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Loretta Napoleoni: Die Ökonomie des Terrors. Auf den Spuren des Dollars hinter dem Terrorismus

Loretta Napoleonis Recherchen über die "Ökonomie des Terrors", Hans Leyendeckers neues Buch über die "Lügen des Weißen Hauses", eine Geschichte der Türkenkriege, eine Biographie des Nazi-Dramatikers Hans Johst sowie ein Lesebuch über Kindheit in den 50er und 60er Jahren, das sind die Themen unserer heutigen Revue politischer Literatur, Wolfgang Sofsky, Wolf Oschlies, Helmar Harald Fischer und Elke Suhr die Rezensenten.

Von Wolfgang Sofsky | 07.06.2004
    Über Al Qaida ist in den letzten Jahren viel geschrieben worden. Nur wenige Anstrengungen wurden allerdings unternommen, den ökonomischen Hintergrund dieser Terrorinternationale auszuleuchten. Das dürfte nicht zuletzt daran liegen, dass der Kapitalstock dieses auf Zerstörung spezialisierten Unternehmens von den US-Amerikanern finanziert wurde. Eine grandiose Fehlinvestition, wie man inzwischen weiß. Nach dem Abzug der Sowjets aus Afghanistan emanzipierten sich die Gotteskrieger von den nie geliebten Investoren, erklärten Washington zum Hauptfeind und die ganze Welt zu ihrem Aktionsfeld. Bei dieser Expansion kam ihnen die wirtschaftliche Globalisierung zu Hilfe. Bin Ladens mit großem Kapital international operierender Terror-Trust war wie die zur gleichen Zeit entstandenen virtuellen Unternehmenszusammenschlüsse erst möglich, nachdem die finanzielle Deregulierung riesige, nicht mehr kontrollierte überseeische Vermögen geschaffen hatte. Auch bei der Etablierung ihrer inneren Struktur scheint sich Al Qaida an gut funktionierenden Multis orientiert zu haben. Dezentral operierende, zellenartige Organisationseinheiten und flache Hierarchien sind heute für fast alle weltweit operierenden Unternehmen durchaus typisch. Dem gewöhnlichen Multi ist das islamistische Terrornetzwerk insofern überlegen, als es eine starke corporate identity ausbildet und scheinbar unbeschränkten Zugang zu finanziellen Ressourcen hat. Sagenhafte 1,5 Billionen Dollar soll der internationale Terrorismus Jahr für Jahr umsetzen. So jedenfalls die italienische Journalistin Loretta Napoleoni in ihrem jetzt erschienenen Buch "Die Ökonomie des Terrors.:

    Am Morgen des 20. Januar 1976 riegelten palästinensische Kommandos und christliche Milizionäre das Geschäftsviertel von Beirut ab. Mit Nachdruck forderten sie Bankangestellte und Botschaftsbeamte auf, nach Hause zu gehen und erst in zwei Tagen wiederzukommen. Gegen Mittag war der gesamte Bezirk geräumt. Dann drangen PLO-Kämpfer und Falangisten, die einander sonst bis aufs Messer bekämpften, gemeinsam in die katholische Kapuzinerkirche ein und durchbrachen mit Äxten und Pickeln die Wand zum benachbarten Tresorraum der British Bank of the Middle East. Als sie endlich zu den Panzerschränken vorgedrungen waren, mussten sie vor den dicken Stahlplatten kapitulieren. In ihrer Not flogen sie Sprengstoffexperten der korsischen Mafia ein, die mit viel Dynamit den Tresor schließlich knackten. Es dauerte zwei weitere Tage, bis Lastwagen alle Goldbarren, Juwelen und Geldsäcke fortgeschafft hatten. Die Beute wurde unter den Räubern aufgeteilt. Die Christen kauften Waffen, mit denen sie den Krieg gegen die Palästinenser fortsetzten. Arafat charterte ein Flugzeug und brachte seinen Anteil in die Schweiz. Der Bankraub mit dem christlichen Erzfeind war ein wichtiger Schritt zur finanziellen Unabhängigkeit der PLO. Ende der 80er Jahre war sie die reichste Terrorgruppe auf der Erde. Sie verfügte über Kapitalanlagen in mehr als dreißig Ländern und über eine eigene Zentralbank.

