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Luca Signorelli

Manche Künstler, und der um 1455 in Cortona geborene Luca Signorelli gehört dazu, werden durch ein Werk so berühmt, dass man sich nur dafür und nicht für das gesamte Oeuvre interessiert. So ergeht es Luca Signorelli, dem Meister der Fresken vom Gerichtstag am Ende der Welt in der Cappella Nova des Doms von Orvieto.

Verena Auffermann | 26.02.2003
    Diese Freskos vom Erscheinen des Antichrist sind selbst für den heutigen aufgeklärten Besucher furchterregend. Fliegende Mensch-und -Drachenwesen, schlagen mit Keulen zu, schleppen nackte Frauen mit wehenden blonden Haaren auf ihren Schultern durch die Luft. Signorelli malt Sehnen und Muskeln akkurat wie ein anatomischer Zeichner, er färbt, drastisch und dramatisch, die Körper der Menschen und der Dämonen grün, blau, rosa und rot.

    Als im September1897 Sigmund Freud das Fresko sah, erkannte er darin einen Höhepunkt der Malerei des 15. Jahrhunderts. Während seiner zweiten Italienreise im darauf folgenden Jahr fällt Freud Signorellis Name nicht mehr ein. In seiner "Psychopathologie des Alltagslebens" führt er seine Vergesslichkeit als paradigmatisches Beispiel für das Vergessen von Namen an. Damals beschäftigte sich Freud mit den Themen Tod und Sexualität. Nichts anderes, wenn auch unter anderer Überschrift, illustriert der Signorelli-Zyklus.

    Laurence Kanter, Kurator am New Yorker Metropolitan Museum und der Signorelli Spezialist Tom Henry, der in Oxford lehrt, zeigen mit diesem Prachtbuch, dass der Künstler ein großes, auch stilistisch vielfältiges Werk hinterlassen hat. Signorelli ist also keinesfalls "nur" der Maler der Wände und Decken der gotischen Cappella Nova in Orvieto.

    Man weiß wenig über Luca Signorellis Jugend, auch sein Geburtsjahr ist umstritten. Bekannt ist aber, dass Signorellis Vater Maler war und Luca früh die Bilder Sassettas und Fra Angelico kennen lernte und bei keinem geringeren als bei Piero della Francesca in die Lehre ging. Anschließend war er Hauptgehilfe Pietro Peruginos und arbeitete zusammen mit Botticelli und Ghirlandaio an den Wandfresken der Sixtinischen Kapelle im Vatikan. Signorellis Lebensgeschichte zu rekonstruieren ist bei den wenigen erhaltenen Dokumenten schwer möglich. Aber Laurence Kanter weist nach, dass der Auftraggeber Lorenzo de' Medici stolz auf die gelehrten Bildprogramme war, die Signorelli bevorzugte, Ikonographien, die selbst einem gebildeten Publikum rätselhaft bleiben mussten. Und kaum ein anderer Maler der Renaissance ging mit den Regeln der Perspektive rücksichtsloser um als er. Signorelli setzte ohne die Gesetze der Architektur zu beachten, Häuser auf Klippen und Triumphbögen auf spitze Hügeln. Signorellis Sinn für Wirkung und Effekte war stark ausgeprägt.

    Tom Henry verzeichnet 148 Werke, 23 Gemälde sind nie zuvor in ein Werkverzeichnis aufgenommen worden. Außerdem zeigt ein Anhang eine Anzahl ungesicherter Zuschreibungen. "Ich habe", versichert Tom Henry, " fast jedes Werk in diesem Katalog persönlich untersucht". So gibt dieser Band einen exzellenten Überblick über Entwicklung und Sujets des Künstlers Luca Signorelli. Die fünfjährige Tätigkeit im Dom von Orvieto hatte 1499 begonnen, nachdem sie fünfzig Jahre zuvor von Fra Angelico und Benozzo Gozzoli abgebrochen worden war. Signorelli war vertraglich verpflichtet, Fra Angelicos vorliegende Entwürfe auszuführen, der Künstler fügte während der Arbeit die Bemalung der Kapellenwände hinzu. Laurence Kanter widerspricht der allgemein verbreiteten Auffassung, dass Signorellis Genie in den Darstellungen teuflischen Ungestüms am besten zu Ausdruck kommt und weist auf seinen Sinn für Heiterkeit, Ruhe Gelassenheit hin. Und, so könnte man hinzufügen, Signorelli hatte ein Faible für elegantes männliches Beinkleid, für dekorativ flatternde Bänder und Schleifen.

    Nach Erfüllung der Aufträge in Rom, Orvieto und Siena wurde Signorelli für die letzten 14 Jahre seines Lebens in Cortona sesshaft. In dieser späten Lebensphase entstanden Meisterwerke, die von der Forschung unter Wert beachtet sind. Laurence Kanter betont, dass Signorelli bestimmte Tendenzen in der manieristischen Malerei des Cinquecento vorwegnimmt "Geistig gesund" und wie es heißt, "körperlich schwach", ist Luca Signorelli am 23. oder 24. Oktober 1523 gestorben.

    Das Buch, dessen viele auch ganz oder doppelseitigen Abbildungen durch ihre gute farbliche Qualität überzeugen, ist im kunsthistorischen Duktus verfasst, aber für jeden Interessierten leicht und Erkenntnis fördernd geschrieben. Ein empfehlenswerter Prachtband, Anschauungsmaterial über die Fratzen und Grauen des Bösen und das Gesicht der Schönheit.