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Lügen, schlagen, sich großartig fühlen

Psychologie. - Psychopathen sind keineswegs nur kaltblütige Gewalttäter, wie sie in den Krimiserien reihenweise auftreten. Schon Kindergartenkinder können psychopathie-ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen, und die sind ein Warnsignal, dass das Kind später einmal Probleme bekommen könnte. Ein internationales Forscherteam will jetzt versuchen, psychopathischen Zügen schon bei Dreijährigen zu erkennen.

Von Marieke Degen | 05.04.2012
    Kindergartenkinder haben es bisweilen faustdick hinter den Ohren. Sie können lügen, andere schlagen und ihre Eltern gegeneinander ausspielen. Das alles ist normal – zumindest bis zu einem gewissen Grad. Aber können Dreijährige schon echte Psychopathen sein?

    "Definitely not."

    Nein, definitiv nicht, sagt die Psychologin Laura López Romero von der Universität in Santiago de Compostela.

    "Aber es gibt psychopathie-ähnliche Verhaltensweisen, die schon sehr früh in der Kindheit auftreten können. Diese Kinder entwickeln oft ein gestörtes Sozialverhalten, und das kann später möglicherweise zu einer psychopathischen Persönlichkeit führen."

    Psychopathie ist eine schwere Persönlichkeitsstörung. Bei Erwachsenen zeichnet sie sich unter anderem durch Gefühlskälte aus, durch Lust am Risiko und die Fähigkeit, andere um den Finger zu wickeln. Eine Psychopathie kann ganz unterschiedlich ausgeprägt sein: Viele klinische Psychopathen führen ein ganz erfolgreiches Leben, andere werden zu Schwerverbrechern – sie lassen sich kaum therapieren. Psychopathische Tendenzen können auch schon bei Schulkindern vorkommen. Solche Kinder haben ein hohes Risiko, langfristig Probleme zu bekommen – dazu gibt es schon eine Reihe von Studien. Kindergartenkinder hat aber noch keiner untersucht. Weil es bislang keine Methode gab, mit der man solche Verhaltensauffälligkeiten bei Kleinkindern feststellen konnte. Bis jetzt. Laura López Romeros Kollege, der Psychologe Henrik Andershed, hat eine Art Fragebogen entwickelt, mit 29 Punkten.

    López Romero: "Often lies to get what he or she wants"

    Lügt oft, um das zu bekommen, was es will.

    Oder: Fühlt sich anderen Kindern überlegen. Oder:

    López Romero: "Often seems to be completely indifferent when other children are upset."

    Scheint oft völlig gleichgültig zu sein, wenn andere Kinder erschüttert sind.
    Oder: Will, dass immer etwas passiert. Der Vorschullehrer muss beurteilen, ob diese Aussagen auf das Kind voll zutreffen, ein bisschen zutreffen, nur wenig zutreffen oder überhaupt nicht zutreffen. López Romero:

    "Wir haben uns für Vorschullehrer entschieden, weil wir denken, dass sie sehr gut beurteilen können, ob es sich um ein echtes Verhaltensproblem handelt - oder um ein Verhalten, das in dem Alter auch ganz normal sein kann. Sie haben schließlich mit sehr vielen Kindern in vielen verschiedenen Situationen zu tun und können gut vergleichen. Außerdem sind sie recht neutral, wenn es darum geht, Kinder auch mal negativ zu bewerten."

    Kindergartenkinder sind für Psychologen besonders interessant, eben weil sie so jung sind. Die Forscher wollen herausfinden, wann die Verhaltensauffälligkeiten anfangen. Vielleicht können sie irgendwann einmal Risikofaktoren bestimmen, und früher eingreifen.López Romero:

    "Wir wollen auf lange Sicht Therapien entwickeln, mit denen wir spätere Verhaltensstörungen vielleicht verhindern können. Es gibt heute schon Programme, in denen Eltern lernen, gutes Verhalten ihrer Kinder zu fördern und schlechtes zu unterbinden – aber die funktionieren bei Schulkindern mit psychopathischen Zügen nicht wirklich gut."

    Laura López Romero und ihre Kollegen setzen den Fragebogen schon ein, in Schweden, im Rahmen einer großen Studie mit 2000 Kindern. Die Vorschullehrer sollen die Kinder einmal pro Jahr bewerten, und das drei Jahre lang. Der Fragebogen funktioniert, sagt Laura López Romero. Mit seiner Hilfe kann man psychopathische Züge schon bei Dreijährigen erkennen. Aber sie warnt davor, solche Kinder zu stigmatisieren. Denn: Kinder können sich rasant verändern.

    "Das ist die Stärke der Studie: Eine Psychopathie lässt sich bei Erwachsenen nicht mehr verändern. Aber bei Kindern können sich psychopathische Verhaltensweisen im Laufe der Zeit sehr wohl ändern, und bei kleinen Kindern sind diese psychopathischen Züge noch sehr viel weniger stabil als zum Beispiel bei Jugendlichen. Und wir können vielleicht Risikofaktoren und auch schützende Faktoren ausmachen."

    Psychopathische Züge können ein Warnsignal sein. Aber sie bedeuten nicht, dass das Kind später zwangsläufig Probleme bekommt. Und erst recht nicht, dass aus dem Kind ein psychopathischer Verbrecher wird.