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Lockenhaus
Kammermusik in stilistischer Vielfalt

Europäische Kammermusik und vor allem selten gespielte Werke stehen im Mittelpunkt beim Festival in Lockenhaus. Mit dem künstlerischen Leiter Nicolas Altsteadt hat sich seit 2012 die Vielfalt immer weiter gefächert - in diesem Jahr mit Improvisationen zu Stummfilmklassikern und einer "African Night".

Von Marcus Stäbler | 15.07.2019
    Weiße Festung der mittelalterlichen Burg Lockenhaus
    Das Festival findet unter anderem in der mittelalterlichen Burg Lockenhaus statt (picture alliance/dpa - Hans Ringhofer)
    Ungewohnte Sounds in der barocken Pfarrkirche in Lockenhaus. In einer "African Night" präsentiert der südafrikanische Cellist und Sänger Abel Selaocoe mit zwei Kollegen seiner Band Chesaba einen Mix aus süd- und westafrikanischer Musik. Eine spannende Begegnung, auch für den Festivalintendanten Nicolas Altstaedt.
    "Die drei fand ich total faszinierend, weil sie erst zwei-dreimal zusammen gespielt haben und es sich trotzdem so anhört, als würden sie sich seit dreißig Jahren kennen. Und es gibt so viel, was wir von ihnen lernen können, was Rhythmusgefühl angeht, was Improvisation angeht."
    Weit gefasster Begriff von Kammermusik
    Mit der "African Night" am vergangenen Donnerstag bekannte sich Nicolas Altstaedt besonders deutlich zu einem weit gefassten Begriff von Kammermusik. Er hat die stilistische Vielfalt, die schon zu Gidon Kremers Zeiten zum Profil des Festivals gehörte, nach und nach immer breiter gefächert. Etwa mit den Filmmusiksessions des Pianisten Nicholas Rimmer und des Schlagwerkers Johannes Fischer – in diesem Jahr mit einer kongenialen Improvisation zu Fritz Langs Stummfilmklassiker "Metropolis" zu erleben.
    Im Zentrum des Festivalprogramms steht jedoch nach wie vor die komponierte Kammermusik der europäischen Tradition, von Bach bis Sciarrino, von Beethoven bis Schönberg – mit einem Schwerpunkt auf selten gespielten Werken.
    Altstaedt: "Man versucht sein Repertoire immer zu erweitern, es gibt so viele Kompositionen, von denen wir gar nicht wissen, es gibt so viele Kompositionen, die vernachlässigt sind. Es gibt auch viele Komponisten, die vielleicht gar nicht so zu Unrecht vergessen sind, weil dann doch mal etwas Substanz fehlt. Aber ich möchte es zumindest ausprobieren und es gibt immer einige Juwelen dabei."
    Auch der Lockenhauser Jahrgang 2019 förderte Juwelen und kammermusikalische Fundstücke zu Tage. Eine schwelgerische Suite von Erich Wolfgang Korngold. Ein Klaviertrio von Joaquin Turina. Eine Violinsonate von Mieczyslaw Weinberg, gespielt vom Festivalgründer Gidon Kremer, der nach mehrjähriger Pause nach Lockenhaus zurückkehrte. Und ein Streichtrio von Jean Francaix, mit einem zauberhaften Andante-Satz.
    Der deutsche Geiger Tobias Feldmann, der französische Bratscher Adrien Boisseau – einige Jahre Mitglied im Quatuor Ebène – und der südafrikanische Cellist Abel Selaocoe bildeten hier eins jener typischen Ad-Hoc-Ensembles, die erst vor Ort in Lockenhaus entstehen und trotz kurzer Probenzeit ein erstaunliches Maß an Homogenität und Präzision erreichen. Ein Beleg für das durchweg hohe künstlerische Niveau und die besondere Wachsamkeit der Interpreten.
    Zeit zur Muße
    Eine ansteckende Spielfreude gehört zu den Markenzeichen der Lockenhauser Konzerte. Abseits des normalen Konzertbetriebs mit seinen dicht gedrängten Terminen und dem täglichen Reisestress, finden die Musiker hier wieder die Muße, zu den Ursprüngen ihres Berufs zurück zu kehren. Darauf zielte auch das Festivalmotto "Authentikos", sagt Altstaedt.
    "Es geht eigentlich nur um diese eine Sache. Wir verdienen hier kein Geld, wir haben hier keine Glamour-Plattform, sondern wir treffen uns einfach hier, um uns mit Musik auseinanderzusetzen, ein reiches Leben zu führen, mit Musik und Kunst, und das kann man, wenn man sich mit Leuten austauscht, die dieselbe Leidenschaft und Offenheit haben, das ist etwas paradiesisches, so ein Ideal."
    Um diesem Ideal möglichst nahe zu kommen, hat Nicolas Altstaedt einen Kreis aus Gleichgesinnten um sich geschart. Sie alle vereint die Freude an der Entdeckung, die Bereitschaft sich auf Neues einzulassen und eine große stilistische Flexibilität, die auch Altstaedt selbst auszeichnet.
    Musiker wie der Pianist Alexander Lonquich, der Geiger Ilya Gringolts und der Schlagwerker Johannes Fischer gehören zu den Stammgästen in Lockenhaus, seit Altstaedt das Festival übernommen hat; dieser Zirkel von engen Vertrauten wird ständig erweitert.
    "Ich hatte viele neue Künstler in den letzten Jahren bei Konzerten kennen gelernt, bei denen ich dachte, das wäre toll, wenn sie nach Lockenhaus kommen. Und dann habe ich mich sehr gefreut, dass sie hier sein konnten und zu dieser Vielfalt beitragen."
    Größte Entdeckung: Sopranistin Fatma Said
    Der Geiger Tobias Feldmann hat diese Vielfalt in Lockenhaus ebenso bereichert wie seine niederländische Kollegin Rosanne Philippens, die auch an einem Meisterkurs des legendären Pädagogen Eberhard Feltz teilnahm. Die größte Entdeckung war jedoch die erst 28-jährige ägyptische Sopranistin Fatma Said.
    Bei ihrem sensationellen Lockenhaus-Debüt begeisterte die Sängerin mit ihrem warmen und wandlungsfähigen Timbre, einer natürlichen Bühnenpräsenz und einer organischen Textgestaltung, sei es auf Spanisch, Deutsch oder Französisch. Unterstützt vom fabelhaften Julius Drake als Klavierpartner, verströmte Fatma Said genau jene ansteckende Musizier- und Kommunikationslust, die sich in Lockenhaus oft besonders nahe und ungeschminkt vermittelt.
    "Das Gefühl hat auch das Publikum meiner Meinung nach. Weil sie sehen, wie uns das gefällt und wie wir das genießen. Und ich denke, wenn Leute das sehen können, dann genießen sie das auch mit uns. Wir werden Eins, man hat diesen Austausch von Energie. Und darum geht es, Musik mit allen zu teilen."