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"Lügenpresse"-Vorwurf
Statistiker zweifelt Aussagekraft von "Stern"-Umfrage an

Das Magazin "Der Stern" titelte vor Kurzem, dass 44 Prozent der Deutschen den "Lügenpresse"-Vorwurf von Pegida teilen - und berief sich auf die Ergebnisse einer Telefon-Umfrage. Der Mathematik-Professor Gerd Bosbach zweifelt im DLF die Aussagekraft der Umfrage an und kritisiert, dass Befragungen für bestimmte Zwecke ausgenutzt werden könnten.

Gerd Bosbach im Gespräch mit Brigitte Baetz | 31.10.2015
    Pegida-Anhänger während einer Demonstration in Dresden am 25. Januar 2015.
    Pegida-Anhänger während einer Demonstration in Dresden am 25. Januar 2015. (imago/Reiner Zensen)
    Brigitte Baetz: "Der Stern" schreibt: "44 Prozent der Deutschen teilen den "Lügenpresse"-Vorwurf von Pegida. Gerd Bosbach ist Mathematiker und Professor für Statistik und Empirische Wirtschafts- und Sozialforschung an der Hochschule Koblenz. Er hält die Aussagekraft von Telefon-Umfragen dieser Art für zu gering, als dass sich eindeutige Aussagen daraus ableiten ließen.
    Gerd Bosbach: Alleine schon die Frage, die da gestellt wurde - ich wüsste nicht, was ich darauf antworten sollte. Da stand, die von oben gesteuerten Medien verbreiten nur geschönte und unzutreffende Meldungen. Da sind quasi mindestens zwei Fakten drin: Von oben gesteuerte Medien, und sie verbreiten nur unzutreffende Meldungen. Wenn ich jetzt bei dem einen ja und bei dem anderen nein sagen würde, was soll ich denn dann da ankreuzen. Und wenn Sie jetzt die Frage mal logisch betrachten, dass die Medien nur geschönte und unzutreffende Meldungen verbreiten, das ist doch Quatsch! Da kann doch kein vernünftiger Mensch dazu sagen, das stimmt. Also werden vernünftige Menschen spätestens an der Stelle aus der Befragung aussteigen und sagen, wenn ihr so einen Quatsch fragt, kriegt ihr von mir auch keine Antworten.
    "Am Telefon erreicht man immer nur ganz gewisse Kreise"
    Baetz: Das Ganze war ja eine Telefon-Umfrage - wie sinnvoll sind solche Telefon-Umfragen, wenn man so nach der Methodik guckt, nach Ihrer Erfahrung?
    Bosbach: Man muss es manchmal machen, weil es schnell gehen soll, aber am Telefon erreicht man immer nur ganz gewisse Kreise, und diese Kreise sind auch nicht so hoch konzentriert bei den Antworten. Sie können auch nicht noch mal nachlesen, wie ich das bei der Frage gemacht habe, und dadurch sind die Ergebnisse dann noch mehr mit Vorsicht zu genießen.
    "Wenn jemand wirklich was wissen will, braucht er Befragungen"
    Baetz: Warum sind solche Umfragen überhaupt so beliebt?
    Bosbach: Weil die Menschen glauben an Zahlen und an sogenannte Fakten, und wenn etwas mit Zahlen belegt wird, hat das so diesen Wahrheitsanspruch: Das ist so. 44 Prozent, das ist so, das haben die ja erfragt, und dadurch kriegt eine Meldung viel mehr Druck, als wenn man einzelne Stimmen dazu befragen würde. Und es wird nicht hinterfragt, wie ist die Zahl zustande gekommen, ist die überhaupt korrekt. Da muss ich jetzt ein bisschen aufpassen, weil gerne werden über solche, meines Erachtens schwache Umfragen das ganze Umfragewesen in den Papierkorb geworfen, und da bin ich ein Gegner. Wenn Sie was wissen wollen, dann müssen Sie oft befragen. Ein Betrieb muss seine Mitarbeiter zur Zufriedenheit befragen. Ein Arzt oder eine Krankenkasse muss Untersuchungen machen, Befragungen, um etwas zu wissen. Also wenn jemand wirklich was wissen will, braucht er Befragungen. Allerdings gibt es eine Reihe, die das auch gebrauchen, um eine schöne Schlagzeile produzieren oder die eigene Meinung als die Meinung der Bevölkerung dastehen zu lassen, und dann werden Umfragen ausgenutzt, um ein anderes Ziel zu erreichen.
