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Machtwechsel in der Linkspartei
Die ungeeinte Doppelspitze

Gregor Gysi gibt seinen Posten als Fraktionsvorsitzender der Linkspartei ab. Die neue Führung soll mit Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht eine Doppelspitze übernehmen. Doch zwischen den beiden verläuft ein tiefer Graben, der zwei zerstrittene Parteiflügel trennt. Bereits vor zwei Jahren hatte Gysi diese Verwerfungen öffentlich kritisiert. Von Parteifrieden kann auch heute keine Rede sein.

Von Ulrike Winkelmann | 12.10.2015
    Die Delegierten der Linken Dietmar Bartsch (l) und Sahra Wagenknecht (r) verfolgen am 07.06.2015 in Bielefeld (Nordrhein-Westfalen) den Parteitag.
    Sollen künftig die Bundestagsfraktion der Linkspartei führen: Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht (dpa / picture-alliance / Oliver Berg)
    " ... Und jetzt betreiben wir nur das, was die Linke in solchen Situationen regelmäßig betreibt, wir zerstören uns selbst ... ."
    Inständig hatte Gregor Gysi die Linkspartei 2012 gebeten, auf Erfolge gemeinsam stolz zu sein und sich nicht in Flügelkämpfen, Rachefeldzügen und Postenstreitereien zu zerfleischen.
    "In unserer Fraktion im Bundestag herrscht auch Hass. Und Hass ist nicht zu leiden."
    Vor zwei Wochen brach der Damm erneut. Die böse Flut des Übelwollens in der Linkspartei spritzte durch die mühsam geschichteten Sandsäcke der Öffentlichkeitsarbeit, wonach doch seit 2012 alles besser geworden sei. Ein unbekannter Genosse hatte der Zeitung "Die Welt" Material übergeben, das den künftigen Vorsitzenden der Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, beschädigen sollte. Die "Welt" titelte: "Der rote Dietmar und die "Lafodödel". Designierter Linke-Fraktionschef ließ brisante Dateien über Vorstandsmitglieder seiner Partei anlegen."
    Demnach hatte Bartsch Mitte 2012 den damals frisch gewählten Parteivorstand nach ideologisch-persönlicher Ausrichtung in einer Liste sortiert. Diejenigen, die der ehemaligen Linken-Führungsfigur Oskar Lafontaine nahestanden, hießen "Lafodödel". Unter diesen "Lafodödeln": Sahra Wagenknecht, die seit Jahren mit Lafontaine auch privat liiert ist.
    Der Bericht und ein paar folgende empörte Stellungnahmen setzten einen hässlichen Akzent in einer angespannten Zeit. Denn Wagenknecht wird ab dieser Woche wichtigste und engste Kollegin von Bartsch sein. Bartsch und Wagenknecht sollen als Doppelspitze die Führung der Bundestagsfraktion übernehmen: Wagenknecht als Vertreterin des linken, Bartsch als Vertreter des eher sozialdemokratischen Flügels treten die Nachfolge von Gregor Gysi an. Gysi hatte sich Anfang Juni aus seiner Führungsrolle in der Partei, die er seit 1989 mit aufgebaut, zusammengehalten, inspiriert hatte, verabschiedet. Auf dem Parteitag in Bielefeld sagte er:
    "Die Legislaturperiode des Fraktionsvorstandes endet im Herbst 2015. Ich werde nicht erneut kandidieren, da die Zeit gekommen ist, den Vorsitz unserer Fraktion in jüngere Hände zu legen."
    Für Dienstag, den 13. Oktober, wurde die Wahl in der Fraktion angesetzt.
    "Die Entscheidung für den 13. Oktober ist schon deshalb wichtig, weil die Zahl 13, wie ich finde, eine Glückszahl ist."
    Ob Gysi damit Recht behält?
