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Lusthaus oder die Schule der Gemeinheit

Wie macht das der Franzobel? Kaum wirft Österreichs mutmaßlich fidelster Avantgarde-Dichter seine Sprachverfremdungs-Maschine an, kaum hebt er zu erzählen an, einen Roman oder ein Kurzprosawerk, öffnen sich auch schon die Schleusen der Poesie, und der Leser wird hinweggeschwemmt von einem Sturzbach begnadeter Metaphern, durchgeknallter Regieeinfälle und hochinfantiler Gags. Man weiß nicht recht, ist es Genie oder Irrsinn, was den 35jährigen antreibt, auf jeden Fall legt Franzobel auch in seinem jüngsten Roman einen erzählerischen Furor an den Tag, der dem Leser das äußerste an Konzentration abverlangt.

Günter Kaindlstorfer | 15.07.2002
    Gar nicht so leicht, die Handlung von "Lusthaus" zu skizzieren. Es geht zunächst einmal um das Generalthema Tod, schließlich ist der Autor Österreicher, und als solcher weiß er mit Georg Kreisler: "Der Tod, das muss ein Wiener sein". Dabei beginnt Franzobels Roman gar nicht in Wien, sondern in Palermo, genauer: in den Kapuzinerkatakomben der sizilianischen Kapitale, wo achttausend Leichen für die Nachwelt aufbewahrt werden, mit Pappmache gefüllt und luftgetrocknet locken sie Jahr für Jahr Zehntausende Touristen an. Vor achtzig Jahren wurde in dieser unterirdischen Begräbnisstätte, wenn man Franzobels verschrobener Phantasie glauben darf, der Leichnam eines 2jährigen Mädchens namens Rosalia Lombarde einbalsamiert. In den frühen Siebzigern führ der Geist dieses Mädchens - der Franzobelschen Dramaturgie zufolge - in den Körper einer Urlauberin aus Wien, und seither treibt Rosalia Lombardo, die untote Ich-Erzählerin, in der österreichischen Hauptstadt ihr vampiristisches Unwesen.

    Die Wiener, sagt man, lieben den Tod wie ihren besten Feind. Wie erging es Franzobel, als er im Zuge der Roman-Recherchen die Katakomben von Palermo besucht hat: Wurde er da, als Liebhaber des Makaberen, von Wollustschauern durchzuckt? Franzobel:

    Na, überhaupt nicht, man ist wahnsinnig überrascht, man erwartet das nicht. Palermo ist ja eine wahnsinnig lebendige Stadt... hupende Taxifahrer ... man steigt in diese Welt hinab und steht inmitten von Leichen... wie in einer Geisterbahnen.... obwohl man diese Leichen berühren kann, sie sind kaum abgeschirmt... Kordel.... wenn man da ein bisschen durchgreift, dann hat man das am Finger, sozusagen.

    Wirklich lustfrei klingt das nicht gerade. Franzobel gibt gerne zu, dass ihn die Phänomene des Körperlichen, zu denen Verrichtungen wie Essen und Trinken genauso gehören wie die Sensationen des Analen und Genitalen und eben auch der Tod... dass ihn all diese Dinge ungeheuer anziehen.

    Na ja, ich bin wahrscheinlich ein barocker Mensch. Der Tod hat für mich schon sehr viel mit Lust zu tun.... etwas, das mich wahnsinnig fasziniert, das ich wahrscheinlich auch als geil empfinde, dem Verdrängten, Zensurierten nahe zu kommen..... Mich begeistert auch Allerheiligen...", wenn ich einmal auf einen Friedhof komme, dann schaue ich ihn mir schon an und bin schon sehr fasziniert.

    Das Schicksal der untoten Sizilianerin gibt nur die Rahmenhandlung ab für den Roman - im Zentrum des Geschehens steht wie immer bei Franzobel eine reichlich durchgeknallte Personnage aus dicken Damen und feisten Feschaks. Da wäre zunächst einmal die dralle Argentinierin Pasqualina. Sie lebt seit Jahren in Wien und will die Asche ihres argentinischen Nazi-Vaters ausgerechnet auf dem Heldenplatz, dem Anus Österreichs, ausstreuen; da ist ferner die süße Conchita, ebenfalls Argentinierin, die der Liebe wegen nach Wien gekommen ist und dann von ihrem Gspusi, einem finsteren Strizzi namens Manker, schmählich im Stich gelassen wird; da ist außerdem der chilenische Flüchtling Seth, ein melancholischer Unglücksrabe, der sich ausgerechnet in Conchita verliebt und von der schönen Argentinierin alles andere als zartfühlend behandelt wird - ist sie doch immer noch in den faschistischen Österreicher Manker verliebt.


