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Maaza Mengiste: "Der Schattenkönig"
Der schöne Krieg

Maaza Mengiste erzählt in ihrem Roman "Der Schattenkönig" vom Krieg Benito Mussolinis gegen Äthiopien. Dabei verwendet sie Themen und Motive aus der Ilias und verschiebt diesen blutigen Krieg ins Reich der Mythen und Legenden.

Von Tanya Lieske | 30.09.2021
Maaza Mengiste: "Der Schattenkönig"
Maaza Mengiste und ihr Roman "Der Schattenkönig" (Nina Subin / dtv )
Der Schattenkönig, von dem hier die Rede ist, ist ein klassische Doppelgängerfigur. Zum ersten Mal taucht er in der Mitte des Romans auf, als der Widerstand der äthiopischen Rebellen gegen die italienischen Faschisten sich auf einem Tiefpunkt befindet. Ein Künstler im Gefolge der Krieger besitzt eine äußerliche Ähnlichkeit mit dem bereits in England lebenden äthiopischen Kaiser. Der Mann heißt Minim, was eigentlich "Nichts" bedeutet. Es gelingt der jungen Protagonistin Hirut, Minim einzukleiden, ihn auf ein Pferd zu setzen, ihn Haltung zu lehren, kurz: ihn in ein Double des emigrierten Haile Selassie zu verwandeln. Wenigstens diese eine Schlacht ist so für die Äthiopier zu gewinnen.
"An diesem Tag bringt nicht Grauen die Bäume zum Beben, sondern Jubel. Es ist kein giftiger Regen, sondern höchste Ehrfurcht, die das Volk des Kaisers aufschreien lässt. Als der Kaiser die Hand hebt, um seine geliebten Untertanen zu segnen, rufen sie seine vielen Namen. Sie betten die Laute in den Rhythmus eines fröhlichen Gebets, während Minim als Verkörperung des Königs der Könige auf sie herunterblickt. Hirut stellt sich wieder neben ihn, stumm und benommen, mit schwellender Brust, überwältigt von diesem Ausdruck leidenschaftlicher Ergebenheit. Es war, wird sie später sagen, als liebten sie mich auch."
Die List gehört von Alters her zur klassischen Kriegsführung. Besonders beachtet wird sie, wenn sie einer unterlegenen Armee zum Sieg verhilft, wenn diese Armee von dunklen Feinden vernichtet zu werden droht. Das romantische Doppelgängermotiv, mit dem Maaza Mengiste diese List einführt, ist nur eine von mehreren Erzählstrategien, die die kriegerischen Ereignisse dieses Romans in Literatur verwandeln. Mengiste hat ihren Stoff auch feministisch ausgeleuchtet. Aus der Geschichte ihrer eigenen Familie weiß sie, dass auch Frauen in den beiden Kriegen zwischen Italien und dem damaligen Abessinien, dem heutigen Äthiopien, kämpften. Die vergessenen Geschichten dieser Frauen wollte sie, wie Mengiste im Nachwort erklärt, festhalten.

Ein psychologisch brisantes Dreieck

Die junge Hirut ist die Hauptfigur des Romans und zum Auftakt bereits eine Waise. Als billige Arbeitskraft ist sie an den Hof des Ehepaars Kidane und Aster gebunden. Hirut wird von der älteren Frau und dem Mann misshandelt. Dennoch wird deutlich, dass die drei Menschen mehr verbindet als das Gefälle aus Macht und Ohnmacht. Begehren, Intrigen aber auch unerwartete Zuneigung, Momente der Erkenntnis und der Erlösung prägen das Geschehen. Der Autorin gelingen hier psychologisch einprägsame Stillleben:
"Hirut empfindet den Schlag als befreiend. Es ist handfest: geschlagen zu werden. Es ist spürbar: Schmerz empfinden. Er lenkt sie ab von dem Zittern, das sich von Aster auf sie überträgt. Sie weint, während sie sich für den Schrei wappnet, denn sie weiß dass Aster auch ihre Stimme einsetzen wird."
"Der Schattenkönig" ist ein konventionell erzählter Roman. Das komplexe Beziehungsgeflecht zwischen einem reichen Inventar an Figuren, zu denen später auch ein italienischer Oberst, ein Kriegsfotograf jüdischer Abstammung und etliche Krieger auf beiden Seiten gehören werden, treibt ihn voran. Die Erzählstimme schlägt dabei durchgehend einen hohen Ton an, und sie schafft Erhabenheit und Bilder von großer Visualität. In einigen Passagen, vor allem wenn Frauen das Kriegsfeld betreten, verschiebt sich die damit verbundene Ikonografie sogar ins Religiöse:
"Der Himmel ist über dieser sonderbaren Erscheinung aufgerissen, und ein Lichtkreis kündigt ihren Abstieg an. Hinter ihr haben die Reiter sich zurückgezogen. Sie stehen jetzt in einer geraden Reihe, prachtvoll in ihrem Weiß, die Speere und Gewehre nach oben und den Blick auf die junge Frau gerichtet."
Maaza Mengiste zelebriert den Abessinienkrieg regelrecht, denn er ist für sie nicht nur ein historisches Ereignis, sondern auch ein archetypisches Menschheitsgeschehen.

Eine Verschiebung ins Mythologische

Um diesen Sinnsprung zu bewältigen, nimmt die Autorin eine Verschiebung in die Mythologie vor. Hin und wieder deutet die Erzählstimme an, dass es sich hier um eine Materialsammlung handele, aus der später ein Heldenlied geschrieben werde. Zudem gibt es in diesem Text eine thematische und motivische Anbindung an die Ilias und an die Trojanischen Kriege, etwa wenn ein Chor auftritt, der das Geschehen kommentiert:
"Singt, Töchter, von einer Frau und Tausenden, von jenen Scharen, die dem Wind gleich eilten, um ein Land von giftigen Bestien zu befreien. Singt, Kinder, von jenen, die euch vorausgingen, von jenen, die den Weg bereiteten, auf dem ihr zu wärmeren Sonnen schreitet."
Im Bewusstsein der Figuren, aber auch auf stofflicher Ebene lässt dieser Roman den Kriegszug der Spartaner, den Flug des Dädalus, die Amazonen, Klageweiber, den Orpheus, Gefängnisse und Labyrinthe wieder aufleben. Die arachaisch anmutende Sinngebung wird dadurch verstärkt, dass im Präsens erzählt wird. So überwindet die Erzähstimme Orte und Zeiten, sie schlüpft in die einzelnen Figuren hinein und wieder hinaus. Und doch legt man diesen Roman mit gemischten Gefühlen zur Seite. Denn man erinnert sich: Schöne Kriege gab es nicht, schöne Kriege gibt es nicht. Das gilt auch dann, wenn von Frauen erzählt wird, die hier mitgekämpft haben.
Maaza Mengiste: "Der Schattenkönig"
Aus dem amerikanischen Englisch von Brigitte Jakobeit und Patricia Klobusiczky
DTV, München, 567 Seiten, 25,70 Euro.