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Machtpolitiker mit Überzeugungen

Herbert Wehners Leben war geprägt durch harte Brüche und nie erlahmendes politisches Engagement. Angefeindet von politischen Gegnern und Freunden, tief verstrickt in die Zeitläufte des totalitären 20. Jahrhunderts, endete die Debatte über ihn nicht mit seinem Tod im Januar 1990.

Von Bernd Ulrich | 11.07.2006
    "Reden Sie doch keinen Stuss, nicht, reden Sie doch keinen Stuss, Sie weiser Herr. Sie - wissen Sie - sind doch so klug, dass Sie sich auf die Verkehrsdebatten beschränken sollten! Nicht?!"

    So kennen ihn viele: Herbert Wehner, langjähriger Fraktionsvorsitzender der SPD. Seit den frühen 30er Jahren erfahren in der Technik der gezielten Aggression und des Sprachwitzes. Er prägte das schöne Schmähwort vom "Düffeldoffel", war berüchtigt als parlamentarischer Zwischenrufer und für seine spontanen Reaktionen vom Rednerpult herab:

    "Sie lachen, Sie lachen gern, das weiß ich. Nur irgendwann werden Sie ja mal aufhören müssen zu lachen, nicht? Denn Ihr Lachen wird Sie auch selbst nicht dauernd selbst befriedigen, obwohl Sie sonst Selbstbefriediger sind."

    Wenn es doch dabei geblieben wäre, wenn wir ihn als "Pöbel-Herbert" in Erinnerung behalten könnten, als so mitfühlenden, wie ganz seiner politischen Sache verpflichteten Menschen. Als einen Politiker der alten Bundesrepublik, dessen Namen Straßen und Plätze tragen, und in dessen Heimatstadt seit 1998 ein Denkmal steht.

    Am 11. Juli 1906 wurde Herbert Wehner in Dresden in die proletarische Welt des deutschen Kaiserreiches hinein geboren. In seinen jungen Jahren verschrieb er sich dem Anarchismus, wurde 1926 gar kurzfristig Herausgeber einer anarchistischen Jugendzeitschrift. Darin hatte er noch mit den damaligen Linksparteien in scharfer Diktion abgerechnet:

    "In den Reihen der SPD marschieren Kleinbürger, Schrebergärtner und Beamte. Die KPD ist hingegen das Bollwerk der Konterrevolution: Eine Partei, die schlimmer ist als die katholische Kirche, in der Denunziantentum und Faulheit in üppiger Blüte stehen."

    Schon wenig später, 1927, trat er eben dieser KPD bei. Er wollte nicht mehr nur reden, sondern in einer großen Partei "die Befreiung schneller erreichen", wie es ein damaliger Freund beschrieb. Als KPD-Funktionär machte Wehner rasch Karriere. Er avanciert zum Sekretär des Berliner Politbüros, und organisiert den Kampf der Partei gegen das Naziregime in der Illegalität. 1937 nach Moskau abgerufen, gerät er mitten hinein in die "Wolfsgesellschaft" des Stalinismus, wie er später schreibt.

    "Ich habe sicher ein gebrochenes Leben, und daran kann man auch nicht vorbei, wenn man aus dem Leben zu erzählen hat. Und es ist Sache anderer, die das hören oder die das wohlwollend oder kritisch, was ja auch beides gleichzeitig möglich ist, zu prüfen. Festzustellen, was davon noch verantwortbar ist, und was davon zu den Akten gelegt zu werden hat."

    Zu den Akten jedenfalls ist bei Herbert Wehner gar nichts gelegt, vielmehr werden immer neue gefunden - oder alte neu interpretiert. Der Mann ist umstritten - und diese Charakterisierung dürfte noch verharmlosend sein für das, was nicht erst seit seinem Tod am 19. Januar 1990 über ihn bekannt wurde.

    Im Mittelpunkt stand und steht sein Verhalten im berüchtigten Moskauer Hotel "Lux" zur Zeit der "Großen Säuberung". Der Historiker Reinhard Müller vom Hamburger Institut für Sozialforschung ist dabei zu eindeutigen Ergebnissen gelangt. Aus ihnen geht hervor,

    "dass Herbert Wehner mindestens viermal 1937 in die Lubjanka, also in Stalins 'Zentrale der Geheimpolizei', einbestellt wurde, und dort mündliche und schriftliche Informationen lieferte, die zu einem Befehl umgeformt wurden. Und dieser Direktivbrief führte seit dem Februar 1937 zur gezielten Verfolgung von zahlreichen deutschen Politemigranten, die in die Sowjetunion nach 1933 geflüchtet waren."

    Und - so muss ergänzt werden - zu ihrer Ermordung. Der Journalist und Autor Klaus Harpprecht spricht Wehner im Lichte solcher Untersuchungsergebnisse sogar den Wandlungsprozess vom Kommunisten zum demokratischen Politiker ab:

    "Nein, er war kein Kommunist mehr, vermutlich auch kein Verschwörer. Aber die Mechanismen seines Machtinstinktes funktionierten nach wie vor stalinistisch. Die totalitäre Deformation war ihm zur zweiten Natur geworden."

    Gewiss spielt bei solch hartem Urteil auch die schmähliche Rolle Wehners beim Sturz Willy Brandts eine Rolle, die Harpprecht als Redenschreiber des Kanzlers aus der Nähe miterlebte. Wahrer wird dieses Psychogramm dadurch nicht. Die Akte Wehner ist noch lange nicht geschlossen.