Dienstag, 16. April 2024

Archiv


Löwer: Schavan soll persönliche Stellungnahme für sich nutzen

Wenn Annette Schavan "in einem erheblichen Maße" unkenntliche Zitate in ihrer Doktorarbeit genutzt haben sollte, dann würde man eine täuschende Absicht annehmen, sagt Wolfgang Löwer. Der Professor für Wissenschaftsrecht betont aber, dass die Düsseldorfer Prüfungskommission das nach einer Anhörung der Ministerin entscheiden müsse.

Wolfgang Löwer im Gespräch mit Friedbert Meurer | 16.10.2012
    Friedbert Meurer: Karl-Theodor zu Guttenberg, Silvana Koch-Merin, Jorge Chatzimarkakis, Veronika Saß - das ist Edmund Stoibers Tochter -, vier Prominente, oder eben die Tochter, deren Doktorarbeiten nachträglich aberkannt wurden. Erlegt von Plagiatsjägern? Das trifft nur bedingt zu, denn nicht die Plagiatsjäger, die Plattformen GuttenPlag oder VroniPlag haben die Politiker beziehungsweise ihren Nachwuchs um den Doktortitel gebracht, sondern es waren die jeweiligen Universitäten, die nach Prüfung zum Ergebnis gekommen sind, da wurden wir getäuscht. Was wurde aus anderen Plagiatsfällen? (MP3-Audio) Grit Lieder blickt zunächst zurück.

    Grit Lieder aus Berlin mit prominenten Plagiatsfällen, oder sollten die sich hinterher eben doch nicht als Plagiat herausgestellt haben. Wolfgang Löwer ist Professor für Wissenschaftsrecht an der Universität Bonn. Guten Morgen, Herr Löwer!

    Wolfgang Löwer: Guten Morgen!

    Meurer: Wie eng wird es für Annette Schavan?

    Löwer: Das weiß ich selbstverständlich nicht, weil ich kenne weder die Arbeit, noch habe ich die vorliegende Sachverhaltsermittlung und Würdigung des Vorsitzenden der Untersuchungskommission in Düsseldorf gelesen. Was ich weiß, ist aus der medialen Berichterstattung, dass der Fall offenbar nicht so einfach liegt, wie die Fälle, die Sie eben im Vorspann zitiert haben, also in die Kiste Freiherr zu Guttenberg gehört die Geschichte offenbar nicht, was natürlich nicht heißt, dass das Althusmann-Schicksal auch auf Frau Schavan wartet, also sozusagen mit der Bescheinigung von erheblichen Schwächen in der Arbeit davonzukommen. Das wird die Düsseldorfer Kommission nach Anhörung von Frau Schavan entscheiden müssen.

    Meurer: Ein entscheidender Punkt ist ja, dass Annette Schavan Sätze, Absätze zitiert, schreibt und sie nicht als Zitat kenntlich macht. Es fehlen die Fußnoten, es fehlt die Quelle.

    Löwer: Wenn das in einem erheblichen Maße in der Arbeit der Fall sein sollte - was ich nicht weiß -, dann ist natürlich die Entziehung eine naheliegende Entscheidung. Wenn das in zwei, drei Fällen passiert ist, dann ist so was auch mit Flüchtigkeit erklärlich, dass dann da eine Täuschungsabsicht hinter steht, das ist dann damit noch nicht gesagt. Aber der Bericht nimmt das ja wohl an.

    Meurer: Wenn es über 70 mal vorkommt, dann ... ? Was sagen Sie dann?

    Löwer: Also wenn der Fall genau so ist, wie Sie gerade sagen - es ist fremdes geistiges Eigentum verwendet worden, es fehlt jeder Hinweis darauf, also ich weiß gar nicht, dass jemand anders zu mir spricht als die Autorin dieser Arbeit -, dann allerdings würde man wegen der Dichte der Fälle auch annehmen, dass das in täuschender Absicht geschehen ist.

    Meurer: Ist das täuschende Absicht, oder hätte dann die Autorin Schavan - ich sage mal - Fünfe Grade sein lassen beim Zitieren?

    Löwer: Na ja, das kommt jetzt darauf an, in welcher Intensität das zu beobachten ist. Wenn das ein Werkmuster ist, dass dort, wo Sie nicht in der Lage sind, sich den Text selbst anzuverwandeln und eine Position mit eigenen Worten wiederzugeben, also wenn das in einem hohen Ausmaß zu beobachten ist, dann wird man die Täuschungsabsicht bejahen müssen, weil dann hat jemand seine persönliche Schwäche, mit dem Zeug zurechtzukommen, durch eine solche Zitierweise überdeckt.

