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"Luxemburg Leaks"
"Viel professionellere Art des Steuerbetrugs"

Im Gegensatz zu anderen Steueroasen seien die Steuerkonstrukte in Luxemburg zielgerichtet von Beratern entwickelte Modelle, um Konzernen den Steuerbetrug zu ermöglichen, sagt NRW-Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) im DLF. Deutschland müsse sein wirtschaftliches Gewicht einsetzen, um dies zu unterbinden.

Friedbert Meurer im Gespräch mit Norbert Walter-Borjans | 07.11.2014
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD)
    Der nordrhein-westfälische Finanzminister Norbert Walter-Borjans (SPD) (dpa / Federico Gambarini)
    Als konkrete Instrumente nannte er die Mindestbesteuerung von Unternehmen sowie nur steuerliche Absetzbarkeit zuzulassen, wenn nachgewiesen werde, dass anderswo versteuert worden sei, sagte er.
    Auch die Initiative "Base Erosion And Profit Shifting (BEPS), an der Deutschland aktiv teilnimmt, helfe, die Gewinnverlagerung von Unternehmen zu beobachten.
    Zudem müsse Deutschland sein "wirtschaftliches Gewicht in der EU in die Waagschale werfen", sagte Walter-Borjans. Schätzungen zu Folge entgingen der EU jährlich eine Billion Euro an Steuern, sagte er. Auf Deutschland entfielen dabei circa 160 Milliarden Euro.
    Luxemburg pflegt dieses Konstrukt
    Im Hinblick auf das Wissen der Luxemburger Regierung um die Steuerhinterziehung sagte Walter-Borjans, dass Luxemburg diese Geschäftsmodelle akzeptiere. Es sei eine "pikante Angelegenheit", dass der jetzige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zuvor Luxemburgs Premierrminister war und nun eine Prüfung seines Landes anstoßen werde. Aber: "Wenn Menschen in eine andere Position wechseln, wechseln sie auch manchmal das Verständnis. Hoffnung ist nicht alles, man muss hinschauen", sagte Walter-Borjans..

    Das vollständige Interview können Sie hier nachlesen:
    Friedbert Meurer: Eine halbe Million Einwohner hat Luxemburg gerade einmal. Nur Malta ist in der Europäischen Union noch kleiner. Aber das kleine Luxemburg ist ein mächtiger Finanzstandort. Alle großen Banken haben dort ihre Ableger. Alleine in Fonds sollen in Luxemburg über dreieinhalb Billionen Euro liegen. Gestern haben mehrere internationale Medien umfangreiches internes Material aus Luxemburg geleakt, also enthüllt. Danach helfen nicht nur die Banken, sondern vor allem auch die Regierung Luxemburgs internationalen Konzernen dabei, wenig oder fast keine Steuern mehr zu bezahlen. Was kann man dagegen tun? - Norbert Walter-Borjans ist der Finanzminister Nordrhein-Westfalens (SPD). Ich begrüße ihn in Berlin, dort ist heute Bundesratssitzung. Guten Morgen, Herr Walter-Borjans.
    Norbert Walter-Borjans: Guten Morgen, Herr Meurer.
    Meurer: Haben Sie das im Prinzip gewusst, was da in Luxemburg offenbar abgeht?
    Walter-Borjans: Geahnt, und zwar nicht nur in Luxemburg, aber eben auch in Luxemburg. Es gibt ja seit Längerem die nur grob geschätzten Zahlen, weil man ja nichts Genaues sagen kann, auch der Europäischen Kommission, die immer darauf hingewiesen hat, dass in der Europäischen Union in etwa eine Billion an Steuern jedes Jahr durch Umgehung am Fiskus vorbeigeht, also gar nicht der Teil, der durch Betrug, durch Gesetzesverstoß nicht bezahlt wird. Der ist deutlich kleiner. Der ist groß genug und schadet genug, aber die Umgehung, die Konstruktionen, die zielgerichtet von Beratern, von Unternehmen genutzt werden und entwickelt werden und dann von Staaten geduldet werden, die sind der größere Brocken, und da ist Luxemburg schon einer, der sich daran ordentlich beteiligt und da sein Geschäftsmodell sieht.
