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"Macht mir den rechten Flügel stark!"

Erst Frankreichs Armee rasch vernichten, dann alle Truppen gegen Russland werfen: So sah es 1905 der Zweifronten-Plan des deutschen Generalstabchefs Alfred Graf von Schlieffen vor. Im Stellungskrieg des Ersten Weltkriegs sollte diese Strategie kolossal scheitern.

Von Otto Langels | 04.01.2013
    Bekannt wurde Alfred Graf von Schlieffen Anfang des 20. Jahrhunderts durch den nach ihm benannten Angriffsplan: Im Falle eines Zweifrontenkrieges gegen Frankreich und Russland sollte die deutsche Armee zunächst Frankreich durch einen Überraschungsangriff im Handumdrehen besiegen, um anschließend die nicht mehr benötigten Truppen an die Ostfront verlegen zu können. Seine militärstrategischen Überlegungen entwickelte Schlieffen als Chef des Generalstabes.

    "Wenig hervortreten, viel leisten, mehr sein als scheinen."

    Dieser preußische Tugenden betonende Wahlspruch wird Alfred Graf von Schlieffen zugeschrieben, dem aus einem pommerschen Adelsgeschlecht stammenden Offizier und späteren Generalfeldmarschall. Geboren in Berlin am 28. Februar 1833 als Sohn eines preußischen Majors, begann Schlieffen nach dem Abitur ein Jurastudium, entschied sich aber schon bald für die militärische Laufbahn. Er nahm als Hauptmann bzw. Major an den Kriegen Preußens gegen Österreich und Frankreich teil, wurde Kommandeur eines Potsdamer Regiments und diente nach 1884 im Generalstab der Armee, dessen Chef er 1891 wurde.

    Führende deutsche Militärs bewegte zu der Zeit die Frage, wie sie in einem kommenden europäischen Krieg eine mögliche Einkreisung durch Frankreich im Westen und Russland im Osten verhindern könnten. Der General Hugo von Freytag-Loringhoven beschrieb das Problem in seiner Schlieffen-Biografie:

    "Die Ausgangslage für die Operationsstudien und Generalstabsreisen unter dem Grafen Schlieffen wie auch später unter seinem Nachfolger bildete stets der Zweifrontenkrieg."

    Schlieffen entwarf verschiedene militärische Aufmarsch- und Erstschlagsszenarien für die deutsche Armee und begründete deren Notwendigkeit mit der Mittellage des Deutschen Reiches. 1901 erklärte er vor Offizieren:

    "Deutschland hat den Vorteil, dass es in der Mitte zwischen Frankreich und Russland liegt und diese Bundesgenossen voneinander trennt. Es würde sich aber dieses Vorteils begeben, sobald es sein Heer teilen und hierdurch jedem einzelnen seiner Gegner an Zahl unterlegen sein würde. Deutschland muss daher bestrebt sein, zuerst den einen niederzuwerfen, während der andere nur beschäftigt wird; dann aber, wenn der eine Gegner besiegt ist, muss es unter Ausnutzung der Eisenbahn auch auf dem anderen Kriegsschauplatze eine Überlegenheit an Zahl heranführen, die auch dem anderen Feinde verderblich wird."

    In dieser Besprechung skizzierte Schlieffen den Angriffsplan, den er im Dezember 1905 in der Denkschrift "Krieg gegen Frankreich" präzisierte. Während der schwächere linke Flügel der deutschen Armee vor der französischen Festungslinie Belfort-Verdun abwartete, sollte der stärkere rechte Flügel unter Verletzung der belgischen und luxemburgischen Neutralität den französischen Truppen in den Rücken fallen und sie möglichst schnell entscheidend schlagen, um einen Stellungskrieg zu vermeiden.
    "Das französische Heer muss vernichtet werden. Das Wesentliche für den Verlauf der gesamten Operationen ist, einen starken rechten Flügel zu bilden, mit dessen Hilfe die Schlachten zu gewinnen und in unausgesetzter Verfolgung den Feind mit eben diesem starken Flügel immer wieder zum Weichen zu bringen."

    "Macht mir den rechten Flügel stark!" Das geflügelte Wort soll Alfred Graf von Schlieffen noch kurz vor seinem Tod in Fieberfantasien ausgesprochen haben.

    Alfred Graf von Schlieffens Tätigkeit beschränkte sich nicht nur auf militärische Planspiele. Als Chef des Generalstabs war er in den Kolonialkrieg in Deutsch-Südwestafrika, dem heutigen Namibia, involviert. Ein deutsches Expeditionskorps unter Generalleutnant von Trotha schlug 1904 den Aufstand der Herero blutig nieder und trieb die Überlebenden gezielt in die Wüste, um sie dort verhungern und verdursten zu lassen. Den Völkermord billigte Schlieffen in einem Schreiben an Reichskanzler von Bülow:

    "Dass Trotha die ganze Nation vernichten oder aus dem Land treiben will, darin kann man ihm beistimmen. Der entbrannte Rassenkampf ist nur durch die Vernichtung oder vollständige Knechtung der einen Partei abzuschließen. Die Absicht des Generals von Trotha kann daher gebilligt werden. Er hat nur nicht die Macht, sie durchzuführen."

    1906 gab Alfred Graf von Schlieffen das Amt des Generalstabschefs auf. Fünf Jahre später wurde er noch zum Generalfeldmarschall befördert. Er starb am 4. Januar 1913 in Berlin.

    Auf der Grundlage des leicht modifizierten Schlieffen-Plans zog die deutsche Armee nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs im August 1914 gegen Frankreich zu Felde. Doch der schnelle Vorstoß kam schon bald an der Marne zum Stehen und mündete in einen jahrelangen Stellungskrieg auf den Schlachtfeldern von Verdun. Der Publizist Sebastian Haffner zählte den Schlieffen-Plan zu den sieben Todsünden des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg.