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Machtpoker im Europaparlament

Morgen geht es in Straßburg nicht mehr nur um einzelne Kommissare. Morgen geht es um die Zukunft der ganzen EU-Kommission, vor allem geht es um ihren designierten Chef: José Manuel Durao Barroso. Wenn Barroso wieder keine Mehrheit im Europaparlament bekommt, dann ist er noch vor seinem Amtsantritt als EU-Kommissionspräsident politisch erledigt. Dann reicht es nicht mehr, wenn er noch mal ein oder zwei Kommissare auswechselt oder mit anderen Aufgaben betraut. Dann müssen sich die Regierungschefs einen neuen Kommissionspräsidenten suchen.

Von Alois Berger | 17.11.2004
    Aber danach sieht es nicht aus. Zwar gibt es in Straßburg eine ganze Reihe von Abgeordneten, die auch mit der neuen Mannschaftsaufstellung von José Manuel Barroso unzufrieden sind. Nicht nur von den kleinen Parteien, auch aus den beiden großen Blöcken, den Konservativen und den Sozialdemokraten, kommt harsche Kritik an einzelnen EU-Kommissaren. Doch die Mehrheit der Europaabgeordneten will jetzt erst einmal den Sieg nach Hause bringen, den das Parlament in den letzten Wochen errungen hat.
    Das Parlament hat den Kommissionspräsidenten gezwungen, zwei Kommissarskandidaten auszutauschen, obwohl dieses Recht nirgends festgeschrieben ist. Theoretisch können die Abgeordneten nur die gesamte EU-Kommission, also die europäische Regierung, bestätigen oder ablehnen. In der Praxis aber haben die Volksvertreter ein Mitspracherecht über einzelne Kommissare erreicht. Und was sich das Europaparlament einmal erkämpft hat, lässt es sich nicht mehr nehmen, sagt Graham Watson, der Fraktionschef der europäischen Liberalen

    Ich sehe nicht, dass es in Zukunft anders gehen könnte. Wenn das Parlament gegen einen Kommissar stimmt, wird es für diesen Kommissar keinen Posten in der Kommission geben. Und ich finde, das ist gut für das Recht und die Demokratie. Wir sollten nur die höchsten Standards haben. Dieses sind sehr verantwortliche Posten, die werden gut bezahlt. Wir sollten nicht Leute da annehmen, die in einer nationalen Regierung keine Möglichkeit haben würden, Minister zu werden. Wir haben die Pflicht, für die Bürger Europas nur die besten Leute als Kommissare abzustimmen.
    Noch vor drei Wochen hat der britische Liberale Graham Watson alles daran gesetzt, eine Ablehnung der Barroso-Kommission im Europaparlament zu verhindern. Doch seit klar ist, dass diese Ablehnung dem Parlament neue Macht gebracht hat, seitdem lobt auch Watson die Entschlossenheit des Hohen Hauses.
    Damit ist er nicht allein. Der Erfolg hat immer viele Väter. Auch der Fraktionschef der Christdemokraten und Konservativen, der Deutsche Hans-Gert Pöttering, spricht inzwischen von einem wichtigen Schritt in Richtung mehr Demokratie.

