Freitag, 19. April 2024

Archiv


Lorenz Jarass und Gustav M. Obermair: Geheimnisse der Unternehmenssteuern

Schon die jährliche Steuererklärung für das persönliche Einkommen ist für die meisten Menschen in diesem Land eine Zumutung, denn die Steuergesetzgebung gleicht schon auf dieser Ebene einem undurchschaubaren Dickicht. Will man all die steuerlichen Vorschriften für Betriebe und Unternehmen, gar international operierenden Konzerne samt deren Schlupflöchern begreifen, steht man vollends auf verlorenem Posten. Da befindet man sich allerdings nicht in der schlechtesten Gesellschaft, denn selbst dem gegenwärtig amtierenden Finanzminister Hans Eichel ist offensichtlich nicht recht klar gewesen, welche Resultate die Änderung von Steuergesetzen in seiner Amtszeit nach sich ziehen würde. Grosse Unternehmen zahlen nämlich oftmals hierzulande überhaupt keine Steuern mehr, was zur Folge hat, das wichtige öffentliche Aufgaben nicht mehr erfüllt werden können. Diese Gesellschaft kann sich wichtige soziale Errungenschaften nicht mehr leisten, weil sie sich eine Steuergesetzgebung leistet, die unternehmerischen Profit von jeder Verpflichtung für die Gesellschaft freispricht, während abhängige Arbeit drastisch besteuert wird. Wie es zu dieser Schieflage der Staatsfinanzen kommt, analysiert nun ein Buch zweier Steuerfachleute, Lorenz Jarras und Gustav M. Obermair. Ihr Werk namens Geheimnisse der Unternehmenssteuern hat Thomas Weinert für uns gelesen:

Von Thomas Weinert | 20.09.2004
    Eine bessere Steilvorlage aus dem politischen Umfeld hätte es für dieses Buch in der vergangenen Woche mit dem Treffen der europäischen Finanzminister nicht geben können: Streit um den Steuerwettbewerb innerhalb der EU. Besonders Frankreich und Deutschland fürchten sich vor niedrigen Steuersätzen wie es sie etwa in den baltischen Staaten neuerdings gibt. Der französische Finanzminister Sarkozy drohte sogar, diesen Ländern Transferzahlungen vorzuenthalten, sollte der Wettbewerb um die schönste Steueroase nicht aufhören. Das Gute daran: Hier kommt ein Entscheidungsprozess in Gang. Das Schlechte: Für Deutschland ist es dafür - fast - schon zu spät. Die dramatisch sinkenden Einnahmen aus den Steuerzahlungen der Großunternehmen sind schon dabei den Staatshaushalt zu ruinieren - Thema Nummer zwei beim Finanzministertreffen - und das dann auch wichtigste Resultat der vorgelegten Untersuchung.

    Alle 30 so genannten Standardwerte mussten sich für die Arbeit von Jarass und Obermair in die Bilanzen schauen lassen, jene Firmen also, aus denen sich der Dax berechnet, der Deutsche Aktienindex. Dass es mit den Steuerzahlungen aus diesen Konzernen in den letzten Jahren nicht allzu gut ausschaute, das war zu vermuten, wurde aber nie untersucht. Bei Börsianern gibt es nur einen Anfangsverdacht:

    Ja, wie jedes Unternehmen, das Gewinne erwirtschaftet, haben die Unternehmen natürlich Steuern gezahlt. Die Frage ist, wo die Gewinne anfallen und daraus resultiert dann eben auch die Folge, dass eben auch im Ursprungsland die Gewinne abgeführt werden - die Steuern auf die dort erzielten Gewinne. Unter Umstände auch zu Lasten des deutschen Standortes, bei Gewinnerzielung im Ausland werden dort die lokalen Steuern beglichen und wir haben dort auch Steuerwettbewerb - zum Teil erheblich starken Steuerwettbewerb - der über die Steuerrate ausgeübt wird, aber auch über Steuererleichterung, wie zum Beispiel das Nichterheben von Steuern bei Neuansiedlung von Industrieunternehmen.

    Produktionsstandorte im Ausland sind also nicht nur unter dem Aspekt niedriger Lohn und Lohn-Nebenkosten attraktiv, sondern vor allem auch wegen der geringen Steuern. Inmitten aller untersuchten Daxbilanzen lesen wir in dem vorliegenden Buch vom Beispiel BMW: ein Unternehmen, das nicht nur Autos im Ausland baut, sondern auch Autoteile hierzulande fertigt und im Ausland zusammensetzt - dort verkauft und den Gewinn versteuert. In aufeinanderfolgenden Jahren berichtet der Konzernvorstand über die besten Ergebnisse der Firmengeschichte, doch die Kommunen, in denen BMW hierzulande produziert, klagen darüber, dass das Unternehmen keine Gewerbesteuer mehr bezahlt; wenn es aber nicht einmal den Kommunen gelang vom Unternehmen Steuern einzutreiben, sie haben immerhin die Möglichkeit individueller Hebesätze bei der Gewerbesteuer, ,

    liegt die Vermutung nahe,

    so die Autoren,

    dass der Konzern zumindest in Deutschland in den letzten Jahren überhaupt keine Ertragssteuern bezahlt hat.

    Die Autoren haben die Bilanzen der 30 untersuchten Unternehmen zunächst einmal vergleichbar machen müssen, es fehlt hierzulande noch eine einheitliche, verbindliche Terminologie, viele Aussagen - wie die zu BMW - sind auch das Ergebnis indirekter Schlussfolgerungen. Eine Fleißarbeit ohnegleichen, dafür erhält man allerdings nun belegbare Aussagen über die Steuerzahlungen deutscher Großunternehmen. Der Automobilhersteller DaimlerChrysler zum Beispiel....

