Donnerstag, 25. April 2024

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Lösch-Schauspiel in Essen
Authentisch und erotisch

In Essen irrt Odysseus mit seinen Gefährten zwischen gefährlichen Abenteuern und sexuellen Fantasien auf der Bühne umher. Parallel zur Homer-Sage erzählen Sinti und Roma ihre bedrückenden Geschichten über Ausgrenzung und Gewalt. Eine Inszenierung voller Anklagen.

Von Hartmut Krug | 20.09.2014
    Sie trinken Rotwein und speisen am weißen Tisch, Odysseus und seine Gefährten. Gekleidet in weiße Hosenanzüge und mit weißen Perücken erzählen und spielen sie sich durch Etappen der abenteuerlichen Heimfahrt des Odysseus. Oft erzählen sie chorisch:
    "Singe mir Muse, das Lied vom listigen Helden, der weithin schweifte,
    nachdem er die heilige Festung von Troja vernichtete.
    Städte und Denkart zahlreicher Menschen lernte er kennen."
    Wo auch immer Odysseus und seine Gefährten hinkommen, da nehmen sie sich, was sie wollen: Frauen, Erotik, Rinder, Schafe, Käse. Es ist eine kolonisatorische und touristische Reise, oft voller erotischer Wunschvorstellungen, aber auch voller Ängste vor den Fremden.
    Im Hintergrund der Bühne dreht sich ein aufgeklapptes Haus, das als Projektions- und Spielfläche für die Erlebnisse mit Fremden in der Fremde dient. Oft werden diese mit Bildern heutiger Populärkultur gezeigt. So, wenn die Griechen bei den Lotophagen freigebig mit der Droge Lotus versorgt werden und dabei in eine fantastische Sexorgie mit verführerischen Frauen gezogen werden. Auf der nächsten Station kommen sie zu Menschen, die mit ihren Kopftüchern und Fellwesten wie eine osteuropäische Folkloregruppe wirken. Gegenüber den vielen Schwangeren in dieser Gruppe benehmen sich die Reisenden wie Sozialarbeiter mit guten Ratschlägen zur Verhütung. Dann wieder wird Odysseus auf einer nächsten Reisestation von Calypso unter Palmen in der Südsee sexuell versorgt, eine komische Szene wie aus der Karibikwerbung.
    Frauen auf der Reise des Odysseus durch die Fremde sind eben fremdartige Lustobjekte, Männer dagegen erscheinen vor allem als gefährlich.
    Wie der Zyklop, der hier als dick-ausgestopftes Superproll-Monster im Trainingsanzug daher kommt. Vor schäbigen, niedrigen Steinhäusern nebst Fernseh-Schüssel tobt er mit Bierkisten und seinem Fernseher als Wurfgeschossen vergeblich hinter Odysseus her.
    Eine Anklage gegen Vorurteile
    Die Inszenierung von Volker Lösch erzählt mit den Erlebnissen von Odysseus, wie die imaginierten Bilder vom Fremden sich erst entwickeln, dann verfestigen und tradieren und schließlich als Klischees enden.
    Im Zentrum der Klischees stehen die Roma. Die sind, weil ohne eigenes Land und ohne Identität außerhalb jeder gesellschaftlichen Strukturen lebend, die ideale Projektionsfläche.
    Schwarz gekleidet und mit schwarzen Perücken, drängen die Roma sich in den Rollen der Fremden in die Geschichte von Odysseus.
    "Wir haben einen Opa in Serbien, der muss von 100 Euro Rente im Monat leben. Und die Lebensmittelpreise sind die gleichen wie hier."
    "Es ist wie im KZ. Du lebst zu Hause, hast nichts zu essen. Du gehst auf die Straße, wirst diskriminiert. Du gehst zum Arzt und wirst wie die letzte Drecksau behandelt, einfach, weil du Roma bist."
    Das spielsicher homogene Ensemble umfasst fünf Roma, eine Sintessa und sechs Essener Schauspieler. Falsche Authentizität gibt es nicht, auch wenn die Roma aus ihren eigenen Erfahrungen und aus ihren Familiengeschichten erzählen. Mal gehen sie bettelnd und dabei die Asylgesetze anklagend direkt hinein ins Publikum, dann finden sie sich bei Odysseus Besuch im Totenreich in einer Art Gedächtnisfeier für die unter den Nationalsozialisten im KZ ermordeten Roma und Sinti. Eine Szene, in der mit deutschem Erinnerungskitsch die Roma auf peinlich verlogene Weise so uninteressiert wie beiläufig vereinnahmt werden.
    Die Roma werden durchaus mit den Widersprüchen ihrer Lebensweise gezeigt. Sie sind auch, aber nicht nur, die schlimm behandelten Opfer. Sondern Individuen mit all ihren unterschiedlichen Eigenschaften.
    Dem Regisseur Volker Lösch wird oft Plakativität und Eindimensionalität vorgeworfen. Doch wie er hier die Entwicklungsgeschichte über die Herrschaft der Bilder vom Fremden erzählt und zugleich immer wieder Selbstdarstellungen von Roma dazwischen schneidet, das wirkt nie eindimensional, sondern eher als fragende Bestandsaufnahme von Vor- und Urteilen.