    Meurer: Eine Billion Euro, sagen Sie. Wenn man den Schlüssel nimmt, ein Viertel, wie Deutschland die Beiträge bezahlt, das wären 250 Milliarden Euro für Deutschland, die uns verloren gehen?
    Etwa 160 Milliarden Euro Steuerverlust in Deutschland
    Walter-Borjans: Wenn wir nach Einwohnern umrechnen, nicht nach dem Schlüssel, Sie könnten recht haben. Aber selbst wenn wir es ein bisschen vorsichtiger machen und nur den Einwohneranteil nehmen, dann kommen wir so auf 160 Millionen. Das ist die Zahl, die dadurch auch immer kursiert.
    Meurer: 160 Milliarden!
    Walter-Borjans: 160 Milliarden. Entschuldigung! - Und das ist natürlich, wenn Sie sich mal überlegen, dass wir, wenn wir über Verschuldung, über Kredite reden, in einem Haushalt über Beträge reden im einstelligen Milliardenbereich, dann weiß man, was hier steckt: Erstens an Schaden für eine Gesellschaft, was Infrastruktur, was Bildung, was Sicherheit angeht, und auf der anderen Seite, was die Belastung der Ehrlichen angeht, die deutlich niedriger sein könnte, wenn hier diese Konstruktionen nicht zu einer immer stärker werdenden Mode würden.
    Meurer: Die Beteuerung des luxemburgischen Finanzministers, die wir vorhin gehört haben, alles war rechtens, alles war legal, kompatibel mit allen Gesetzen, international und national, das wird jetzt von der EU-Kommission geprüft, nämlich ob das, was Luxemburg getan hat, gegen Wettbewerbs- und Beihilferecht verstoßen hat. Ist das der Königsweg, um solche Dinge zu verhindern?
    Sinnwidrige Nutzung von Gesetzeslücken
    Walter-Borjans: Erst mal bin ich sehr zufrieden darüber, dass eine Europäische Kommission nicht einfach erst mal glaubt, wenn jemand sagt, es war alles legal, sondern dass das wirklich auch intensiv geprüft wird. Das Zweite, was mich immer wieder erschüttert, ist, dass das Wort "legal" missbraucht wird. Das heißt, wenn ich genau mit hohem Aufwand alle Lücken ausleuchte, die ein Gesetz bietet, um es dann sinnwidrig zu nutzen - und das ist doch offensichtlich -, dass man sich dann damit brüstet, sich doch an alle Gesetze gehalten zu haben. Und da sprechen Sie eben an: Reicht es, was wir an Gesetzen haben? Das ist das eine. Und das Zweite ist: Wie geht man damit um? Ich glaube, dass man da durchaus sein wirtschaftliches Gewicht als EU-Mitgliedsland Deutschland beispielsweise noch deutlicher in die Waagschale werfen muss, weil manche verstehen da eben auch nur diese Ansage, dass man sagt, wir werden Dir ansonsten an anderer Stelle schaden, oder wir werden klar sagen, wir werden Alleingänge unternehmen müssen.
    Meurer: Werden Sie Ihre Steuerfahnder, die Daten-CDs kaufen, jetzt von der Schweiz nach Luxemburg umdirigieren?
    Walter-Borjans: Unsere Steuerfahnder sind sehr aktiv und sehr effizient und machen das nicht bloß mit Blick auf ein Land. Natürlich werden die Hinweise, die jetzt hier ans Tageslicht kommen, von der Steuerfahndung, und zwar auch von der gut funktionierenden Steuerfahndung Nordrhein-Westfalens bearbeitet. Das ist ja genau das Erfolgsrezept der letzten Jahre, dass man ganz deutlich sagen muss, es geht darum, dass immer mehr Informationen, die auch auf den Markt kommen, wirklich auch stringent genutzt und ausgewertet werden.
    Professionelle Art des Steuerbetrugs
    Meurer: Wieso ist das bei Luxemburg offensichtlich nicht geschehen, im Gegensatz zur Schweiz?