    Die Linksfraktion im Bundestag kannte die Bartsch-Listen schon lange, sagen Abgeordnete. Dass solche Positionslisten angelegt werden, ist im Übrigen parteipolitischer Alltag – auch in dem Teil der Linken, der Lafontaine und Wagenknecht nahesteht.
    Die "Sozialdemokratisierung" der Linken
    Doch helfen solche Nachrichten wie die "Welt"-Story, ein Image zu verstärken, das im Wagenknecht-Flügel vom langjährigen Bundesgeschäftsführer und Schatzmeister mit großer Hingabe gepflegt wird: Bartsch, der Herr der dunklen Kanäle, der Macht und des Geldes, der unheimliche Strippenzieher aus dem Osten, der in Wirklichkeit nichts anderes betreibt als eine Sozialdemokratisierung der Linken. Bartsch selbst hat zu den Listen bloß gesagt, sie seien keine besonders gute Idee gewesen. Insgesamt macht der 57-jährige Vorpommer meist einen sehr aufgeräumten Eindruck. Er betont gerne, wie nahe er dem Übervater der Linkspartei stehe...
    " ... Ich war dabei, als er als Parteivorsitzender aufgehört hat, und ich war leider dabei, als er als Senator aufgehört hat – deshalb habe ich manche Feiern, die mit der Verabschiedung von Gregor Gysi zu tun haben, schon mit organisiert."
    Und natürlich sei es nicht leicht, einem Gysi mit seinem besonderen politischen Erbe nachzufolgen.
    "Die Herausforderung, die es für Sahra Wagenknecht und mich gibt, ist so richtig beschrieben. Ich sehe uns nur nicht als Pole. Sondern wenn wir gewählt werden sollten, sind wir in der Verantwortung, die Fraktion in Gänze zu führen und den Focus auf die Auseinandersetzung mit dem politischen Konkurrenten zu legen. Das werden wir tun."
    Die Welt soll also wissen, dass eine Doppelspitze wunderbar funktionieren kann. Wenn da nur nicht die Diagnose Gysis wäre, der seine Wut über die Verwerfungen zwischen den Flügeln und Gruppierungen der Partei auf dem Göttinger Parteitag 2012 in die Welt rief:
    "Ich will nicht begreifen, dass es uns spaltet!"
    "Was ist denn eigentlich so schlimm daran zu akzeptieren, dass wir im Osten eine Volkspartei sind? Was ist denn eigentlich so schlimm daran, umgekehrt zu akzeptieren, dass wir im Westen eine Interessenpartei sind? Warum kann uns das nicht bereichern, warum geht es nicht zusammen? Ich will nicht begreifen, dass es uns spaltet!"
    Gregor Gysi
    Gregor Gysi (dpa / picture-alliance / Maurizio Gambarini)
    Eine der Gestalten im Publikum, die damals nicht klatschten, war Sahra Wagenknecht, eine Kamera hielt ihr erstarrtes Gesicht fest. Gysis Anklage richtete sich vor allem an "ihre Leute". Wagenknecht ist gleichzeitig die Heldin und ein Antikörper ihres Parteiflügels. Ihre Anhänger sind mehrheitlich West-Linke, die sich teils an sektiererischen Gruppen orientieren. Sie selbst dagegen kommt aus dem Osten und ist im Bildungs- und Wohlstandsbürgertum ausgesprochen anschlussfähig.
    Auch Wagenknecht kehrt hervor, wie viel seit 2012 anders geworden sei.
    "Was natürlich nicht funktioniert ist, wenn man völlig heterogen ist. Aber dafür haben jetzt Dietmar Bartsch und ich auch schon länger zusammengearbeitet, um zu sehen, wie viel gemeinsamer Boden da ist - und der reicht auf jeden Fall, um damit eine ganz profilstarke Spitze dieser Fraktion darzustellen und die Fraktion auch zu führen."
