Ludwig Tiecks "Der gestiefelte Kater" vor 175 Jahren uraufgeführt

Ein gewolltes Debakel

Farblithographie zu "Der gestiefelte Kater" von Viktor Paul Mohn aus dem Jahr 1882. Aus: Märchen-Strauss für Kind und Haus
"Der gestiefelte Kater" im Theater: 1844 noch ein Flop. © picture-alliance / akg-images / Archiv für Kunst & Geschichte
Von Almut Finck · 20.04.2019
"Der gestiefelte Kater" ist nicht nur ein Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm. Der Romantiker Ludwig Tieck machte bereits 1797 aus dem Stoff ein ungewöhnliches Theaterstück, das allerdings erst am 20. April 1844 in Berlin uraufgeführt wurde.
Diese Uraufführung ist ein Reinfall. Das Publikum schimpft, da ist der Vorhang noch unten. Der Theaterzettel kündigt einen sprechenden Kater an. Die Zuschauer sind empört, sie fühlen sich veralbert.
"Wir – möchten – ein ordentliches – Stück sehen! Lebensrettungen. Religiös erhebende, wohltuende, geheime Intrigen. Rhetorik! Familiengeschichten. Liebe! Emotionen. Blut! Nein, kein Blut. Was Schönes. Erbauliches!"

Ein Stück im Stück

Das Debakel ist gewollt. Ludwig Tiecks Komödie "Der gestiefelte Kater", hier eine Aufführung des Theater Konstanz aus dem Jahr 2014, ist ein Stück im Stück, das – fiktive – Publikum sitzt mit auf der Bühne, wo es ständig Kommentare abgibt, sodass die Märchendarsteller völlig aus dem Konzept geraten. Natürlich sind am Ende nicht Autor oder Schauspieler die Dummen, sondern die Zuschauer. Publikumsbeschimpfung, lange vor Peter Handke.
Druckgrafik des Dichters aus dem 18. Jahrhundert nach Art der Zeit.
Eine von Friedrich August Fricke erstellte, digital nachkolorierte Lithografie Ludwig Tiecks von ca. 1820.© picture alliance/akg-images
1797. Ludwig Tieck ist 24 Jahre alt, ein Dichter- und Übersetzertalent, empfindsam und gefühlvoll, aber auch witzig und gescheit, ein Viel- und Schnellschreiber und – schon eine Berühmtheit. Das verdankt er seinem William Lovell, einem epochalen Briefroman um Liebe und Hass, Erotik und Mord. Hatte der Autor darin die schaurig-düstre Seite des Romantikers offenbart, wendet er sich jetzt der lichten, spielerischen: dem Märchen zu.
"Es war einmal ein Müller, der hatte drei Söhne, seine Mühle, einen Esel und einen Kater" - so fängt die Geschichte vom "Gestiefelten Kater" meist an. In Deutschland kennt man sie vor allem durch die Brüder Grimm, die sie 1812 in ihre Sammlung der Kinder- und Hausmärchen aufnehmen.
Ludwig Tieck hat aus dem Stoff um den sprechenden Kater, der dem jüngsten der drei Söhne zu Reichtum, Königswürde und der Heirat mit einer Prinzessin verhilft, ein lustvoll-ironisches Spiel mit den Grenzen von Fantasie und Realität gemacht. Damit pfiff er zum Angriff auf den Theatergeschmack seiner Zeit: auf das aufgeklärte Vernünfteln eines Iffland, Kotzebue oder Böttiger, für die das Theater der ästhetischen Erziehung des Menschen zum öffentlichen Bürger dient.

Theater gegen das Theater

Es sind die Jahre, da sich Hof und Adel zurückziehen aus dem Theater, das nun zur bürgerlichen Bildungsanstalt gerät. Trockene Wortkunst verdrängt das szenische Spiel, Possen und Narreteien sind verpönt, moralische Lehren erwünscht, nur "vernünftige" Illusionen erlaubt.
Ein verfressener König, ein tyrannischer Popanz, eine alberne Prinzessin, die miserable Gedichte schreibt? Ein Hanswurst, der derbe Späße macht, ein schlauer Kater, der den Menschen den Spiegel vorhält? Tiecks Theater gegen das Theater endet im kreativen Chaos. Das elitäre und bildungsbeflissene Publikum, an wirklichkeitsnahe Darstellung und strenge Regeln wie die Einheit von Ort, Zeit und Handlung gewöhnt, traktiert die Schauspieler mit Wurfgeschossen. Der Dichter ist verzweifelt.
Wie das "wirkliche" Publikum auf Tiecks Märchen reagiert? Gar nicht. Zunächst. Mehr als 40 Jahre lang bleibt die Komödie ein Lesestück. Seine Uraufführung erlebt Ludwig Tiecks "Gestiefelter Kater" erst fast ein halbes Jahrhundert nach seiner Entstehung. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. lässt es inszenieren, um den mittlerweile über 70-jährigen Dichter zu ehren.

Die Premiere ist ein Reinfall

Die Premiere am 20. April 1844 in Berlin ist ein Reinfall. Das nun endlich nicht mehr fiktive Publikum zeigt so wenig Begeisterung, wie das auf der Bühne. Es wird geschimpft, aber auch gegähnt.
Eine "ästhetische Prügelei," wie die Literaturgeschichte heute den Streit zwischen bürgerlich-aufgeklärtem und romantischem Theater um 1800 bezeichnet, interessiert die Leute nicht mehr. Es sind noch vier Jahre bis zur Revolution. Das Theater wird nun politisch.
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