Mittwoch, 24. April 2024

Macht-Arithmetik nach der Wahl
Das Brüsseler Posten-Karussel nimmt Fahrt auf

Jean-Claude Juncker ist seinem Ziel, Präsident der EU-Kommission zu werden, einen Schritt näher gekommen: Er hat die Rückendeckung der Fraktionschefs im Parlament und sogar seines Kontrahenten Martin Schulz. Doch der Entscheidungsmarathon hat damit gerade erst begonnen.

Von Johannes Kulms | 27.05.2014
    Wer folgt ihnen nach? EU-Kommissionspräsident Barroso (links) und EU-Ratspräsident Van Rompuy.
    Wer folgt ihnen nach? EU-Kommissionspräsident Barroso (links) und EU-Ratspräsident Van Rompuy. (picture alliance / dpa / Sergey Guneev)
    Ist das die Vorentscheidung? Nicht wirklich. Denn auch mit der Rückendeckung der EU-Parlamentsfraktionen und seines Kontrahenten Martin Schulz ist keineswegs sicher, dass der Luxemburger tatsächlich dem Portugiesen José Manuel Barroso an der Kommissionsspitze folgen wird. Er bekommt zunächst mal nur den Vortritt. «Der Kandidat der größten Gruppe, Jean-Claude Juncker, wird als Erster versuchen, die nötige Mehrheit zu bilden», heißt es denn auch in einer gemeinsamen Erklärung der Fraktionen. Nun wird Juncker mit den verschiedenen Parteien im EU-Parlament verhandeln.
    Juncker hat den Vortritt. Kommissionspräsident ist er damit noch nicht
    Sollte der 59-jährige Juncker beim Versuch, eine Mehrheit zu finden, scheitern, wäre der nächste am Zug. Und das ist dann der Deutsche Martin Schulz. Doch tatsächlich ist Juncker zwei Tage nach den Europawahlen seinem Ziel einen kleinen Schritt näher gekommen.
    Die eigentliche Entscheidung über den begehrten Posten des Kommissionspräsidenten wird wahrscheinlich aber erst in mehreren Wochen fallen. Erstmals werden die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer am Dienstagabend über die Frage beraten. Es sind eben jene Staatenlenker, die dem EU-Parlament einen Kandidaten vorschlagen müssen. Über diesen stimmt anschließend das Parlament ab. Nötig ist eine absolute Mehrheit.
    Mitte Juli soll es soweit sein. Doch es ist weiterhin auch möglich, dass am Ende weder Juncker noch Schulz Kommissionspräsident werden - sondern eine ganz andere Person. Denn der Kommissions-Chefsessel ist keineswegs der einzige Posten, der neu vergeben wird. In den nächsten Wochen und Monaten steht eine ganze Palette wichtiger Personalentscheidungen an. Überall gilt es, die oft divergierenden Interessen von Staaten, Parteien und EU-Institutionen halbwegs ins Gleichgewicht zu bringen. Immer wieder ist die Rede vom „Paket" der Posten, das in den nächsten Wochen und Monaten zwischen den Staats- und Regierungschefs ausgehandelt werden soll. Denn fällt der eine begehrte Job dem einen großen Parteienlager zu, kommt das andere beim nächsten zum Zug. Außerdem sind zu berücksichtigen: große Länder - kleine Länder, Eurostaaten - Nichteurostaaten.
    Weitere hochkarätige EU-Posten in den nächsten Monaten zu vergeben
    Da ist das EU-Parlament, das einen neuen Präsidenten sucht. Bis jetzt steht der Sozialdemokrat Martin Schulz an der Spitze der Volksvertretung. Im Parlament ist es Brauch, dass der Chefposten abwechselnd an das konservative oder das sozialdemokratische Lager geht. Also wäre jetzt eigentlich ein Konservativer am Zug - ein Problem, sollte der EVP-Kandidat Juncker tatsächlich Kommissionspräsident werden. Gewählt wird der neue Chef vom neuen Parlament zwischen dem 1. Und dem 3. Juli.
    Ganz ähnlich sieht es beim Posten des EU-Ratspräsidenten aus; Amtsinhaber Herman Van Rompuy hört im November auf. Der EU-Ratspräsident leitet die Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs. Bei der Frage nach dem Nachfolger für Van Rompuy fällt der Blick wieder auf die EU-Kommission. Hier kommt normalerweise das Lager zum Zuge, das beim Kommissionsposten den Kürzeren zieht. Sollte die EU-Kommission einen konservativen Präsidenten bekommen, könnte Van Rompuys Nachfolger ein Sozialdemokrat werden. Oder eine Sozialdemokratin. In diesem Zusammenhang ist der Name der dänischen Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt aufgetaucht. Der konservative finnische Regierungschef Jyrki Katainen gilt als möglicher EU-Ratspräsident für den Fall, dass die EU-Kommission doch eine sozialdemokratische Spitze bekommt.
    Bleibt noch der hohe Beauftragte der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik, kurz EU-Außenbeauftragte. Die Britin Catherine Ashton wird Ende des Jahres aus diesem Amt scheiden. Als ein heißer Favorit für die Nachfolge galt lange Radoslaw Sikorski, bis dato polnischer Außenminister. Allerdings hat Sikorksi mit Blick auf die Ukraine-Krise mittlerweile deutlich gemacht, dass er seine Zukunft in Warschau sieht.
    Das Brüsseler Posten-Karussel hat also erst jetzt so richtig Fahrt aufgenommen.