    .....als zweiter Extremfall, bezahlte von 1997 bis 2002 auf sein (in der Handelsbilanz ausgewiesenes) Weltergebnis durchschnittlich 9 Prozent Steuern: ein wahrhaft steueroptimierter Konzern.

    Und das - darauf weisen die Autoren immer wieder hin - geschieht keinesfalls mit krimineller Absicht, "steueroptimiert" beschreibt hier nur die pfiffige Anwendung von Steuervermeidungsstrategien.
    Oder das Beispiel Deutsche Telekom - sie ist wie DaimlerChrysler nach einer desaströsen Einkaufstour in den USA in wirtschaftliche Schieflage geraten . Der ehemalige Telefonmonopolist ist verantwortlich für fast die Hälfte des Ertragseinbruchs aller erfassten Unternehmen, verursacht durch falsche Unternehmenseinkäufe, die hinterher den Preis nicht wert waren, der für sie bezahlt wurde. Waren und Dienstleistungen dagegen, die das Unternehmen herstellte und verkaufte, erbrachten weiterhin Gewinne. Hätte man für die neu hinzugekauften Unternehmensteile einen angemessenen, also niedrigeren Preis bezahlt, hätte die Geschäftsleitung den Wertzuwachs für das Unternehmen einstreichen können, ohne Steuern dafür entrichten zu müssen, die Verluste aber konnten voll abgeschrieben werden.

    In Deutschland können als einzigem Industrieland der Welt alle Ausgaben de facto voll steuerlich abgesetzt werden, auch wenn die dazugehörigen Einnahmen in Deutschland steuerfrei sind.

    Immer wieder verblüffen die Autoren den Leser mit Absurditäten im deutschen Steuerrecht , der Spaß hört allerdings auf, wenn es um die Lage des deutschen Mittelstands geht: Er verfügt nämlich nicht über die Möglichkeiten der international operierenden Aktiengesellschaften.

    Die Diskriminierung trifft insbesondere regional orientierte mittelständische Unternehmen, da inländische Konzerne mit internationaler Orientierung ihre Steuerzahlung ähnlich niedrig halten können wie ausländische Unternehmen. Insofern wäre die vorgeschlagene Besteuerung am Ort der Wertschöpfung nicht nur ein Beitrag für einen effizienten und fairen Wettbewerb zwischen In- und Ausland, sondern auch zwischen Konzernen und (einheimischem) Mittelstand.

    Die "Geheimnisse der Unternehmenssteuern" sind wahrlich kein Wirtschaftskrimi, wie der Titel vermuten lassen mag, streckenweise ist der Text sperrig, die Fußnoten nervig, in der Lektüre einer Habilitationsschrift ähnlicher als einem Sachbuch. Erleichtert wird die Orientierung im Text immerhin durch eine klare Gliederung und Inhalt und Methodik der Untersuchung bieten viel neuen Diskussionsstoff. Für seine Mühen wird der Leser schließlich mit einer umfassenden Argumentationshilfe belohnt: nicht nur in der Politik oder im Journalismus, auch in einem gepflegten Stammtisch-Gespräch kann nun das begründet werden, was wir stets vermuteten:

    Rechnet man wie die Europäische Kommission die Grund- und Vermögenssteuern voll der Besteuerung von Unternehmens- und Vermögenseinkommen zu, so hatte Deutschland in 2001 nach Griechenland mit Abstand die niedrigste Steuerbelastung in der EU.

    Oder noch besser:

    Im internationalen Vergleich ist Deutschland eine Steueroase – Kapitalgesellschaften leisten en bloc überhaupt keinen Beitrag mehr zur Staatsfinanzierung....Die Steuerlast, über die die deutsche Wirtschaft klagt, ist eher ein Phantomschmerz.

    Nun ist "die deutsche Wirtschaft" etwas anderes als die großen Kapitalgesellschaften und wie bereits erwähnt, arbeiten Jarass und Obermair die Unterschiede auch an vielen Stellen heraus. Der Mittelstand könne alle diese komplizierten Möglichkeiten des Steuer-Rechts gar nicht anwenden, im Gegenteil, er sei noch zusätzlich belastet durch verschlechterte Abschreibungsmöglichkeiten. Die großen Kapitalgesellschaften allerdings, börsennotiert und unter der strengen Aufsicht der Analysten, so die Autoren, sie konnten gar nicht anders handeln:

    Die Finanzvorstände müssten wohl den Hut nehmen, wenn sie dieses Recht und Gesetz nicht optimal zugunsten ihres Unternehmens anzuwenden wüssten. Wenn aber das Ergebnis dieses......Handelns Bund und Länder in wachsende Verschuldung treibt und vor allem Städte und Gemeinden bedrohlich verarmen lässt und damit wesentliche Grundlagen der wirtschaftlichen Entwicklung untergräbt, dann müssen offensichtlich die einschlägigen Gesetze an die wirtschaftliche Realität angepasst werden.

    Und so enthalten sich die Autoren weiterer Kritik am Handeln in den Chefetagen - von kleinen weltanschaulichen Exkursen einmal abgesehen. Das Buch kommt da an, wo derzeit auch die politische Diskussion steht, bei einem dringenden Aufruf zur Reform - in diesem Fall der Unternehmensbesteuerung.

    Thomas Weinert war das über 'Geheimnisse der Unternehmenssteuern’ von Lorenz Jarras und Gustav M. Obermair. Es ist im Metropolis Verlag in Marburg erschienen, hat 180 Seiten und kostet 24.80 Euro.