Sonntagmorgen in Hampstead, Nordlondon: Verlassene Straßen, ferne Glocken. Aus einer Villa schwebt Klaviermusik. Ein Hund zerrt sein Herrchen in Richtung Hampstead Heath.
"Ein perfekter Frühsommertag. Und das an einem Feiertag. Das grenzt an ein Wunder."
Paul Keyte, kompakt, adrett, Anfang 40, blickt liebevoll auf seinen Begleiter.
"Freddie ist ein Border Terrier, einfach niedlich. Und ein Gesicht wie George Clooney."
Die Avenue, das große grüne Entree zur Heath. Gut 400 Meter lang, eine Kathedrale aus Blättern und Bäumen.
"Stets perfekt, auch im Winter, da gleicht sie einem expressionistischen Gemälde. Die Leute in der Avenue sehen immer glücklich aus. Weil sie den Spaziergang entweder beginnen - oder beenden."
Paul ist Philosoph, in Oxford ausgebildet. In seinem Leben gibt es eine große Passion. Er zieht seinen IPod aus der Tasche.
"Ich liebe Schubert. Normalerweise lausche ich seinen Liedern, wenn ich über die Heath wandere. Ich weiß genau, bis zu welchem Baum die 'Winterreise' geht oder die 'Schöne Müllerin'. Meine Frau findet das schrecklich. Sie sagt, ich solle mich lieber auf die Natur konzentrieren, oder auf sie.
Viele große Schriftsteller wanderten über die Heath. Der Maler Constable machte Wolkenstudien. Die Dichter Keats und Coleridge wohnten in der Nähe, Charles Dickens ebenfalls. Im 19 Jahrhundert war Hampstead noch ein Dorf hoch über London - die Leute kamen, um dem Smog zu entgehen. Vielleicht sind deswegen so viel Berühmtheiten in Hampstead gestorben."
Heute sieht man moderne Celebrities auf der Heath: Fußballer, Filmstars, Popidole. Aber nur am frühen Morgen, sie wollen nicht erkannt werden.
Hundehalter hingegen begrüßen sich, das gehört zur Hunde-Etiquette. Weitere Gebote:
"Du darfst keinen fremden Hund anschreien. Du musst fremden Hunden trauen. Hampstead-Hunde sind augesprochen wohlerzogen, kein Vergleich zu den Kötern auf dem Wimbledon Common."
Erste Station, der Trinkbrunnen: Auf der Heath sprudeln zahlreiche Quellen.
"Dies ist Piccadilly Circus für Hunde."
Schräg gegenüber, eine weite Lichtung: der ehemalige Duellplatz.
"In ein paar Stunden wird das wie ein Bild von Seurat aussehen. Da tummeln sich Hunderte von Leuten, spielen Fußball, Cricket, trommeln, jonglieren, machen Picknicks. Die Londoner lieben ihre Heath. Wenn die Regierung hier Häuser bauen ließe, gäbe es eine Revolution."
Quer über dem Pfad, umgestürzte Eichen, jahrhundertealt, hohl. Bizarres Wurzelwerk. Kostbares Biotope. Andere Baumriesen haben Naturschützer mit Ringen aus Zweigen umgeben, damit ihre Wurzeln nicht zertrampelt werden. Trotz der vielen Besucher hat die Heath ihren wilden Charakter bewahrt, groß genug, um sich ein bisschen zu verirren. Nur Ausländer monieren, dass es keine Wegweiser gibt.
Parliament Hill - der berühmteste Teil der Heath. Hier lassen die Londoner ihre Drachen steigen. Das Panorama reicht von Canary Wharf, dem futuristischen neuen Finanzviertel im Osten, über die Tower-Brücke, die St. Pauls Kathedrale bis hin zu Big Ben, und den Houses of Parlament. Fernsehteams lieben diesen Drehort.
Freddie sprintet zu einem Bänkchen, Pauls Schubert-Bank. Dort muss Fred ein paar Lieder lang ausharren und bekommt dafür ein Häppchen.
"Auf der Hampstead Heath gibt es die schönsten Bänke und Inschriften. Die hier mag ich besonders: zur Erinnerung an Fay Russell Corpe, Künstlerin, Tänzerin, Töpferin, Analytikerin, und Liebhaberin von Bäumen."
Hund und Herrchen blicken nachdenklich ins Weite.
