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Machtpolitik mit dem Virus
Warum China Taiwan aus der WHO raushält

Als Nachbar von China will Taiwans Regierung genau über den Verlauf des Coronavirus informiert sein. China aber sieht Taiwan als Teil des eigenen Landes und verhindert, dass Taiwan Mitglied der Weltgesundheitsorganisation WHO wird. Mit Folgen für Taiwans Informationspolitik.

Von Carina Rother und Andre Zantow | 15.02.2020
Menschen tragen Mundschutz in der Metro von Taipeh
Menschen tragen Mundschutz in der Metro von Taipeh (Deutschlandradio/Carina Rother )
Taiwans Gesundheitsminister versagt Anfang Februar bei einer Pressekonferenz die Stimme – er kämpft mit den Tränen. Chen Shih-chung muss den 11. Fall einer Coronavirus-Infektion in Taiwan verkünden. Zuvor hat er in der Nacht mehr als 200 taiwanische Geschäftsleute vom Festland zurückgeholt – aus Wuhan - dem Ursprungsort des Virus. Nach harten Verhandlungen, denn China verweigert eine offizielle Kooperation. "Wenn Taiwan in der WHO wäre, könnten wir uns austauschen und gegenseitig helfen. Aber wenn wir ausgeschlossen sind, sind wir isoliert, und das ist nicht gut für Taiwan und für die Welt."
Dass Taiwan nicht Mitglied der Weltgesundheitsorganisation sein darf, stört Michael Tsai seit Jahrzehnten. Der Ex-Verteidigungsminister ist 79 Jahre alt und Mitbegründer der Organisation TAIUNA. Die will, dass Taiwan in die WHO kommt und protestiert dafür jedes Jahr bei den Tagungen in Genf. Der Ausschluss gefährde Menschenleben: "2003 sind an der SARS-Epidemie über 70 Menschen in Taiwan gestorben. Viele Tausend wurden krank. Die Informationen kamen nicht schnell und direkt von der WHO. Wir mussten die USA fragen, oder Japan, Deutschland und Frankreich. Aber das hat Tage bis Wochen gedauert, bis wir die Informationen hatten."
China pocht auf Einhaltung des Ein-China-Prinzips
Michael Tsai war früher selbst Abgeordneter in Taiwans Parlament – er kennt den Weg zum Parlamentsgebäude, den er heute gemeinsam mit Aktivisten bestreitet. Beim Parlamentspräsidenten wollen sie Druck machen für eine parteiübergreifende Resolution: "Erstens: wir verurteilen den Druck aus China, der Taiwans WHO-Beitritt verhindert. Zweitens, unser Parlament soll in einer Stellungnahme den sofortigen Beitritt fordern. Und drittens: Taiwan darf nicht in der Epidemie-Statistik von China auftauchen. Wir müssen getrennt gezählt werden. Taiwan ist kein Teil von China."
Unterstützung für den Zugang zur WHO gibt es von Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen: "Taiwans Teilhabe ist notwendig, und sie ist entscheidend, denn Taiwan steht an vorderster Front in der Prävention der Epidemie." Bis zu Tsai Ing-wens Amtsantritt 2016 durfte Taiwan zumindest als Beobachter an der Weltgesundheitskonferenz teilnehmen. Ihre Fortschrittspartei setzt auf größere Distanz zu China und das gefällt der kommunistischen Führung in Peking nicht. Sie erhebt Anspruch auf die Inselrepublik. Deshalb hat China den Druck auf die WHO erhöht das demokratische Taiwan auszuschließen. Entsprechend erklärte Chinas Außenamtssprecherin Hua Chunying kürzlich: "Die WHO ist eine besondere UN-Organisation von unabhängigen Staaten. Taiwans Teilnahme an internationalen Organisationen wie der WHO muss sorgfältig arrangiert werden durch bilaterale Verhandlungen mit uns unter Einhaltung des Ein-China-Prinzips."
"Taiwans Gesundheitssystem ist sehr weit entwickelt"
Heißt im Klartext: Taiwan darf nur mit am WHO-Tisch sitzen, wenn sich das Land in die Volksrepublik eingliedert. Das will von den 24 Millionen Taiwanern aber kaum jemand. In einer Apotheke in Taipeh arbeitet Herr Li. Das Corona-Virus sei hier am Tresen das Hauptgesprächsthema. Die Haltung der Weltgemeinschaft könne er nicht verstehen: "Dass Taiwan nicht an den Gesprächen teilnehmen kann, ist ein Verlust für die WHO. Taiwans Gesundheitssystem ist sehr weit entwickelt." Die wichtigste Ware des Apothekers ist derzeit der Mundschutz. Schon morgens gebe es deshalb lange Schlangen.
"Ich mache erst um 9 Uhr auf, aber manche stehen schon ab 7 für den Mundschutz an." Binnen einer Stunde ist der Mundschutz-Vorrat von Herrn Li jeden Tag aufgebraucht. Zwei Stück gibt es für jeden Taiwaner pro Woche bei Vorlage der Gesundheitskarte. Der Rest geht an Krankenhäuser. Dort müssen alle Besucher jetzt durch Wärmebild-Kameras und ihre Hände mit Desinfektionsmittel besprühen.
"Ich bin sehr zufrieden mit den Maßnahmen der Regierung. Die Nachrichten aus China sind sehr gruselig, deswegen finde ich, die Regierung hält die Epidemie hier gut unter Kontrolle." Frau Luo steht auch in einer Warteschlange für einen Mundschutz. Sie hat wie die meisten Taiwaner großes Vertrauen in ihr Gesundheitssystem. Es gilt als günstig und effizient. Die Bevölkerung schätzt die 1995 eingeführte flächendeckende Krankenversicherung.
Zuschaltung zur WHO-Krisensitzung nur per Video
"Ein WHO-Beitritt wäre nicht nur ein Zeichen der internationalen Anerkennung. Unser Gesundheitssystem gehört auch zu den besten der Welt, und wir können mit unserem Wissen anderen Ländern helfen. Wir sollten nicht aus politischen Gründen ausgeschlossen sein." Derzeit haben sich in Taiwan 18 Menschen mit dem Corona-Virus infiziert. Eine Erfolgsmeldung, angesichts von etwa einer Million Taiwanern, die regelmäßig auf dem Festland sind.
"Glücklicherweise bekommen wir sehr ausführliche Informationen aus der ganzen Welt via Internet. Aus den Nachrichten oder aus dem engen Kontakt mit anderen entwickelten Ländern. Trotzdem hat die WHO noch die meisten Informationen, und auf die haben wir keinen Zugriff. Das ist für uns das Schwierigste an der Epidemie-Prävention."
Lin Shih-chia sitzt im Vorstand einer wichtigen taiwanischen Mediziner-Stiftung. Aus ihren Reihen durften einige Vertreter nun erstmalig eine WHO-Krisensitzung zum Coronavirus mitverfolgen. Nur per Videoschalte, und nur ohne ihre Nationalität zu nennen. Von Gesprächen und Austausch vor Ort bleiben sie weiterhin ausgeschlossen. Das reicht nicht, findet Lin Shih-chia. "Taiwan muss Mitglied der WHO werden, damit das globale Netzwerk der Epidemie-Prävention keine Löcher hat."