Dienstag, 19. März 2024

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Luftschläge gegen Syrien
"Es geht darum, chemische Waffen auf Dauer zu ächten"

"Es ist offenkundig, dass Syrien nach wie vor über Giftwaffenvorräte verfügt und dass sie auch zum Einsatz kommen", so Ruprecht Polenz (CDU) im Dlf. Die Angriffe der USA, Frankreichs und Großbritanniens seien ein Signal in dem Bemühen, die Chemiewaffenkonvention wieder mit mehr Nachdruck zu versehen.

Ruprecht Polenz im Gespräch mit Jasper Barenberg | 14.04.2018
    Ruprecht Polenz in Berlin, im Steigenberger Hotel.
    Die Luftangriffe der drei westlichen UN-Vetomächte in Syrien haben ein unterschiedliches Echo gefunden - Ruprecht Polenz hält sie für "unvermeidbar" im Kampf gegen Chemiewaffen (imago / Metodi Popow)
    Jasper Barenberg: Unberechenbarkeit bis zuletzt! Der Kriegsdrohung via Twitter am Mittwoch waren verwirrende Signale aus Washington gefolgt, offen ließ Donald Trump nicht nur, wann er den Vergeltungsschlag befehlen würde, offensichtlich wurde ja auch, dass seine Berater uneins über den Umfang eines möglichen Militärschlags waren. Der ist jetzt offenbar etwas begrenzter ausgefallen als von vielen befürchtet. Rund 100 Raketen sind nach Angaben aus Washington von Schiffen und Flugzeugen abgefeuert worden in einem gemeinsamen Angriff von amerikanischen, britischen und französischen Streitkräften.
    Russland hat auf die Drohungen aus Washington ja in den vergangenen Tagen vergleichsweise ruhig reagiert, an einer Diplomatie über Twitter jedenfalls wolle man sich nicht beteiligen, hat es unter anderem aus dem Kreml geheißen. Andererseits zog ein hochrangiger Militär auch eine rote Linie, auf mögliche russische Opfer bei einem Militärschlag werde man selbst mit Raketen antworten, auch auf die Flugzeuge oder Schiffe, von denen diese Raketen abgeschossen würden.
    Und mitgehört hat der CDU-Politiker Ruprecht Polenz, viele Jahre lang Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, seit einigen Jahren ist er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Schönen guten Tag, Herr Polenz!
    Ruprecht Polenz: Guten Tag, Herr Barenberg!
    Barenberg: Wir haben viel in den vergangenen Tagen schon diskutiert über die Gefahr einer direkten Konfrontation der USA mit Russland im Syrien-Konflikt. Ist diese Gefahr heute geringer oder größer?
    Polenz: Es ist in der Tat an vielen Stellen in diesem Konflikt in Syrien möglich, dass die USA und Russland direkt aneinandergeraten. Ich glaube, dass die Aktion, die wir jetzt heute Nacht gesehen haben, ein Signal sein wird gegen Eskalation, und zwar in doppelter Hinsicht. Einmal, und das wird leicht übersehen, besteht die Gefahr einer Eskalation durch den Einsatz von Chemiewaffen, und zwar nicht nur in Syrien, sondern wenn ein solcher Angriff in Syrien unbeantwortet bliebe, dann könnte es sein, dass in Zukunft chemische Waffen in vielen Konflikten wieder Einsatz finden, und alle Bemühungen, die seit dem Ersten Weltkrieg unternommen wurden, diese schrecklichen Waffen, diese Massenvernichtungswaffen zu ächten, wären dann erfolglos, die Konvention von 1997, der auch Syrien beigetreten ist, würde sich langsam, aber sicher auflösen. Das galt es zu verhindern und gilt es nach wie vor zu verhindern. Und natürlich mussten die Angriffe so sein, dass sie möglichst zu keiner weiteren militärischen Eskalation führen, also ein schmaler Grat, auf dem man sich bewegt hat, aber, ich glaube, erfolgreich.
    Chemiewaffenkonvention mit "mehr Nachdruck" versehen
    Barenberg: Sie finden es also sowohl unvermeidbar wie in seinem Umfang richtig, was die USA mit Unterstützung der Briten und der Franzosen in der letzten Nacht gemacht haben?
    Polenz: Die Vereinten Nationen haben etwa 33 Angriffe mit Chemiewaffen bis jetzt in Syrien festgestellt, vor einem Jahr hat es eine Aktion gegeben aufgrund eines Chemiewaffeneinsatzes, das hat nicht ausgereicht, es gab jetzt die zweite. Das, glaube ich, war jetzt auch unvermeidbar, und die Signale, es sind eben nicht nur die USA, es ist auch Großbritannien, es ist auch Frankreich als ständige Mitglieder des Sicherheitsrats, die sich eben wegen der Blockade des Sicherheitsrats durch Russland insbesondere, aber manchmal auch durch China, genötigt gesehen haben, jetzt ein internationales Abkommen wieder mit mehr Nachdruck zu versehen, die Chemiewaffenkonvention.
    Barenberg: Nun wissen wir ja aber auch, dass die Experten der Organisation zum Verbot von Chemiewaffen, OPCW, dass die sich auf den Weg nach Syrien gemacht haben, dass die vor Ort angekommen sind, soweit wir das wissen, in Duma, um genau das genauer zu untersuchen. Russlands Vorwurf ist natürlich, dass der Angriff jetzt den Eindruck hinterlassen muss, dass die USA, dass der Westen möglicherweise insgesamt gar kein Interesse hat an einer genauen Aufklärung. Was halten Sie dem entgegen?