    Nur vertritt Wagenknecht eben viele Positionen mit einer gewissen Kompromisslosigkeit. Zum Beispiel, dass die europäische Gemeinschaftswährung keine Zukunft habe.
    "Die Frage ist: Funktioniert der Euro? Und wenn ich mir Europa angucke, ist Griechenland ja nur ein kleines Land. Italien hat in den letzten Jahren 25 Prozent seiner industriellen Kapazität verloren. Spanien hat dramatische Jugendarbeitslosigkeit. Wer jetzt sagt, das sind alles keine Probleme oder das hätte nichts mit dem Währungsregime zu tun – ich glaube nicht, dass der besonders viel ökonomische Kompetenz einbringt."
    Wagenknecht sieht die nächste Euro-Krise schon am Horizont und plädiert deshalb für einen Grexit sowie für den Abschied von der Vorstellung, mit dem Euro lasse sich Europa besser machen. Sie weiß darin US-amerikanische Nobelpreisträger und auch viele europäische Ökonomen hinter sich. In der Partei finden viele diese Haltung hochbrisant. Noch Anfang September formulierte Gysi ein aufgeregtes Papier für die Fraktion, in dem es hieß:
    "Es gibt in der Linken in Europa – abgesehen vielleicht von absolut marginalisierten Sektierervereinigungen – keine Austritts- oder Zerschlagungsziele gegenüber der EU oder der Währungsunion, die öffentlich auch nur ansatzweise Resonanz finden."
    Es sei dies eher ein Projekt der extremen Rechten. Und deshalb sei es "völlig illusorisch, selbstüberschätzend und letztlich brandgefährlich, mit dieser Politik ein linkes Projekt machen zu können."
    Das waren schwere Vorwürfe an die Adresse Wagenknechts – insbesondere so kurz vor ihrer Inthronisation. Stundenlang stritt sich der Fraktionsvorstand, um Gysis Entwurf an die künftige Machtaufteilung anzupassen. Heraus kam ein Papier, das irgendwie alle Positionen gleichzeitig vertritt, in dem aber der Grexit immerhin als eine Art Notwehr auftaucht:
    "Müsste eine Regierung notfalls dann den Euro-Rausschmiss durch die EZB ( ... ) in Kauf nehmen und mit einem "Plan-B" darauf vorbereitet sein?"
    So geduldig Papier auch sein mag - viele in der Fraktion haben nicht die Absicht, sich mühsam errungene Positionen von Wagenknecht zerreden zu lassen. Der Außenpolitiker Stefan Liebich sagt:
    "Also die Debatte um die Zukunft der europäischen Währung haben wir ja schon länger, aber die ist mit klaren Mehrheiten entschieden worden. Und das weiß auch Sahra Wagenknecht, und das muss sie auch wissen, wenn sie Fraktionsvorsitzende werden möchte."
    Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter der Linken.
    Stefan Liebich, Bundestagsabgeordneter der Linken. (Deutschlandradio)
    Wagenknecht sei jetzt eben keine freistehende Intellektuelle mehr, die sich ansonsten bislang wenig um die Niederungen des parlamentarischen Betriebs gekümmert habe.
    "Das ist ihr gutes Recht, für ihre Position zu werben, aber ich denke, man muss auch darauf achten, dass man als Fraktionsvorsitzende das vertritt, was die Mehrheit der Fraktion möchte."
    Manche reagieren auch gereizt auf Wagenknechts Andeutungen, dass, wer noch an den Euro glaube, wohl keinen ökonomischen Sachverstand habe. Axel Troost ist Finanzpolitiker und vertritt in diesen Fragen auch den Gewerkschaftsflügel der Partei.
    "Wir haben hier sehr unterschiedliche Positionen, gerade auch Frau Wagenknecht und ich. Aber wir werden eine Diskussion jetzt im Herbst führen müssen. Es besteht Einigkeit, dass es so mit dem Euro nicht weitergehen kann wie bisher. Insofern muss man entweder zu einer deutlich besseren Harmonisierung von sozialer Wirtschaftspolitik kommen oder muss über Rückabwicklung nachdenken. Ich bin für den ersteren Weg und werde mich dafür auch stark machen."
