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Lukaschenko und die vierte Macht

Bei den Präsidentschaftswahlen am 19. Dezember in Weißrussland ist Misstrauen angebracht – denn von demokratischen Verhältnissen ist das Land weit entfernt. Dafür sorgt Alexander Lukaschenko, der im zweifelhaften Ruf steht, Europas letzter Diktator zu sein. Weißrussische Journalisten fühlen sich gegängelt und fordern endlich Pressefreiheit.

Von Florian Kellermann | 16.12.2010
    In der Redaktion der Wochenzeitung "Nascha Niwa" herrscht Hochbetrieb. Die Journalisten schließen gerade den Umbruch ab, morgen erscheint die nächste Nummer. Sie wird ihren Lesern berichten, dass die weißrussische Opposition am Tag nach der Wahl eine Großdemonstration plant.

    Nascha Niwa ist eine von zwei unabhängigen Zeitungen, die seit zwei Jahren wieder in ganz Weißrussland frei erhältlich sind. Die staatliche Vertriebsgesellschaft bringt sie seitdem wieder an die Kioske und auch direkt zu den Abonnenten. Die Auflage habe sich danach auf 6.000 Exemplare verdreifacht, sagt Chefredakteur Andrej Skurko:

    "Wir würden gerne Werbung machen und mehr Leser gewinnen. Aber das ist schwierig. Wir haben bei der U-Bahn in Minsk nachgefragt. Alle Werbeflächen seien schon verkauft, hat man uns erklärt. Dabei sehen wir jeden Tag genug freie Flächen, wenn wir zur Arbeit fahren. So versucht der Verwaltungsapparat, uns zu behindern. Unabhängige Zeitungen kann bei uns also nur der lesen, der gezielt nach ihnen sucht."

    Trotzdem ist Nascha Niwa wieder eine bedeutende Stimme in Weißrussland. Das zeige eine Ausgabe vor wenigen Wochen, sagt Andrej Skurko. Die Zeitung berichtete über einen Film im russischen Fernsehen, der schwere Vorwürfe gegen den weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko zitierte. Das Staatsoberhaupt habe in den 1990er-Jahren politische Gegner umbringen lassen, heißt es dort.

    Andrej Skurko: "Diese Ausgabe ist nicht in den Kiosken angekommen. Die staatliche Vertriebsgesellschaft behauptet das zwar, aber unsere Leser konnten sie nirgends kaufen. Die Regierung versucht, uns an der kurzen Leine zu halten. Das Informationsministerium hat uns schon drei Verwarnungen ausgesprochen – und könnte unsere Redaktion deshalb nach geltendem Recht jederzeit schließen. Aber davon lassen wir uns nicht beeindrucken. Wir werden so lange objektiv informieren, wie wir können."

    Freie Presse war eine der Bedingungen der Europäischen Union, als sie Weißrussland entgegenkam. Vor zwei Jahren hob die EU das früher verhängte Einreiseverbot für Lukaschenko und andere Regierungsmitglieder auf. Trotzdem warten noch immer zahlreiche Oppositionszeitungen darauf, dass die staatlichen Kioske sie auch verkaufen dürfen. Auch die Recherche sei für unabhängige Journalisten nicht einfacher geworden, sagt Jahor Mayortschyk, Mitarbeiter bei Radio Liberty in Minsk:

    "Wenn wir bei einem Ministerium oder einer anderen Institution anrufen, dann bekommen wir keine Antwort auf unsere Fragen. Dann heißt es, wir sollen einen Brief schreiben und würden innerhalb von zehn Tagen eine Auskunft erhalten. Das ist natürlich für uns viel zu spät, schließlich müssen wir aktuell berichten."

    Die Europäische Union fordert echte demokratische Reformen, aber Weißrussland liefere allenfalls ein Imitat, sagen Experten. Auch bei der Pressefreiheit: Zwei unabhängige Zeitungen kommen kaum gegen die Übermacht der staatlich kontrollierten Medien an, vor allem des Fernsehens. Die Oppositionskandidaten durften hier vor der Wahl zwar eine Stunde lang live miteinander debattieren. Aber darüber hinaus wirbt das Fernsehen beinahe rund um die Uhr für Lukaschenko.

    Ein Beispiel aus dem Abendprogramm: Die Sendung "Staatspolitik" berichtet vor der Wahl über die glänzenden Erfolge des Landes in den vergangenen fünf Jahren. Von modernen medizinischen Geräten in den Krankenhäusern ist die Rede und vom Anschluss weiterer Kleinstädte an die Gasversorgung. 25 Minuten lang kommt keine einzige kritische Stimme zu Wort.

    Das sei für viele Weißrussen normal, sagt Aleg Grusdelovitsch, Redakteur bei Radio Liberty:

    "Ich habe meine Laufbahn in der Sowjetunion begonnen. Wir haben damals solche Berichterstattung für richtigen Journalismus gehalten. Erst nach der Perestrojka haben wir verstanden, dass wir ein Thema von verschiedenen Seiten beleuchten sollten. Heute werden die Jungen wieder in der Tradition des sowjetischen Journalismus ausgebildet. Sie berichten so, wie die Vorgesetzten es ihnen auftragen - und finden das in Ordnung."