    Das Parlament hat sich - wie das in einem parlamentarischen Verfahren normal ist - entwickelt. Es hat seine Möglichkeiten wahrgenommen, so dass insgesamt die Bedeutung des Europäischen Parlaments zugenommen hat.
    Vor drei Wochen hatte sich Hans-Gert Pöttering noch gegen diese Entwicklung gestemmt. Seine konservative Fraktion, die mit Abstand größte im Europaparlament, hatte er auf bedingungslose Unterstützung der EU-Kommission eingeschworen. Es gehe darum, warnte er, die Meinungsfreiheit katholischer Politiker zu verteidigen.
    Auslöser des Streits waren die umstrittenen Äußerungen des italienischen Kommissionskandidaten Rocco Buttiglione. Wie alle 24 künftigen EU-Kommissare musste Buttiglione einem Parlamentsausschuss Rede und Antwort stehen über seine künftigen Aufgaben in der europäischen Zentralbehörde. Buttiglione, der als EU-Justizkommissar vorgesehen war, offenbarte dabei ein Menschenbild, das der Mehrheit der Abgeordneten aufstieß. Homosexualität sei Sünde, sagte er und berief sich dabei auf die Bibel, aus der er auch die Rolle der Frau ableitete: Sie habe sich um die Familie zu kümmern und dem Schutz des Mannes anzuvertrauen.
    Für die Grünen, die Sozialdemokraten und die meisten Liberalen war Rocco Buttiglione damit als Justizkommissar der Europäischen Union untragbar.
    Doch der Italiener war nicht der einzige Kandidat, der vom Parlament kritisiert wurde. Der ungarische Sozialdemokrat Laszlo Kovacs zeigte sich völlig ahnungslos in Energiefragen - kein gutes Zeichen für einen künftigen EU-Energiekommissar. Die für Landwirtschaft vorgesehene Dänin Mariann Fischer-Boel weckte Zweifel an ihrem Willen, die EU-Agrarpolitik zu reformieren, weil sie als Gutsbesitzerin selber von Subventionen profitiert. Die Lettin Ingrida Udre stand und steht im Verdacht, zuhause in einen Finanzskandal verwickelt zu sein. Und die Niederländerin Neelie Kroes gilt vielen Abgeordneten als ungeeignet für das Amt der Wettbewerbskommissarin, weil sie als frühere Lobbyistin und vielfache Aufsichtsrätin nicht unabhängig genug sei.
    Der britische EU-Abgeordnete Graham Watson sieht die Verantwortung für die schwachen Kandidaten bei den Mitgliedsstaaten:

    Ich glaube nicht, dass unsere Mitgliedsstaaten Herrn Barroso immer ihre besten Leute gegeben haben und ich würde es vorziehen, wenn ein Kommissionspräsident die Möglichkeit hätte, jeden Mitgliedsstaat vielleicht um drei Namen zu bitten und die Möglichkeit hat, unter diesen drei Personen eine auszuwählen. Ich glaube, wenn unsere Premierminister nur einen Namen geben, gibt es immer die Möglichkeit, dass diese Person nach Brüssel geschickt wird, weil der Premierminister irgendwie eine Konvenienz darin findet und nicht notwendigerweise, weil er oder sie die beste Person als Kommissar wird.
    Aber soweit ist die Europäische Union noch nicht. Selten wurde so deutlich wie in den vergangenen drei Wochen, welchen Druck die nationalen Regierungen auf den Kommissionspräsidenten ausüben. Jedes der 25 EU-Länder schickt einen Kommissar und fordert ein möglichst mächtiges oder zumindest prestigeträchtiges Amt für ihn. Der Entscheidungsspielraum für den EU-Kommissionspräsidenten ist demnach eher klein.
    Doch unklar ist, ob Barroso bei seiner erster Kommissionszusammenstellung wirklich bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten ging. Der neue EU-Kommissionspräsident war bis vor kurzem selbst Regierungschef. Damals ließ Barroso keine Zweifel daran, dass er die EU-Kommission als Instrument der Regierungszusammenarbeit betrachtete. So wird das in den meisten Hauptstädten gesehen: Die EU-Kommission wird von den Regierungen ernannt und soll die Belange der nationalen Regierungen im Auge haben. Das Europaparlament spielt dabei eine Nebenrolle. Aus der Sicht der Regierungschefs sollen die Abgeordneten der EU-Kommission zwar auf die Finger schauen, aber nicht drauf klopfen.
    José Manuel Barroso, das kann man inzwischen sagen, hat das Europaparlament anfangs nicht ernst genommen. Er konnte sich offensichtlich nicht vorstellen, dass eine Mehrheit der Abgeordneten es wagen würde, wegen weniger heikler Personalfragen die ganze Kommission zu kippen. Als er dann merkte, dass er sich in diesem Punkt getäuscht hatte, zog er die Notbremse: Er werde sein Team nicht zur Abstimmung stellen, teilte er dem Europaparlament am 27. Oktober mit, er brauche noch mehr Zeit - für personelle Veränderungen.
    Seitdem hat Barroso in sehr kurzer Zeit sehr viel dazu gelernt. In den vergangenen Tagen hat er mindestens genauso oft mit den Fraktionschefs im Europaparlament telefoniert wie mit den Regierungschefs. Und er hat seine Nöte offen gelegt, wie zuletzt in Brüssel:

    Ein designierter EU-Kommissionspräsident befindet in einer sehr seltsamen Lage. Eine Kommission zusammen zustellen, das ist fast so etwas wie ein Blind Date, ein Rendez-vous mit Unbekannten. Der Präsident muss eine europäische Regierung bilden mit 24 Leuten, die er nicht kennt und die er sich nicht herausgesucht hat. Sie wurden ihm von nationalen Regierungen geschickt. Und mit diesen Leuten muss er sich dann einem Parlament stellen, in dem er nicht unbedingt eine Mehrheit hat. Jeder seiner Kommissare wird im Parlament einzeln angehört und ausgefragt, ein Vorgang, den es in keinem nationalen Parlament in Europa gibt. Stellen Sie sich vor, ein Kanzler oder Premierminister müsste mit 24 Ministern arbeiten, von denen er die meisten nie vorher getroffen hat. Die er sich nicht ausgesucht hat, die er nur unter bestimmten Umständen ablehnen kann, ohne jedoch Einfluss darauf zu haben, wer ihm als Ersatz geschickt wird. Und mit diesen Leuten müsste er sich vor einem nationalen Parlament rechtfertigen. Wie viele Regierungen in Europa würden so etwas überstehen?

    Mit seinem Klagelied wollte der designierte Kommissionspräsident Barroso vor allem Verständnis dafür schaffen, dass er bei seiner zweiten Mannschaftsaufstellung nur bedingt die Kritik des Europaparlaments berücksichtigte. Nur Rocco Buttiglione, der am heftigsten umstritten war und die korruptionsverdächtige Lettin Ingrida Udre wurden nach Hause geschickt. Für sie rücken der italienische Außenminister Franco Frattini und der lettische Diplomat Andris Piebalgs nach.
    "Barroso hat zwei Bomben entschärft", meint ein Mitarbeiter der EU-Kommission, "die dritte ist ihm geblieben." Gemeint ist die Niederländerin Neelie Kroes, die allein in den letzten zehn Jahren in nicht weniger als 60 Verwaltungs- und Aufsichtsräten saß. Ausgerechnet sie soll sich künftig um die wichtige Wettbewerbsaufsicht kümmern. Der juristische Dienst der EU-Kommission hat deshalb vorsichtshalber die Wettbewerbsfälle der letzten fünf Jahre durchgesehen. Das Ergebnis: In jedem hundertsten Wettbewerbsfall, mit dem die EU-Kommission befasst war, wäre Frau Kroes befangen gewesen, weil sie für eine der betroffenen Firmen gearbeitet hat. "Die Dame wird Barroso noch erhebliche Schwierigkeiten machen," warnte ein Kommissionsmitarbeiter.
    Barroso hat die vielfältigen Verbindungen von Neelie Kroes stets als Beleg für ihre Kompetenz in Wirtschaftsfragen gelobt. Doch im Europaparlament glauben viele, dass das Lob vorgeschoben ist: Nach dem Gezerre mit der römischen Regierung um einen Nachfolger für Buttiglione habe sich der Kommissionschef nicht auch noch mit der niederländischen Regierung anlegen wollen. Premierminister Jan-Peter Balkenende bewegte sich keinen Zentimeter in Sachen Kroes:

    Die niederländische Regierung steht weiterhin entschlossen hinter der Kandidatur von Neelie Kroes und legt auch Wert darauf, dass sie den angekündigten Aufgabenbereich behält.
    Das Wettbewerbsamt gilt als besonders prestigeträchtig. Zudem hofft Den Haag, eine niederländische Kommissarin werde sich vor allem gegen deutsche und französische Einflussnahmen als besonders immun erweisen.
    Dabei unterschreiben EU-Kommissare bei ihrem Amtsantritt, dass ihre Nationalität bei der Amtsführung keine Rolle spielen werde. Sie legen sogar einen Eid darauf ab, ausschließlich europäische Interessen zu verfolgen und keinen Unterschied zwischen den Mitgliedsländern zu machen.
    Aber das ist Theorie. Gerade das aktuelle Hickhack um die Kommissare zeigt, wie wenig die meisten Regierungen von der Unabhängigkeit der EU-Kommissare halten.
    Zwar entwickeln sich viele Politiker in Brüssel in der Tat immer mehr zu Europäern. Verheugen gilt längst als einer der unabhängigeren Kommissare. Doch das heißt nicht, dass die nationalen Regierungen nicht Druck machen, um Entscheidungen der EU-Kommission zu beeinflussen.
    Den Grünen im Europaparlament reichen die Personalwechsel nicht. Fraktionschefin Monika Frassoni:

    Das Problem ist, dass diese Kommission ungefähr die gleiche ist wie vor der Krise, nur Herr Buttiglione ist gegangen, Herr Kovacs hat nur sein Portfolio gewechselt, und viele Probleme haben wir mit Frau Kroes. Wir denken, dass diese Kommissarin nicht da sein sollte, weil sie riesige Probleme mit ihren Interessen in vorigen Tätigkeiten hatte, die sehr schwierig für die Glaubwürdigkeit der Kommission und der Union sein werden. Deshalb glauben wir, dass auch wenn es wichtig war für das Parlament, einen Punkt zu machen über seine Gewalt, über die Kommission, sind wir nicht total zufrieden mit den Ergebnissen dieser Krise, die für uns viel wichtiger sein könnte.
    Doch mit dieser Haltung sind die Grünen weitgehend allein. Die europäischen Sozialdemokraten, die vor drei Wochen geschlossen gegen Barrosos ersten Kommissionsvorschlag standen, sie sind jetzt mit seinen Änderungen zufrieden. Die neuen Kandidaten Frattini und Piebalgs überzeugten bei ihren Anhörungen am Montag und Dienstag im Europaparlament mit ihrem Fachwissen auch die Sozialdemokraten. Dass mit Franco Frattini ausgerechnet ein Vertrauter des italienischen Premierministers und Richterschrecks Silvio Berlusconi das europäische Justizressort übernimmt, findet Fraktionschef Martin Schulz nicht mehr so schlimm.

    Ich kann es nicht ändern, das ist das Recht der italienischen Regierung, die ja durch einen souveränen Wahlakt ins Amt gekommen ist, vorzuschlagen, wen sie will. Da habe ich keinen Einfluss drauf. Herr Barroso hat sich dafür entschieden, dabei zu bleiben. Ich glaube, man muss sagen, weil er auch keinen Einfluss darauf hat. Das ist schon so, dass wir eine Union der Staaten und Völker sind, in der die Volksvertretung ihre Rechte hat, aber die Staaten auch. Und nach wie vor ist das so, dass die Italiener das vorschlagen können. Im konkreten Fall halte ich Frattini für geeigneter, wenn überhaupt ein italienischer Kommissar auf diesem Posten, diesem Ressort sitzen sollte, dann ist Frattini geeigneter.
    Mehr Sorgen macht den Sozialdemokraten die Niederländerin Neelie Kroes. Man werde sie unter Beobachtung stellen, meint Fraktionschef Martin Schulz, und im Notfall den Rücktritt verlangen.
    Es gibt keinen Vertrag und keinen Paragraphen, der dem Europaparlament das Recht gibt, den Rücktritt eines einzelnen Kommissars zu verlangen. Trotzdem hat das Parlament diese Möglichkeit - erkämpft vor fünf Jahren, als die derzeit amtierende Kommission ernannt wurde.
    Weil die französische Kommissarin Edith Cresson damals trotz schwerer Korruptionsvorwürfe an ihrem Stuhl fest klebte, war die gesamte Kommission des Luxemburgers Jacques Santer gestürzt. Santers Nachfolger Romano Prodi wollte sicher gehen, dass dies seiner Mannschaft nicht passieren könnte. Er ließ sich von jedem einzelnen Kommissionsmitglied zusichern, dass es seinen Rücktritt einreichen werde, wenn der Präsident es verlange. Er habe seine Kommissare sogar vorgefertigte Rücktrittschreiben unterzeichnen lassen, erzählte Prodi einmal.
    Das Parlament hat die Schraube dann noch weitergedreht und dem Kommissionspräsidenten das Versprechen abgenommen, dass er jeden Kommissar zum Rücktritt auffordern werde, wenn das Parlament das mit einer deutlichen Mehrheit von ihm verlangt. Diese Abmachung werde das Europaparlament mit Barroso erneuern, sagt SPD-Chef Martin Schulz. Sollte es Probleme mit Neelie Kroes geben, dann werde man darauf zurückkommen.
    Hans-Gert Pöttering, der Chef der europäischen Christdemokraten und Konservativen, hofft, dass das Parlament dieses Machtmittel nicht einsetzen muss. Er vertraut darauf, dass der neue Kommissionspräsident stark genug ist, das Problem ohne erneuten Machtkampf zu lösen.