    Die Mehrheitsposition der Linken sei immer pro-europäisch gewesen. Natürlich sei die Europäische Union dringend überarbeitungsbedürftig, aber "in eine Richtung, die nach wie vor den Euro und auch die EU insgesamt als Institution erhält, aber eben demokratisiert und nach vorne bringt."
    Troost gehört einer noch relativ jungen Strömung in der Fraktion an, die sich "Mittelerde" nennt und genau das auch gerne sein möchte: Nicht nur die Heimat der harmlosen Hobbits aus dem "Herrn der Ringe", sondern der mittlere Grund zwischen den beiden Flügeln.
    Vorgemacht hat es die Parteivorsitzende Katja Kipping: Sie steht in der Partei für einen "Dritten Weg", für einen neuen linken Horizont statt Schlammcatchen im ideologischen Graben. Kipping kombiniert relative ideologische Milde mit großem taktischen Geschick. So kam sie 2012 auf dem Göttinger Parteitag auch auf den Parteichefsessel.

    Katja Kipping
    Katja Kipping (Imago / Metodi Popow)
    Mittelerde sagt von sich, Schluss machen zu wollen mit dem Flügelkampf, den Gregor Gysi in Göttingen so beschrieb:
    "Es tut mir Leid, liebe Genossinnen und Genossen – aber das ist für mich ein pathologischer Zustand! Die unterschiedlichen Teile unserer Partei müssen in der Leitung vertreten sein. Man muss sie zusammenführen - allerdings um sie als Flügel endlich zu entmachten."
    Die neue Strömung möchte sich nun aber auch bei der Postenverteilung in der Fraktion berücksichtigt sehen: Wenn die beiden traditionellen Flügel nun von Wagenknecht und Bartsch wieder aufgewertet würden, dann will Mittelerde einen wichtigen Vize-Posten. Axel Troost:
    "Wir werden erst mal natürlich die Wahlen von den beiden haben, wo ich hoffe, dass es für beide ein sehr gutes Ergebnis geben wird. Dann wird es vier Wochen später die Frage der Stellvertretungen geben, da zeichnen sich jetzt Konflikte ab."
    Bartsch und Wagenknecht haben nämlich als ihre beiden "Haupt-Stellvertreter" jetzt zwei ausgesprochen flügeltreue Kandidaten aufgestellt: Jan Korte und Sevim Dagdelen. Troost findet diese Auswahl nicht sehr glücklich.
    "erst mal ist es so, dass diese beiden Stellvertreter letztlich inhaltliche und organisatorische Arbeit wegtragen sollen. Dafür müssen die beiden geeignet sein, und da wird man fragen müssen, sind das dann die geeigneten Personen, die da in der Diskussion sind? Aber das Zweite ist schon auch, dass die Fraktion insgesamt das Gefühl haben muss, neben den beiden Vorsitzenden durch den Gesamtvorstand eben auch vertreten zu sein, und da könnte eine so einseitige Auswahl schon zu einem Problem führen."
    Die Linkspartei im Osten schaut fassungslos auf das Gezerre im Bundestag
    Potsdam, in Brandenburg, halb neun in der Frühe. Der Platz vorm nigelnagelneu wieder aufgebauten Preußenschloss, in dem jetzt der Landtag sitzt, ist gut gefüllt. Der junge Morgen hat hier bereits eine AfD-Kundgebung gegen Flüchtlingsaufnahme sowie eine Gegenkundgebung für Willkommenskultur gesehen, die Landtagspräsidentin Britta Stark heißt ein gutes Dutzend Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und Tschetschenien willkommen.