    "Russland widersetzt sich unabhängigen Untersuchungen"
    Polenz: Zunächst einmal hat auch diese Mission nicht den Auftrag, die Verursacher des Angriffs zu ermitteln, sondern nur noch einmal nachzuschauen, ob es überhaupt einen Chemiewaffenangriff gegeben hat. Dazu liegen aber inzwischen so viele Beweise vor, auch von unabhängigen Organisationen, dass ich persönlich daran jedenfalls nicht zweifle. Und die Frage, die sich ja an etliche dieser Untersuchungen dann angeschlossen hat, war ja … Man hat dann gesagt, und das haben die Russen jetzt ja beispielsweise auch behauptet, es wären sogar die Briten gewesen, die diesen Chemiewaffenangriff simuliert hätten, ihn vorgetragen hätten, um zu der jetzigen Aktion zu kommen. Das halte ich für mehr als absurd. Und wenn man die Geschichte der russischen Dementis und Propagandaanstrengungen in den letzten Jahren sich anschaut, dann hat sich ja immer wieder dann auch im Nachhinein herausgestellt, dass diese Angaben nicht gestimmt haben. Russland widersetzt sich unabhängigen Untersuchungen, die auch den Auftrag haben, die Verursacher festzustellen, das Maximale, was man im Sicherheitsrat akzeptiert hat, war, man lässt was untersuchen, aber nur im Hinblick auf die chemischen Substanzen, aber weitere Schlussfolgerungen dürfen die Untersuchungskommissionen nicht ziehen. So wird der Auftrag auf Russlands Drängen immer begrenzt. Und deshalb finde ich das Argument, was jetzt vorgebracht wird, nicht besonders überzeugend.
    Barenberg: Das ist ja auch der Grund gewesen offenkundig, warum US-Präsident Donald Trump in einer Begründung für den Luftschlag angemerkt hat, dass Wladimir Putin, der russische Präsident, ein Versprechen gebrochen hat, nämlich das Versprechen, 2013 alle Chemiewaffen in Syrien zu vernichten und dafür zu sorgen, dass Assad nicht mehr über Chemiewaffen verfügt. Liegt das für Sie auch auf der Hand und ist ein dauerhaftes Problem? Sie haben die verschiedenen bestätigten Giftgaseinsätze ja erwähnt.
    "Syrien hat Versprechen nicht eingehalten"
    Polenz: Ich glaube, es ist offenkundig, dass Syrien nach wie vor über Giftwaffenvorräte verfügt und dass sie eben auch zum Einsatz kommen. Von den 33 Anschlägen haben die Vereinten Nationen, ich glaube, 26 eindeutig dem syrischen Regime zugeordnet, bei den restlichen hat man gesagt, das könne man nicht klar sagen. Also der Vorwurf besteht sicherlich, dass Syrien selbst die Versprechen, sich von allen Chemiewaffen zu trennen 2013, nicht eingehalten hat. Ob Russland jetzt in der Lage gewesen wäre, das zu überprüfen und durchzusetzen, ist dann noch mal eine andere Frage. Es kann auch durchaus sein, dass Assad in der einen oder anderen Frage hier auch an Russland vorbeioperiert. Russland selbst – und das ist ja jetzt die Frage, wie es weitergeht – hat ja auch so reagiert, dass man verstanden hat: Es ist kein Angriff der drei, um jetzt sozusagen die Kräfteverhältnisse in Syrien noch mal auf den Kopf zu stellen, sondern es geht wirklich vor allen Dingen darum, chemische Waffen auf Dauer zu ächten.
    Barenberg: Aber gibt es dafür Erfolgsaussichten? Wenn wir berücksichtigen, dass die USA etwa ja auch gleichzeitig klarmachen, dass sie sich eher völlig aus Syrien zurückziehen wollen als weiter sich dort dauerhaft militärisch zu engagieren?
    Polenz: Das ist schwer zu sagen. Natürlich basiert das Chemiewaffenabkommen auch darauf, dass alle Staaten dieses Interesse haben müssten und auch wohl haben, sonst hätten sie die Übereinkunft nicht unterschrieben, diese Massenvernichtungswaffen, die zu einem außerordentlich grausamen Tod führen können, dauerhaft zu ächten. Und wenn man jetzt an die anderen Akteure denkt, der Iran beispielsweise hatte in dem Krieg gegen den Irak unter Giftgaseinsätzen zu leiden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es dem Iran völlig gleichgültig sein kann, ob solche Waffen wieder normale Kriegsführungswaffen werden. Und deshalb besteht schon eine Hoffnung. Eine Sicherheit kann man nicht haben, andererseits, wenn man diese Frage aufwirft, muss man sich natürlich fragen: Wie wären die Signale gewesen, wenn Assad jetzt mit einem Giftgaseinsatz nach dem anderen so verfährt, als wäre das eine ganz normale Kriegsführungswaffe? Und da ist jetzt dieses Signal von drei ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats, finde ich schon, etwas, was seine Wirkung hoffentlich nicht verfehlt.
    Barenberg: Ruprecht Polenz, der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde, heute hier live im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, Herr Polenz!
    Polenz: Bitte schön, Herr Barenberg!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.