Mittwoch, 24. April 2024

Archiv

Luther in Afrika
Namibia - das lutherischste Land der Welt?

Die Reformation hat Europa verändert und wurde zugleich zu einem Exportschlager. Im Gepäck der Missionare gelangte sie auch nach Afrika. Namibia dürfte das protestantischste Land der Welt sein: Zwei Drittel der Bevölkerung gehören reformierten Kirchen an, die Hälfte sind Lutheraner. Im Mai kommt hier der Lutherische Weltbund zusammen.

Von Sebastian Mantei | 08.03.2017
    Die Dampflokomotive "Der schwarze Martin Luther" in der Namib-Wüste. Sie ist zum Wahrzeichen der namibischen Küstenstadt Swakopmund geworden.
    Die Dampflokomotive "Der schwarze Martin Luther" in der Namib-Wüste. Sie ist zum Wahrzeichen der namibischen Küstenstadt Swakopmund geworden. (imago / KP-Wolf)
    Seit genau 120 Jahren steht er in der Namib-Wüste: der schwarze Martin Luther. Er ist zum Wahrzeichen geworden und wird gepflegt von Bürgern in Swakopmund, der namibischen Küstenstadt zwischen Wüste und Atlantik.
    "Unser Martin Luther hier in Swakopmund hat ein Herz von Eisen, hat mit der Kirche nicht viel im Sinn. Aber er hat zu seiner Zeit vielen Menschen geholfen. Dieser Martin Luther ist eine Dampflokomotive und kam 1896 aus Halberstadt in Deutschland von der Firma Dehne nach Namibia beziehungsweise das damalige Deutsch-Südwestafrika", sagt Almuth Styles. In Swakopmund führt die kleine Frau ein Tourismusbüro und hat sich in die schwarze Dampfmaschine namens Martin Luther verliebt - und sie hat geholfen: Bei der Sanierung des Mobils und beim Bau der gläsernen Garage, die Luther vor dem rosten schützt.
    "Hier stehe ich und kann nicht anders"
    Luther ist ein sogenanntes Lokomobil. Mit seinen großen Hinterrädern erinnert es an einen eisernen Vorfahren des Traktors, der auf seinem Kessel einen übergroßen Schornstein trägt. Der Bauch des Eisenluthers ist vernietet. 280 Zentner ist er schwer und nicht viel gefahren, gerade einmal ein knappes Jahr.
    Styles: "Und der Volksmund, also was man sich die Geschichten so erzählt, dass der Motor mal ohne Wasser gelaufen ist, weil der Maschinist an dem Tag vorher ein bisschen zu viel gefeiert hatte. Ende vom Lied war, dass dann die Maschine steckenblieb und im Sand festsaß und dann hat man sie einfach stehenlassen. Irgendwann hat dann irgendjemand in einer Bar gesessen und gesagt: 'Ja, das ist der Martin Luther, hier stehe ich, ich kann nicht anders'. Und seitdem heißt unsere Dampflokomotive Martin Luther."
    Seit 120 Jahren steht der namibische Luther in einer der ältesten Wüsten der Welt.
    Luther hat das Land geprägt
    Für Deutsche in Namibia übte er immer eine besondere Anziehung aus, erzählt Pastor Klaus-Peter Tietz und erinnert sich an seine Kindheit.
    "Für uns, die wir dann vom hohen Norden runterkamen zu Ferienzeiten und Urlaub nach Swakopmund, war die ausrangierte Dampflok, der sogenannte Martin Luther, immer ein wichtiges Ziel. Von daher hat sich das ganz tief eingeprägt. Die geschichtlichen Hintergründe, die haben sich erst später uns aufgetan."
    Erst als Jugendlicher und als Theologiestudent lernt Tietz den echten Reformator kennen. Luthers Ideen haben das Land geprägt, bis die Apartheid eingeführt wurde. Tietz erinnert daran, "dass die Rassentrennung, oder wie es damals hieß, die getrennte Entwicklung der verschiedenen Völker religiös untermauert wurde. Das hätte Luther, glaube ich, zu seiner Zeit so nicht nachvollzogen."