    In Brandenburg regiert seit 2009 eine rot-rote Koalition, man ist hier stolz auf die staatliche Antirassismusarbeit und auf eine pragmatische, geräuschlose Regierungsführung. Kerstin Kaiser war lange die Linken-Fraktionschefin in Brandenburg. Nichts können die starken Landesverbände in den Ost-Bundesländern weniger gebrauchen als eine Bundestagsfraktion, die sich im Flügel- und Postenstreit verzettelt.
    "Ohne Zensuren zu verteilen, finde ich es wichtig bei Personalentscheidungen, dass eine Fraktion immer darüber nachdenkt, was ihre Entscheidung in der Öffentlichkeit bewirken, und ob sie am Ende für die Linkspartei mehr Anerkennung und politischen Erfolg sichern. Dabei ist es nicht nur entscheidend, ob man sich in der Fraktion gegenseitig liebt, man muss sich respektieren als Politikerinnen und Politiker."
    Die Linkspartei im Osten schaut oft fassungslos auf das Gezerre im Bundestag. In fünf Bundesländern wird im kommenden Jahr gewählt, darunter Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Während im Westen – in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz – der Einzug in den Landtag auf dem Programm steht, will die Linke in den drei Ost-Ländern "Regierungswahlkämpfe" führen. Dass man mit Bodo Ramelow in Thüringen sogar einen recht erfolgreichen Ministerpräsidenten vorweisen kann, verleiht auch den anderen Ost-Landesverbänden Auftrieb – wenn da nur nicht diese Schlechte-Stimmungsmaschine im Bundestag wäre:
    "Ich wünsche mir, dass die Themen, die für die Länder wichtig sind – und zwar egal, ob die Linke in einem Land regiert oder sogar den Ministerpräsidenten stellt oder in der Opposition ist - dass man sich bei diesen Themen besser abstimmt als bisher, dass man auch in der Öffentlichkeit abgestimmter als Mannschaft wahrgenommen wird. Ich wünsche mir tatsächlich mehr Teamplay, ja."
    Kaum etwas wird die anstehenden Wahlkämpfe so prägen wie die Flüchtlingsfrage, so viel steht fest. Die Linke steht dabei vor der Aufgabe klarzustellen, dass Flüchtlingsaufnahme keine Konkurrenz um Arbeitsplätze und Wohnungen bedeuten muss. Horst Kahrs war viele Jahre lang eine Art Ein-Mann-Think-Tank in der Parteizentrale. Jetzt arbeitet er bei der Linkspartei-nahen Rosa-Luxemburg-Stiftung. Die Flüchtlingspolitik, sagt er, lasse eine problematische Eigenschaft der Linkspartei und namentlich ihrer Flügelrepräsentanten hervortreten: den Mangel an Einfühlungskraft.
    "Das Problem von Linken besteht manchmal darin, dass sie gute Analysen machen, bei den Analysen aber wenig Augenmerk auf die handelnden Menschen richten und ihnen in ihrem Handeln mit Empathie begegnen. Ich glaube, man muss sich viel stärker auch in die Lage von Menschen hineinversetzen, die sich große Mühe machen, Flüchtlingen zu helfen. Als Linker sollte man immer versuchen, die Welt auch aus ihrer Perspektive zu sehen."
    " ... diese permanente Atmosphäre des Misstrauens"
    Selbst sehr rationalen, also kühlen Köpfen in und im Umfeld der Linken bereitet die Atmosphäre in den Zentren dieser Partei Probleme. Georg Fülberth sitzt in seinem Lieblingscafé an der Berliner Karl-Marx-Allee. Der emeritierte Politologie-Professor aus Marburg ist gleichzeitig als Theoretiker und als kommunistischer Kommunalpolitiker schon seit Jahrzehnten Zaungast bei der Linken. Ihn irritiert ...