    Also, es war schon sehr deutlich, wie der niederländische Ministerpräsident, der ja auch Präsident des Europäischen Rates im Moment ist, seine Position deutlich gemacht hat, so dass der Spielraum des Kommissionspräsidenten dadurch sehr reduziert war. Aber ich denke, dass Durao Barroso nun nach der Bestätigung seines gesamten Teams eine entschlossene Führung übernehmen wird. Und wenn Interessenkonflikte entstehen, dann wird er sehr resolut damit umgehen, davon bin ich überzeugt.

    Die Fraktionschefs Martin Schulz und Hans-Gert Pöttering haben sich schon vor Tagen darauf verständigt, dass sie die Barroso-Kommission diesmal problemlos durchwinken wollen. Zusammen haben die beiden großen Parteienfamilien rund 470 der 732 Stimmen im Europaparlament. Mit den ebenfalls zufriedenen Liberalen kommen sie sogar auf ein Zwei-Drittel-Mehrheit.
    Die Anhörungen der eingewechselten Kommissare am Montag und Dienstag waren nur noch Formsache. Die Kandidaten glänzten, aber sie wurden von den Abgeordneten auch nicht hart angefasst. Selbst der Ungar Laszlo Kovacs blieb weitgehend verschont. Der Sozialdemokrat hatte auf Druck des Europaparlaments ein neues Ressort zugeteilt bekommen und musste sich deshalb noch einmal den Abgeordneten stellen.
    Vor allem deutsche CDU und CSU-Parlamentarier hatten sich auf den Ungarn eingeschossen. Zwar hatte Kovacs bei seiner ersten Anhörung in der Tat eine schwache Vorstellung gegeben. Aber es roch auch nach politischer Revanche. Wenn mit Rocco Buttiglione ein Christdemokrat durchfiel, dann musste eben auch ein Sozialist gefunden werden, der wie Buttiglione gehen sollte. Der Ex-Kommunist Laszlo Kovacs bot sich da an.
    Kommissionspräsident Barroso hat dem Ungarn nun den Bereich "Zoll und Steuern" zugeteilt. Das ist ein reiner Verwaltungsjob ohne politische Bedeutung. Einigen Abgeordneten war die Degradierung dennoch zu wenig, sie forderten die Entlassung von Kovacs.
    Solche Geschichten werden im Langzeitgedächtnis des Europaparlaments abgespeichert und irgendwann vielleicht einmal eine Rolle spielen.
    Morgen aber wird man sich in Straßburg vor allem über den neuen Machtgewinn freuen. Keine Regierung wird es künftig noch wagen, Kommissare nach Brüssel zu schicken, die im Europaparlament nicht mehrheitsfähig sind. Damit haben die Europaabgeordneten mehr Einfluss auf die Qualität der Kommissare als nationale Parlamente auf die Qualität ihrer Minister haben.
    Seit das Europaparlament vor 25 Jahren zum ersten Mal gewählt wurde, seitdem haben die Abgeordneten so ziemlich jede Krise genutzt, um sich neuen Einfluss zu sichern.
    EU-Kommissar Günter Verheugen meint, dass die Europäische Kommission heute viel stärker parlamentarisch kontrolliert wird als jede nationale Regierung. Das Europaparlament sei nur noch auf dem Papier ein schwaches Parlament, sagt Günter Verheugen.
    Wir haben, wenn sie so wollen, in Europa zwei Prozesse der Verfassungsentwicklung: Wir haben den Prozess der Entwicklung der geschriebenen Verfassung, und wir haben die Verfassungswirklichkeit, die in einigen Punkten der geschriebenen Verfassung vorauseilt, und das ist zum Beispiel der Fall bei der Einsetzung einer neuen Kommission, dass sich das Parlament Rechte erkämpft, die im den Vertrag und in der neuen Verfassung gar nicht vorgesehen sind. Aber gleichwohl sind sie da und sind ein Faktum.