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Los Veteranos

Am Nachmittag spielen alte Musik-Veteranen in Kubas Clubs zum Tanztee auf: Son, Rumba und Guaguancó werden getanzt ,und der Besucher fühlt sich zwangsläufig an die Band Buena Vista Social Club erinnert, die der Dokumentarfilm von Wim Wenders so bekannt machte.

Von Kerstin Kilanowski | 03.02.2008
    Ein knatschgrüner Ami-Schlitten, mindestens vierzig Jahre alt, hält in einer engen Gasse. Es steigt ein Alter mit Schirmmütze aus, dunkle Haut, weißes Jackett. Der Schweiß läuft ihm über das Gesicht. Der Alte trägt einen schwarzen Instrumentenkoffer und steuert auf ein Etablissement mit abgebröckelter Fassade zu. Im Eingang steht auf einer Stelltafel: "Heute um 18 Uhr - Concerto con Los Veteranos de Santiago de Cuba". Ich traue meinen Augen kaum: Es ist wie im Film von Wim Wenders.

    Auch am späten Nachmittag ist die Hitze noch immer unbeschreiblich. Alle Fenster des Musik-Clubs stehen sperrangelweit auf, sind aber vergittert, damit sich niemand ohne Eintrittskarte über den Sims schwingt.

    18 Uhr: Neun alte Herren bauen im Freiluft-Patio der Casa de la Trova ihre Instrumente auf: Kongas, Kontrabass, Gitarre, Trompete, die kubanische Tres - typisch für den Son, Kubas beliebteste Volksmusik. Ein paar spärliche Glühbirnen geben Licht, Tische und Drahtstühle sind wackelig und die Lautsprecher krächzen. Ein ernst blickendes Paar aus Europa wartet und schweigt. In der hintersten Ecke des Innenhofs winkt mich eine alte Dame zu sich. Sie trägt ein Blümchenkleid, ist sehr krumm, sehr klein. Der Gehstock lehnt an der Wand.

    Die Dame erzählt eine lange Geschichte im kubanischen Dialekt. Wie sie vor über fünfzig Jahren Spanien verließ und nach Kuba auswanderte. Und nie würde sie diese Insel wieder verlassen - auch wenn das Leben nicht einfach sei. "La vida no es facíl", wie die Kubaner ständig sagen. Ich lade sie zu einem Bier ein, und sie fragt leise, ob ich ihr nicht noch ein bisschen was zusätzlich geben könnte. "Ein kleines Geldchen" für den Alltag, weil das Leben doch nicht einfach ist.

    Die Kassiererin der Casa de la Trova drückt ein Auge zu und lässt Caridad immer umsonst rein. Sie ist Stammgast. Ein Urlauber-Paar aus Deutschland kommt dazu. Und ein einzelner Kubaner taucht auf, mit Bodybuilding-Körper, rasiermesserkurzem Haar, in Street-Wear.

    Zwanzig Zuschauer - zum größten Teil Touristen - sind in der Casa de la Trova zusammengekommen, um ein Konzert von Los Veteranos zu hören, an diesem glutheißen Spätnachmittag in Santiago de Cuba.

    Die herzzerreißenden Stimmen der alten Männer, die vertrackten Rhythmen der Bongos, Maracas, Kongas, der melancholische Klang der Tres, das stoische Gesicht des Kontrabassisten - man möchte aufseufzen in schmerzlicher Sehnsucht, den die unbekannte Rentner-Band mit ihrer Musik auslöst.

    Die dünne, krumme Caridad durchzuckt es, sie wirft die Hände hoch, schnipst mit den Fingern. "El Son" lacht meine Tischnachbarin und tanzt im Sitzen. Paar Nummer eins schweigt noch immer und schaut aneinander vorbei. Paar Nummer zwei trinkt ein Bier. Die Stimmung ist lau.

    Und dann steuert der junge Kubaner mit dem tollen Körper unseren Tisch an. Ich weiß nicht, wie man den Son tanzt, die Rumba, den Guaguancó. Der Latin Lover scheint unbeirrt, verbeugt sich - und geleitet die Achtzigjährige auf die Tanzfläche. In zarten Schritten führt er die kleine Frau, dreht sie wie zerbrechliches Porzellan, lässt sie unter seinen Armen hindurch kreisen. Der Gehstock steht verlassen an der Wand.

    Draußen lehnen Kubaner Schulter an Schulter an den Fenstergittern und hören sehnsüchtig den Veteranos zu. Drei Dollar Eintritt - das ist ein Viertel des staatlichen Einheitslohns, wenn man denn überhaupt harte Währung in der Tasche hat.

    Draußen warten aber auch schon neue zahlende Gäste. Der Son ist eher was für alte Leute und Nostalgiker aus Europa. Wer richtig die Puppen tanzen lassen will, geht in die Abendvorstellung. Das Salsa-Publikum ist angekommen: fünf Männer mittleren Alters mit sieben jungen Frauen. Wohlsituierte Deutsche die einen, Kubanerinnen die anderen. Langbeinige, hochbrüstige, schmale Frauen mit schimmernder Haut, üppigem Haar, riesigen Augen, in winzigen Kleidchen oder engen Jeans. Der Eintritt ist schon bezahlt, die Getränke auch. Was will man mehr. Los Veteranos packen ein. Die karibische Version des guten alten Tanztees ist für heute vorbei.