    Franzobel legt ein forsches Erzähltempo an den Tag, und wer den flotten, hundertfach verästelten Mäanderungen der Handlung Folgen will, muß sich ordentlich dranhalten. Das ist vielleicht das Problem von Österreichs vermutlich barockstem Avantgardisten: Wir haben es mit einem originären Dichter zu tun, überraschende Metaphern und poetische Einfälle scheinen dem austriakischen Originalgenie Franzobel nur so zuzufliegen, aber die Erzählökonomie ist seine Sache nicht. Franzobels Poesiemaschine dreht sich mit hunderttausend Umdrehungen pro Minute - von der ersten bis zur letzten Seite wird der Leser von der Überwältigungs-Ästhetik des Oberösterreichers in Atem gehalten. Platz für Nuancen und Abstufungen, für kleine Erholungspausen während der Lektüre gibt es da nicht. Natürlich, die kunstvoll gearbeitete Litanei hat eine große Tradition in der österreichischen Literatur, von Thomas Bernhard bis Elfriede Jelinek, und auch Franzobel ist dieser Tradition uneingeschränkt zuzurechnen, aber auf den Leser wirkt das abstufungsfreie Furioso seiner poetischen Wortkaskaden bisweilen etwas ermüdend.

    Dass im Zentrum des Romans eine Gruppe von lateinamerikanischen Emigranten steht, wurzelt in durchaus autobiographischen Tatbeständen: Ist Franzobel doch seit Jahren mit der argentinischen Künstlerin Caria Degenhardt verheiratet, mit der er abwechselnd in Wien und Buenos Aires lebt.

    Der Plan dieses Romans war ursprünglich, das Leben von jungen, ausgewanderten Südamerikanerinnen in Österreich darzustellen, vor allem natürlich von Südamerikanerinnen, also auch von Argentinierinnen, die ich über meine Frau kenne, und sozusagen die Atmosphäre Heimatloser darzustellen" die halt "n Österreich leben müssen oder leben wollen oder wie auch immer. Ein zentrales Thema von "Lusthaus" ist der Tod, wie erwähnt. Sinnfällig wird das nicht nur in der Gestalt der lebenden Leiche Rosalia Lombardo, sondern auch in einer anderen Hauptfigur, sofern man im figurenreichen Panoptikum der Franzobel sehen Erzählwelt überhaupt von Hauptfiguren sprechen kann: Der Hörfunk-Redakteur Zsmirgel, ein extra-netter, politisch korrekter Zeitgenosse, hat sich auf die Voraus-Produktion von Radionachrufen spezialisiert. Da bedeutende Dichter und ruhmreiche Komponisten in der Regel nachts verbleichen und die Redakteure des Österreichischen Rundfunks sich um drei oder vier Uhr morgens ungern aus dem Schlaf reißen lassen, hat Zsmirgel ein paar hundert Nekrologe vorbereitet, damit die Hörer des Österreichischen Rundfunks, wenn Gevatter Tod wieder einmal zugeschlagen hat, schon in grauer Morgenstunde einen ordentlichen Nachruf serviert bekommen, ohne dass der Redakteur zu nachtschlafener Zeit ins Funkhaus eilen muss.

    Redakteur Zsmirgel hat allerdings ein Problem: Sobald er einen gravitätischen Nachruf auf, sagen wir. Friedensreich Hundertwasser oder Ernst Jandl fertiggstellt hat, segnet der Betreffende auch schon das Zeitliche. Und während der hauptberufliche Nekrologe noch überlegt, ob er etwa über magisch-okkulte Talente verfügt, lernt er Manker kennen, den nämlichen Manker, der wenige Seiten zuvor die schöne Argentinierin Conchita ins Unglück gestürzt hat. Manker übernimmt es nun, den notorisch netten Redakteur die Kunst der Gemeinheit zu lehren. Keiner ist prädestinierter dazu als er, der zynischer Finsterling, der Mussolini und Hitler verehrt und sich im Reich des Sexuellen vor allem von avancierten Natursekt-Spielen auf Touren bringen lässt:

    Na ja, also überzeichnet gesagt ist es so, dass Zsmirgel eher der Gutmensch ist, der an den Humanismus glaubt.... während Manker eher ein Zyniker ist. Und ich kann ja nur für mich sprechen, und ich kenne natürlich beide Personen in mir. Es gibt einerseits die Person, die an nichts mehr glaubt, es gibt andererseits durch die familiäre Situation noch das.... dass man an das Positive glaubt.

    Thematisch und stilistisch steht "Lusthaus" in der ruhmreichen Tradition des g'schmackig Makabren. Monty Python und Herzmanovsky-Orlando lassen ebenso grüßen wie die schwülstigen Sprach Schöpfungen des Barock, die Franzobel in überschäumender Spiellust einmal mehr auf eine gleichermaßen virtuose wie infantile Ebene hinunterzerrt.

    Dergleichen muss man mögen. Wer von einem Roman präzise Erzählökonomie und dramaturgische Plausibilität erwartet, einen handfesten Plot gar, der lasse die Finger von diesem Buch. Wer aber ein Faible hat für übermütige Sprachspiele und grotesken Humor, wer an aberwitzigen Regieeinfallen und gezielten Geschmacklosigkeiten Geschmack findet, der ist mit Franzobels phantasievoll-morbidem Thriller bestens bedient.