    " ... der merkwürdige Eindruck einer überdimensionierten Zerstrittenheit. Parteien sind zerstritten, sie müssen zerstritten sein – das Merkwürdige, das ich mir nicht erklären kann, ist: Weshalb inhaltliche Gegensätze, die ganz normal sind, in der Partei Die Linke so früh und so schnell den Charakter des Persönlichen annehmen. Was ich mir nicht erklären kann, ist diese permanente Atmosphäre des Misstrauens, auf die man stößt. Fast müsste man sagen, diese Partei bräuchte ein Coaching, aber das ist natürlich vollkommen albern."
    Trotzdem glaubt Fülberth, dass die Linke unter neuer Fraktionsführung gute Chancen hat, auch ohne Coaching zurecht zu kommen. Denn anders als früher gebe es jetzt ja neben der Fraktions- auch eine profilierte Parteispitze. Diese habe seit 2012 dank Katja Kipping und Bernd Riexinger neues Gewicht erworben.
    "Falls es mal in der Fraktion krachen sollte, könnte ich mir vorstellen, dass eine starke Partei mit zwei doch akzeptablen - auch akzeptierten! - Parteivorsitzenden dämpfend wirken könnte."
    Außerdem aber ist Fülberth sich auch mit anderen Analysten darin einig, dass die Linke von einer großen Bürde aktuell befreit ist: Gegenwärtig glaubt niemand mehr ernsthaft an die Möglichkeit, dass es bei der Bundestagswahl 2017 zu einem rot-rot-grünen Bündnis kommen könnte, und sich die Linke darum an der Frage einer Regierungsbeteiligung im Bund aufreiben muss.
    "Dass innerhalb der Partei immer wieder über rote Linien - unter welchen Bedingungen treten wir in eine Bundesregierung ein oder auch eine Landesregierung ein -, diskutiert wird, halte ich für ein völlig müßiges Spiel, das ist völlig uninteressant. Die Linkspartei wird dann in eine Bundesregierung eintreten, wenn man sie reinlässt, und reinlassen wird man sie dann, wenn künftige Partner keine andere Wahl mehr sehen."
    Eine neue Rolle für Gysi muss her
    Nach Lage der Dinge haben aber sowohl SPD als auch Grüne für 2017 durchaus anderes im Sinn: Große Koalition beziehungsweise Schwarz-Grün gelten als Optionen; ein rot-rot-grünes Bündnis wird von keiner der drei Parteien aktiv vorbereitet.
    Ab dieser Woche aber gilt es für die Linksfraktion im Bundestag, erst einmal einen neuen Platz und eine neue Rolle für Gregor Gysi zu finden. Das wird nicht leicht, jemanden einzuhegen, der 25 Jahre lang so wichtig war. Als der Übervater der Grünen, Joschka Fischer, sich 2005 aus dem Grünen-Betrieb verabschiedete, sagt er, er werde mit Sicherheit nicht den "Opa aus der Muppetshow" geben, der von der Zuschauertribüne herab alles hämisch kommentiere. Ob Gysi jetzt den Opa aus der Muppetshow bei den Linken macht?
    "Heute halte ich meine letzte Rede als Fraktionsvorsitzender im Deutschen Bundestag. Warten Sie - los sind Sie mich aber noch nicht, denn ich bleibe ja im Bundestag!"
    Halina Wawzyniak ist Rechtspolitikerin der Fraktion, die Berlinerin gilt als recht unabhängiger Kopf. Sie sagt:
    "Die Muppetshow ist ja relativ lustig und unterhaltsam, insofern würde ich auch gar nichts Schlimmes daran finden, wenn Gregor Gysi weiter für Unterhaltung sorgt, das macht er nämlich sehr gut. Ich finde auch, dass man auf seine Erfahrung und Rhetorik nicht verzichten sollte. Was ich ihm abnehme ist, dass er schon sagt, ich werde nicht alles kommentieren, aber ich finde schon, er sollte das, was er dann inhaltlich bearbeitet – auch kommentieren."