    Geld stiftet seltsame Allianzen. Unter dem Banner des Antiimperialismus finanzierte Libyen jahrzehntelang subversive Gruppen auf dem gesamten Erdball. Auf der Soldliste standen nicht nur die IRA, sondern auch der südafrikanische ANC oder Befreiungsbewegungen in Angola und Neukaledonien. In Kolumbien verbündeten sich linke Rebellengruppen mit den Drogenbaronen, um über kubanische Häfen Kokain in die USA zu schmuggeln. Für den Krieg gegen die sowjetischen Invasoren übernahm der pakistanische Geheimdienst Waffen, Geld und Munition von der CIA und brachte sie zu den Mudschaheddin nach Afghanistan. Finanziert wurde die Schmuggelware durch die afghanische Opiumwirtschaft, abgewickelt wurden die Transferzahlungen über das größte muslimische Bankinstitut, das wiederum von arabischem Kapital am Golf beherrscht wurde.

    Es ist die Ermittlung solcher verdeckten Verflechtungen, die Loretta Napoleonis Studie über die Ökonomie des Terrors zu einer nützlichen Lektüre macht. Die italienische Journalistin, die lange für diverse Banken und die Vereinten Nationen gearbeitet hat, erschließt Quellen und Geldströme, die weltweit terroristische Aktivitäten speisen. Schmuggel, Erpressung und Schutzgeld, Drogen-, Waffen- und Menschenhandel, Raub und Geldwäsche, aber auch legale Gewinne, Spenden von Wohlfahrtsverbänden, Emigrantenzirkeln oder religiösen Einrichtungen bilden das ökonomische Fundament des internationalen Terrorismus. Nach dem Ende des Kalten Krieges sind es nicht mehr die Supermächte und ihre Vasallenstaaten, welche Anschläge und Aufstände finanzieren. Mehr und mehr unterhalten die Terrornetzwerke sich selbst. Auf mehr als fünf Prozent des Weltsozialprodukts schätzt die Autorin das Volumen der heutigen Terrorökonomie. So eng sei sie mit der globalen Wirtschaft verflochten, dass eine Rezession drohte, falls man dieses Schattenreich zerstören würde.

    Seine territoriale Basis hat der Terror in Regionen ohne Zentralgewalt. Im pakistanischen Grenzgebiet, auf den Philippinen, im Kaukasus, in Albanien oder im Sudan finden sich die Stützpunkte und Ausbildungscamps. Hier sind bewaffnete Gruppen dabei, die wirtschaftliche Infrastruktur zu okkupieren, Zölle zu erheben und Schutzgelder einzutreiben. Regelrechte "Schattenstaaten" haben sich, so Napoleoni, bereits in Usbekistan, Kolumbien und Peru, im Kosovo, Libanon oder in Palästina gebildet. Sie belegen die Einwohner mit Zwangsabgaben, besolden ihre Krieger und zahlen den Bedürftigen und Hinterbliebenen Sozialhilfe. Natürlich handelt es sich bei diesen Machtgebilden einer Kriegswirtschaft nicht um Staaten. Napoleoni unterscheidet nicht zwischen dem Regime von Warlords und der politischen Struktur von Terrororganisationen. Von einem Gewaltmonopol kann keine Rede sein, wenn Clanchefs um Macht und Profite konkurrieren. Die Gefolgsleute der Kriegsherren bilden keine Bürokratie, sondern ein System persönlicher Patronage. Der Haushalt wird nicht mit Steuern gefüllt, sondern mit Lösegeldern oder Schutzabgaben. Auch die Führungsstruktur eines internationalen Terrornetzes hat mit einem Staat wenig gemein. Netzwerke benötigen kaum mehr als einige charismatische Autoritäten und ein paar konspirative Mittelsmänner, die Anschläge von Fall zu Fall vorbereiten.