    Bis 1990 ist Südwestafrika beziehungsweise Namibia eine Provinz Südafrikas. Es gelten somit auch hier die Apartheidgesetze. Die schwarze Bevölkerung muss in sogenannten Homelands wohnen. Das verurteilen die schwarzen lutherischen Kirchen. Aber auch weiße Protestanten engagieren sich gegen die Apartheid. Etwa in der Martin Luther High School, die sich der Kontrolle des Apartheidstaates zu entziehen versuchte. Gottfried Tötemeyer gründete sie in den 1960er-Jahren mit weißen und schwarzen Kollegen an der Grenze zu einem Homeland. In seinen Erinnerungen schreibt Tötemeyer:
    "Nach dem Willen des Staates sollte sie in einem Homeland errichtet werden. Nach zähen Verhandlungen mit Kirchenleitung und dem südafrikanischen Minister für Bantu-Administration gab es eine Sondererlaubnis, die Schule angrenzend an ein Homeland zu bauen. Dies sollte mit der Auflage geschehen, dass die Schule mit Internaten im Homeland und die Unterkunft für die weißen Lehrkräfte im Gebiet der Weißen gebaut werden sollte. An diese Auflagen hat sich die Kirche nicht gehalten."
    Schule gegen Apartheid
    Die Gründer benannten ihre Schule nach Martin Luther, weil sie ihn und seine Kerngedanken so verstanden, dass "ein Christenmensch ein freier Herr über alle Dinge und niemand Untertan sei." Vor 500 Jahren ging es Luther um Reformen in der Kirche, im Apartheidstaat ging es der schwarzen Bevölkerung um die Beseitigung der Rassentrennung. Die Martin Luther High School in Okombahe ist bis heute ein Beispiel, wie Protestanten im Kleinen die Grenzen der Apartheid zu überwinden versuchten.
    Die Evangelisch-Lutheranische Kirche in Swakopmund, erbaut im Jahr 1911. Sie ist das Kirchengebäude der Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia (DELK).
    Die Evangelisch-Lutheranische Kirche in Swakopmund, erbaut im Jahr 1911. (picture alliance / dpa-zentralbild / Thomas Schulze)
    Erst 1990 endet die Apartheid und der Befreiungskampf führt zur Unabhängigkeit Namibias. Die Befreiungsbewegung SWAPO wird Regierungspartei. Die Lutheraner im Land begleiten diese Entwicklung ausgesprochen wohlwollend. Zu unkritisch, meint heute Burgert Brand. Er ist Bischof der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia:
    "In dem Prozess des Unabhängig-Werdens war es ganz klar, dass die Kirchen sich sehr kritisch gegenüber dem Apartheidstaat geäußert haben und auch völlig zu Recht. Aber dann sind eben die, die Unabhängigkeit bewirkt haben, in die Regierung gekommen, und sie sind nun eben nicht Befreiungskämpfer, sie sind jetzt Regierung. Damit haben sie eine andere Aufgabe, damit haben sie eine andere Stellung, und die Kirche ist weitgehend ruhig geworden - und das muss sich ändern."
    "Die Kirche traut sich zu wenig"
    Bischof Brand hofft, dass mit der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes im Mai die drei lutherischen Kirchen Namibias endlich enger zusammenrücken. Das ist ihnen seit der Unabhängigkeit kaum gelungen. Doch nur gemeinsam können sie mit einer Stimme kritische Themen, wie etwa die Armut in Namibia ansprechen. Pastor Klaus-Peter Tietz erinnert dabei an den Reformator.
    "Ich denke, wenn Luther heute leben würde, würde er, wie damals, die Fürsten davor warnen, dass die verarmten Schichten einen Aufstand proben könnten. Was allen lutherischen Kirchen im Lande heutzutage fehlt, nach meiner persönlichen Einschätzung, dass sie sich zu den öffentlichen Fragen nicht zu Wort melden. Sie melden sich zu Wort, wenn es geht um HIV-Aids oder Umweltfragen. Aber wenn es geht um diese ganz brisanten Sachen, wo eine regierende Partei kritisiert werden soll, auf Umstände die sie geschaffen hat, ich glaube an dieser Stelle traut sich im Moment keine der lutherischen Kirche, wie Luther zu agieren."