Unterricht Eingang findet?

    Kamella: Also es gibt natürlich Lehrerinnen und Lehrer, die sich da kritisch mit auseinandersetzen, absolut, es gibt eben aber auch welche, die dass nicht tun. Und man muss immer dazu denken, dass diese Einflussfaktoren, dass man die nicht unterschätzen darf, dass Lehrer häufig fachfremd unterrichten, dass man im Arbeitsalltag auch gar nicht die Zeit hat, sich dann mal abends hinzusetzen und zu schauen, wer hat das eigentlich finanziert, wer steckt dahinter, was hat der möglicherweise für Interessen. Da ist ja viel, viel Zeitaufwand mit verbunden, den man im Arbeitsalltag nicht unbedingt hat. Und diese Türöffner, nämlich dass diese Materialien so eingepackt werden, dass es auf den ersten und zweiten Blick eigentlich ganz positiv aussieht, und erst auf den dritten Blick sich diese Einflussnahme offenbart, wenn man beispielsweise Pro und Kontra bereitstellt. Das sieht auf den ersten Blick erst mal ganz nett aus, aber man muss dann natürlich das Thema auch wirklich gut kennen, um erkennen zu können, dass das wichtigste Argument vielleicht fehlt. Und das ist im Arbeitsalltag tatsächlich nicht immer so leicht zu leisten.

    "Wir fordern die Politik auf, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen"
    Götzke: Jetzt gibt es ja in vielen Bundesländern Gesetze, Schulgesetze, die untersagen, dass Unternehmen an Schulen werben. Somit wären diese Aktivitäten, wenn die in Schulen Eingang finden, ja quasi illegal.

    Kamella: Die Gesetze gibt es, die sind nur leider so formuliert, dass sie eigentlich nicht praxistauglich sind. Wir haben uns das in NRW mal genauer angeschaut, und da steht dann im Schulgesetz, dass Werbung grundsätzlich verboten ist, wenn sie dem schulischen Zweck widerspricht, und dann ist es Aufgabe der Schulleitung, zu entscheiden, was bedeutet grundsätzlich, und wann widerspricht oder entspricht Werbung dem schulischen Zweck, und das ist natürlich eine schwierige Entscheidung, die sehr weit ausgelegt werden kann.

    Götzke: Ja, das ist ein Gummiparagraf. Was fordern Sie konkret, was sollte sich ändern bei diesem Thema?

    Kamella: Wir fordern ganz konkret die Politik auf, sich aktiv mit dem Thema auseinanderzusetzen. Die Schule muss die kritische Auseinandersetzung mit diesen Aktivitäten fördern, deswegen haben wir jetzt auch einen offenen Brief an die Kultusminister auf unserer Website veröffentlicht, die man noch unterzeichnen kann, mit dem wir die Kultusminister auffordern, aktiv zu handeln, und dann müssen sich natürlich auch die Schulen aktiv damit beschäftigen. Man kann diese Materialien ja auch nutzen, um das Thema Lobbyismus an Schulen zu thematisieren und mit den Schülerinnen und Schülern mal versuchen, die einseitigen Stellen herauszuarbeiten.

    Götzke: Lobbyisten unterwandern zunehmend die Schulen mit Sponsoring, Schulbüchern und diversen Broschüren. Felix Kamella von LobbyControl findet das problematisch. Vielen Dank!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.