"Ausländer sagen, wir Engländer hätten drei Obsessionen: Tee, Hunde und ein Eigenheim. Das stimmt - zumindest was Hunde angeht. Unsere Königin, liebt ihre Corgis über alles, das gehört fest zu unserer Mythologie. Wenn die sterben, würde sie wahrscheinlich eher die Fahne auf halbmast setzen als damals nach dem Tod von Prinzessin Diana."
Jenseits der Bänke, in Richtung Highgate, eine Kette kleiner Seen, halbverborgen zwischen Birken, Weiden, Kastanien, der kleinste für gemischtes Baden, der mittlere nur für Herren - und ganz besonders lauschig: der Ladies Pond.
"Eine ehemalige Schülerin schwamm jeden Morgen im Ladies Pond, auch im Winter. Letztes Jahr gab es einen Riesenaufstand, als die Kommune versuchte, den Ladies ihren See wegzunehmen."
Fred ortet einen Zuchtgenossen. Aber zuerst die Formalitäten: Dies ist Mungo, sagt seine Herrin mit feinem Akzent. Fred, welch ein bourgeoiser Name. Paul Keyte schweigt. Wenn Briten verstummen, heißt das, sie haben eine andere Meinung. Vielleicht hätte ich ihn mit Frederic vorstellen sollen, sagt Paul nach dem ersten Schock, frei nach Friedrich Nietzsche.
Ein dunkles Wäldchen, eine alte Brücke, mehr Wald, mehr Weiher, dann eine anmutige Parklandschaft und Kenwood House, ein klassisches Herrenhaus aus dem 18 Jahrhundert. Hier werden mit Vorliebe historische Filme gedreht. Paul Keyte schwärmt von dem Vermeer und dem Constable in der Galerie. Und plötzlich ein ganz neuer Laut: Freddie bellt, um ersten Mal. Sein Todfeind, ein Eichhörnchen, springt auf einen Baum. Fred starrt verärgert ins Leere.
"Gerade wenn ich denke, ich hab einen intelligenten Hund, macht er sowas. Ich glaube, in Freddies Hirn gibt es kein Konzept von Höhe. Abgesehen davon ist er mein getreuester Freund. Descartes sagt, Hunde haben keine Seele. An sich ist Descartes ein guter Philosoph. Aber das ist sein größter Denkfehler."
"Ein perfekter Frühsommertag. Und das an einem Feiertag. Das grenzt an ein Wunder."
Paul Keyte, kompakt, adrett, Anfang 40, blickt liebevoll auf seinen Begleiter.
"Freddie ist ein Border Terrier, einfach niedlich. Und ein Gesicht wie George Clooney."
Die Avenue, das große grüne Entree zur Heath. Gut 400 Meter lang, eine Kathedrale aus Blättern und Bäumen.
"Stets perfekt, auch im Winter, da gleicht sie einem expressionistischen Gemälde. Die Leute in der Avenue sehen immer glücklich aus. Weil sie den Spaziergang entweder beginnen - oder beenden."
Paul ist Philosoph, in Oxford ausgebildet. In seinem Leben gibt es eine große Passion. Er zieht seinen IPod aus der Tasche.
"Ich liebe Schubert. Normalerweise lausche ich seinen Liedern, wenn ich über die Heath wandere. Ich weiß genau, bis zu welchem Baum die 'Winterreise' geht oder die 'Schöne Müllerin'. Meine Frau findet das schrecklich. Sie sagt, ich solle mich lieber auf die Natur konzentrieren, oder auf sie.
Viele große Schriftsteller wanderten über die Heath. Der Maler Constable machte Wolkenstudien. Die Dichter Keats und Coleridge wohnten in der Nähe, Charles Dickens ebenfalls. Im 19 Jahrhundert war Hampstead noch ein Dorf hoch über London - die Leute kamen, um dem Smog zu entgehen. Vielleicht sind deswegen so viel Berühmtheiten in Hampstead gestorben."
Heute sieht man moderne Celebrities auf der Heath: Fußballer, Filmstars, Popidole. Aber nur am frühen Morgen, sie wollen nicht erkannt werden.
Hundehalter hingegen begrüßen sich, das gehört zur Hunde-Etiquette. Weitere Gebote:
"Du darfst keinen fremden Hund anschreien. Du musst fremden Hunden trauen. Hampstead-Hunde sind augesprochen wohlerzogen, kein Vergleich zu den Kötern auf dem Wimbledon Common."