    Meurer: Es gibt ja auch Kritik am Vorgehen der Universität Düsseldorf, es gibt einen einzigen Gutachter, das Gutachten ist an die Medien weitergegeben worden. Was sagen Sie zu den Vorgängen an der Universität Düsseldorf?

    Löwer: Zunächst mal ist es kein Gutachten, wie nun unablässig zitiert wird. Der Vorsitzende der Untersuchungskommission hat sich mit der Arbeit offenbar sehr sorgfältig und sozusagen philologisch höchst lobenswert beschäftigt als Vorsitzender der Untersuchungskommission und hat die Befunde unter die Vorschriften für die Entziehung subsumiert. Mit einem Gutachten assoziiert man, dass ein Außenstehender mit überlegenem Sachverstand eine Expertise abgegeben hat - das ist hier nicht der Fall, sondern der Vorsitzende hat das getan, was einer oder zwei Leute in so einer Kommission notwendig tun müssen, in aller Genauigkeit sich mit der Arbeit beschäftigen und ein Votum erstatten, wie denn eigentlich der Fall zu beobachten und zu beurteilen ist. Insoweit ist alles in Ordnung, und alles richtig. Wir haben immer in diesem Fällen in Bonn zwei Kollegen damit beauftragt, diese Sachverhaltsermittlung vorzunehmen.

    Meurer: Also auch kein externer Kollege bei Ihnen?

    Löwer: Nein, das würde sich nur empfehlen, wenn völlig unsicher ist, wie der Fall zu beurteilen ist, also wenn da plötzlich, was weiß ich, was für den Kollegen kein Problem gewesen wäre, hebräische Zitate drin sind, dann können Sie das nicht mehr selbst beurteilen, dann müssen Sie jemanden von außen nehmen.

    Meurer: Sind zwei besser als einer?

    Löwer: Also im Gerichtsverfahren lassen wir ja auch einen Richter im Kollegium das Votum erstatten. Ich finde zwei immer besser als einer, weil dann man abgleichen kann, ob denn die beiden bei ihrer Prüfung zu einer übereinstimmenden Tatsachenfeststellung und Würdigung gekommen sind.

    Meurer: Es gibt jetzt die Vorprüfung - wir nennen es jetzt also mal nicht Gutachten - von Stefan Rohrbacher, Professor für jüdische Studien, Prodekan, Philosophische Fakultät in Düsseldorf. Jetzt geht das morgen in den Promotionsausschuss, Rohrbacher ist Vorsitzender dieses Promotionsausschusses. Wie müssen wir uns vorstellen, was da jetzt stattfindet?

    Löwer: Die Kollegen werden sich, werden die Arbeit jeder auf dem Tisch haben, und sie werden Herrn Rohrbachers Votum auf dem Tisch haben und werden sich jetzt im Kollegium überlegen, welche Fragen - also erstens, teilen wir die Sachverhalte, die Einschätzung der Sachverhalte, und teilen wir vorläufig die Würdigung? Dann müssen Sie sich überlegen, welche Fragen an Frau Schavan gestellt werden, denn noch ist Frau Schavan ja nicht mal angehört worden. Ich meine, das ist das, was jetzt als Nächstes passieren muss. Die Kommission wird Mittwoch beschließen, mit Frau Schavan einen Anhörungstermin zu vereinbaren, Frau Schavan kann jetzt schriftlich dazu Stellung nehmen und mündlich dazu Stellung nehmen. Ich bevorzuge immer mündliches Stellungnehmen, weil ich gucke einem gerne in die Augen, wenn ich über moralische Fragen mit ihm debattieren muss.

    Meurer: Haben Sie schon mal erlebt, dass jemand die Aberkennung seiner Dissertation nachträglich in einer Anhörung abwenden konnte?

    Löwer: Nein, das habe ich nicht erlebt, weil ich habe auch nur Fälle erlebt, die keine Grenzfälle gewesen sind. Wenn das ein Grenzfall ist, kann das schwierig werden.

    Meurer: Sie empfehlen jedenfalls der Ministerin, persönlich an der Universität Düsseldorf, an der Heinrich-Heine-Uni, zu erscheinen?

    Löwer: Immer. Also ich halte das für einen Fehler, wenn man sich nicht auch persönlich einer solchen Situation stellt, und ich meine, die Empathie mit einem Buch mag gering sein, die Empathie mit einer Person mag erheblich größer sein. Mindestens diesen Faktor sollte man ja nicht außer Acht lassen und für sich zu nutzen versuchen.

    Meurer: Wolfgang Löwer, Professor für Wissenschaftsrecht an der Universität Bonn zum Fall Annette Schavan zur Frage, hat sie plagiiert oder nicht, ihre Doktorarbeit aus dem Jahr 1980. Herr Löwe, schönen Dank nach Bonn und auf Wiederhören!

    Löwer: Wiederhören, Herr Maurer!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.