    Walter-Borjans: Wir haben ja lange Diskussionen darüber gehabt, ob man die Hinweise, die aus der Schweiz kamen, etwa zum Beispiel auch auf Datenträgern, für die Geld verlangt worden ist, ob man die nutzen darf oder nicht. Wir haben, glaube ich, im Ergebnis gezeigt, dass die Klientel derer, die die Steuern hinterzieht - und da ging es ja hauptsächlich um gesetzeswidrige Hinterziehung - offenbar darauf dann sehr empfindlich reagiert. Hier haben wir es mehr mit der Konstruktion zu tun, großen Unternehmen, großen Konzernen Wege zu ebnen, an der Steuer vorbeizuarbeiten, Gewinne zum Beispiel in Deutschland zu machen, die Steuern da aber nicht zu bezahlen, obwohl man natürlich hier auf den Markt angewiesen hast, auf die Verkehrswege angewiesen ist, und das ist eine, ich sage jetzt mal, viel professionellere Art des Steuerbetrugs im eigentlichen Sinne. So was braucht länger. Aber man sieht, es gibt auch da Lücken, und da muss auch eine Steuerfahndung dann einsteigen.
    Meurer: Herr Walter-Borjans, Sie haben eben gesagt, sinngemäß habe ich Sie in Erinnerung, Deutschland muss seine wirtschaftliche Macht einsetzen. Wie denn?
    Walter-Borjans: Wir haben im Koalitionsvertrag für die Große Koalition festgelegt, dass wir alles daran setzen wollen, auf der europäischen Ebene dazu beizutragen, dass die bestehenden Initiativen vorankommen. Da geht es ja um das Kürzel BEPS, Base Erosion and Profit Shifting, also das Unterwandern der Besteuerungsgrundlagen und das Verschieben von Gewinnen in Niedriglohnländer. Da sind wir aktiv, da machen wir ordentlich mit. Aber wir müssen auch ganz klar sagen:
    Wenn da immer wieder Länder dazwischen sind - und das erkennt man ja -, die sich vielleicht mit auf die Bühne stellen und sagen, wir werden hier was ändern, aber im Hintergrund daran arbeiten, ihr Geschäftsmodell nicht kaputt gehen zu lassen, dann muss man deutlich machen, es gibt Möglichkeiten der Mindestbesteuerung von Unternehmen in Deutschland, es gibt Möglichkeiten, Lizenzen, die ins Ausland verschoben werden, nur begrenzt zuzulassen, steuerliche Absetzbarkeit nur zuzulassen, wenn nachgewiesen wird, dass anderswo versteuert worden ist. Das wird noch zu wenig genutzt und da müssen wir, glaube ich, sehr deutlich machen, dass wir uns das nicht mehr lange angucken, was da insgesamt passiert, dass wir nicht immer nur nach Sonntagsreden hören, sondern dass wir dann sagen, das kann ja miteinander verzahnt werden.
    Meurer: Noch ganz kurz eine Frage mit Blick auf Brüssel. Trauen Sie dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker zu, den ehemaligen luxemburgischen Premierminister Jean-Claude Juncker zu überprüfen?
    Walter-Borjans: Das ist eine pikante Angelegenheit und man wird natürlich jetzt sehr gut hingucken müssen und das wird Jean-Claude Juncker auch wissen. Aber wir haben ja oft genug erlebt, dass, wenn Menschen von einer Position in eine andere wechseln, sie damit auch ein Stück, ich sage mal, ihr Verständnis wechseln. Da muss man ein Stück Hoffnung reinsetzen. Aber Hoffen ist nicht alles; man muss auch kontrollieren und hingucken.
    Meurer: Norbert Walter-Borjans, der Finanzminister von Nordrhein-Westfalen (SPD), zu den sogenannten Luxemburg-Leaks, also den Enthüllungen internationaler Medien, welche Steuerspar-Modelle es in Luxemburg alles so geben soll. Herr Walter-Borjans, danke schön! Auf Wiederhören nach Berlin.
    Meurer: Ich bedanke mich auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.