    "Manchmal ist ein inhaltlicher Zugang zu einem Thema wichtiger"
    Baetz: Das heißt, dass Journalisten so gerne auch Umfragen benutzen, weil das natürlich - ja, daran kann man natürlich auch schön Themen hochziehen oder, wie Sie auch sagen, Schlagzeilen produzieren. Das ist nicht immer sinnvoll, oder?
    Bosbach: Nein, es ist bei Weitem nicht immer sinnvoll. Manchmal ist ein inhaltlicher Zugang zu einem Thema wichtiger. Beziehungsweise wenn man Zahlen benutzt, dann soll man manchmal auch andere Zusammenhänge untersuchen als die, die die Zahlen in die Welt gesetzt haben.
    Ich habe jetzt ein aktuelles Beispiel: Gestern kam die Arbeitslosenmeldung, seit 24 Jahren keine so niedrige Arbeitslosenzahl, und damit ist vom Arbeitsministerium, von der Bundesagentur für Arbeit, entsprechend positive Stimmung gemacht worden. Die Zahl der Arbeitslosen ist wichtig, aber Journalisten hätten sich dann vielleicht mal, statt nur dieser schönen Meldung zu folgen, mal mit der Zahl selber befassen sollen - die 2,7 Millionen Arbeitslose, die jetzt genannt werden, das sind erstens 2,7 Millionen Schicksale, und zweitens, wenn Sie dann mal ein bisschen in die Entwicklung reingucken, also seit fünf, sechs Jahren tut sich nur minimal was bei der Arbeitslosigkeit, aber man feiert das, indem man sagt, seit 24 Jahren gab es keine geringere Arbeitslosigkeit. Die Zahl sehr wichtig, aber den Zusammenhang bitte selber untersuchen und nicht von dem übernehmen, der mit einer Zahl Eindruck erwecken will.
    Baetz: Das heißt, das wird nicht immer richtig interpretiert oder in den Zusammenhang gesetzt? Können Sie noch ein Beispiel nennen?
    Bosbach: Ich kann eine ganze Menge Beispiele nennen, aber eins, was mich auch besonders geärgert hat, nenne ich jetzt einfach mal: 2009 gab es einen sogenannten Bildungsgipfel der Länder und des Bundes, und Frau Merkel hat dann auch anschließend ganz stolz verkündet, dass Bund und Länder gemeinsam 18 Milliarden Euro mehr in die Bildung stecken würden. Da kann eigentlich nur jeder Beifall klatschen, der diese Meldung hört, und das war auch so erwünscht. Wenn Sie dann mal in die Details des Bildungsgipfels reingeguckt hätten, hätten Sie gemerkt, die 18 Milliarden Euro sind nicht für nächstes Jahr, sondern auf neun Jahre gestreckt - bleiben ja nur noch zwei Milliarden über. Außerdem nicht nur für Bildung, sondern auch für Bildung und Forschung - bleibt für Bildung nur noch 1,4 Milliarden über. Immerhin auch noch ein nettes Sümmchen, aber leider ist auch vergessen worden, die Preissteigerungsrate abzuziehen, und wenn Sie das noch getan hätten - die Preissteigerungsrate auch im Bildungssystem noch abgezogen -, dann hätten Sie festgestellt, man gibt im nächsten Jahr inflationsbereinigt weniger aus als im Jahr davor, und das feiert man mit einer Meldung, 18 Milliarden Euro mehr für die Bildung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.