Erste Station, der Trinkbrunnen: Auf der Heath sprudeln zahlreiche Quellen.
"Dies ist Piccadilly Circus für Hunde."
Schräg gegenüber, eine weite Lichtung: der ehemalige Duellplatz.
"In ein paar Stunden wird das wie ein Bild von Seurat aussehen. Da tummeln sich Hunderte von Leuten, spielen Fußball, Cricket, trommeln, jonglieren, machen Picknicks. Die Londoner lieben ihre Heath. Wenn die Regierung hier Häuser bauen ließe, gäbe es eine Revolution."
Quer über dem Pfad, umgestürzte Eichen, jahrhundertealt, hohl. Bizarres Wurzelwerk. Kostbares Biotope. Andere Baumriesen haben Naturschützer mit Ringen aus Zweigen umgeben, damit ihre Wurzeln nicht zertrampelt werden. Trotz der vielen Besucher hat die Heath ihren wilden Charakter bewahrt, groß genug, um sich ein bisschen zu verirren. Nur Ausländer monieren, dass es keine Wegweiser gibt.
Parliament Hill - der berühmteste Teil der Heath. Hier lassen die Londoner ihre Drachen steigen. Das Panorama reicht von Canary Wharf, dem futuristischen neuen Finanzviertel im Osten, über die Tower-Brücke, die St. Pauls Kathedrale bis hin zu Big Ben, und den Houses of Parlament. Fernsehteams lieben diesen Drehort.
Freddie sprintet zu einem Bänkchen, Pauls Schubert-Bank. Dort muss Fred ein paar Lieder lang ausharren und bekommt dafür ein Häppchen.
"Auf der Hampstead Heath gibt es die schönsten Bänke und Inschriften. Die hier mag ich besonders: zur Erinnerung an Fay Russell Corpe, Künstlerin, Tänzerin, Töpferin, Analytikerin, und Liebhaberin von Bäumen."
Hund und Herrchen blicken nachdenklich ins Weite.
"Ausländer sagen, wir Engländer hätten drei Obsessionen: Tee, Hunde und ein Eigenheim. Das stimmt - zumindest was Hunde angeht. Unsere Königin, liebt ihre Corgis über alles, das gehört fest zu unserer Mythologie. Wenn die sterben, würde sie wahrscheinlich eher die Fahne auf halbmast setzen als damals nach dem Tod von Prinzessin Diana."
Jenseits der Bänke, in Richtung Highgate, eine Kette kleiner Seen, halbverborgen zwischen Birken, Weiden, Kastanien, der kleinste für gemischtes Baden, der mittlere nur für Herren - und ganz besonders lauschig: der Ladies Pond.
"Eine ehemalige Schülerin schwamm jeden Morgen im Ladies Pond, auch im Winter. Letztes Jahr gab es einen Riesenaufstand, als die Kommune versuchte, den Ladies ihren See wegzunehmen."
Fred ortet einen Zuchtgenossen. Aber zuerst die Formalitäten: Dies ist Mungo, sagt seine Herrin mit feinem Akzent. Fred, welch ein bourgeoiser Name. Paul Keyte schweigt. Wenn Briten verstummen, heißt das, sie haben eine andere Meinung. Vielleicht hätte ich ihn mit Frederic vorstellen sollen, sagt Paul nach dem ersten Schock, frei nach Friedrich Nietzsche.
Ein dunkles Wäldchen, eine alte Brücke, mehr Wald, mehr Weiher, dann eine anmutige Parklandschaft und Kenwood House, ein klassisches Herrenhaus aus dem 18 Jahrhundert. Hier werden mit Vorliebe historische Filme gedreht. Paul Keyte schwärmt von dem Vermeer und dem Constable in der Galerie. Und plötzlich ein ganz neuer Laut: Freddie bellt, um ersten Mal. Sein Todfeind, ein Eichhörnchen, springt auf einen Baum. Fred starrt verärgert ins Leere.
"Gerade wenn ich denke, ich hab einen intelligenten Hund, macht er sowas. Ich glaube, in Freddies Hirn gibt es kein Konzept von Höhe. Abgesehen davon ist er mein getreuester Freund. Descartes sagt, Hunde haben keine Seele. An sich ist Descartes ein guter Philosoph. Aber das ist sein größter Denkfehler."