    Mit dem Begriff des "Schattenstaats" suggeriert Napoleoni nicht nur institutionelle Stabilität, sondern auch eine ökonomische Generalstrategie. Die Autorin entwirft das Bild einer gezielten islamistischen Kolonisation, die sich die Welt zwischen Marokko und Indonesien untertan machen will. So kamen islamische Banken den Elendsregionen am Südrand des ehemaligen Sowjetreichs zu Hilfe, unterstützten die muslimische Bevölkerung und bereiteten dadurch der fundamentalistischen Mission den Boden. Religiöse, finanzielle und terroristische Offensiven arbeiteten Hand in Hand. Das Fernziel des islamischen Dschihad ist nach Napoleoni die Errichtung eines neuen Kalifats, eine Konföderation islamistischer Staaten. Hierfür müssen alle prowestlichen Regimes in Arabien beseitigt und alle Muslime von ungläubigen Regierungen befreit werden.

    Allzu wörtlich nimmt die Autorin die Propaganda diverser Terrorgruppen. Verlautbarungen und Rechtfertigungen der Gewalt hält sie bereits für ein politisches Programm. Geradezu sozialrevolutionäre Ziele dichtet sie dem Märtyrerkult und dem islamistischen Sozialstaat an, um hinter den Blutbädern eine Strategie, ein Ziel und eine Idee vermuten zu können. Zwar soll man das Ausmaß an zweckrationaler Gewalt nie unterschätzen, aber ein Netzwerk wie das von Al Quaida ist so locker geknüpft, dass eine generalstabsmäßige Planung mit einem Endziel kaum zu erkennen ist. Der Vergleich, den Napoleoni zu den christlichen Kreuzzügen des Mittelalters zieht, ist so hilflos wie absurd. Er entbehrt nicht nur historischer Kenntnisse, sondern verwechselt auch einen Feldzug zur Eroberung heiliger Stätten mit einer Kriegspolitik des Schreckens.

    Diagnosen eines epochalen Widerstreits der Religionen oder Kulturen erklären den Terror aus gegensätzlichen Werten und Überzeugungen. Dagegen setzt Napoleoni den Antagonismus der Wirtschaftssysteme: hier der globale Kapitalismus westlicher Staaten und multinationaler Unternehmen, dort die Schattenwirtschaft islamistischer Kriegsherrn und Terrornetze, das Geflecht der bewaffneten Zellen und Vereine, der Moscheen und Banken, der Waffenschieber, Schmuggelbanden und Drogenkartelle. Auf der Suche nach Sinn und Zweck des Terrors greift die Autorin auf ein altbewährtes Deutungsschema zurück. Primär sei nicht die Religion oder die Politik, sondern die Ökonomie. Nicht Ideen, sondern Interessen, nicht Glaube und Macht, sondern Geld sei die letzte Triebkraft des Terrors. Dessen preiswerteste Waffe ist der Selbstmordattentäter. Er garantiert maximalen Schaden und optimale Propaganda bei minimalem Verlust. Aber kein Bombenleger und kein jubelnder Sympathisant hat bei diesem Gewaltakt jemals die Kosten mit dem Nutzen verrechnet. Terror ist mehr als ein Mittel zum Zweck. Er soll eine Gesellschaft durch Angst zermürben. Anders als der alte Terrorismus ist der heutige Terror weder durch politische Ziele noch durch ökonomische Kalküle begrenzt. Gewiss muss auch der Terrorkrieg finanziert werden. Aber die Ermittlung seiner Finanzquellen kann unmöglich darüber Aufschluss geben, ob die Schrecken dieses Krieges überhaupt einen Sinn haben.

    Wolfgang Sofsky über Loretta Napoleoni: "Die Ökonomie des Terrors - Auf den Spuren des Dollars hinter dem Terrorismus". Der Band ist erschienen im Verlag Antje Kunstmann in München. 448 Seiten, 24.90 Euro.