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Macrons Kandidat für die EU-Kommission
"Priorität war, dass Frankreich dieses enorme Portfolio behält"

Mit Thierry Breton hat Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wieder einen Kandidaten für die EU-Kommission benannt, der keine weiße Weste hat. Der Ex-Finanzminister bringe jedoch die Kompetenzen mit, die Frankreich in der EU das Binnenmarkt-Ressort sichern, sagte die Politologin Claire Demesmay im Dlf.

Claire Demesmay im Gespräch mit Anh Tran | 25.10.2019
Der Manager und frühere französische Finanzminister Thierry Breton
Frankreichs Nominierung für die EU-Kommission: Der Manager und frühere französische Finanzminister Thierry Breton (Eric Piermont / afp)
Anh Tran: Sylvie Goulard scheiterte erst als Verteidigungsministerin in Frankreich und dann als mögliche EU-Kommissarin vor dem Parlament. Beide Male ging es unter anderem um Scheinbeschäftigungsvorwürfe. Und mit ihr scheiterte auch Emmanuel Macron zuerst in Frankreich, dann auf europäischer Bühne. Nun hat der französische Präsident einen neuen Kandidaten für die EU-Kommission benannt. Thierry Breton. Ob Macron dieses Mal mehr Erfolg hat, darüber spreche ich jetzt mit Claire Demesmay. Sie ist Expertin für deutsch-französische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik und ist mir jetzt aus Berlin zugeschaltet. Frau Demesmay. Zwei Schlappen mit Goulard für Macron - wie wichtig ist die Neubenennung Bretons für den Präsidenten, um innenpolitisch Gesicht zu wahren?
Claire Demesmay: Guten Morgen. Die ist extrem wichtig. Sie haben das gesagt: Das Scheitern von Sylvie Goulard ist gleichzeitig auch das Scheitern von Emmanuel Macron. Und das ist für ihn von großer Bedeutung, dieses Scheitern so schnell wie möglich hinter sich zu lassen. Das heißt dieses Scheitern sozusagen in Erfolg umzuwandeln. Und das heißt für ihn erstens, das Portfolio für Frankreich in der EU-Kommission sichern. Das ist ein sehr breites Portfolio - Binnenmarkt, Industrie, Verteidigung, Digitalisierung, das ist sehr viel. Und zweitens geht es ihm darum, die Zustimmung jetzt vom Europaparlament für Thierry Breton zu erhalten. Das ist der Schlüssel.
"Breton ist ein Plan B"
Tran: Und wen schickt Macron mit Thierry Breton da ins Rennen?
Demesmay: Breton ist ein Plan B. Aber der ist ein solider Plan B. Er erfüllt viele Kriterien. Erstens ist er ein treuer Anhänger von Macron. Er wird alles tun, um seine Agenda durchzusetzen. Aber er kommt auch aus dem konservativen Lager. Und das ist wichtig für das Europaparlament, insbesondere für die konservative Fraktion. Er ist akzeptabler.
Zweitens, hat Breton Erfahrungen gesammelt, sowohl in der Regierungspolitik als Wirtschaftsminister unter Jacques Chirac als auch in der Privatwirtschaft. Er war Chef von France Télécom, von Thomson. Er ist jetzt Chef von Atos. Das ist ein französisches Unternehmen aus der Digitalbranche. Das heißt, er hat für dieses Portfolio schon gute Karten. Allerdings werden auch in seinem Fall Interessenkonflikte geprüft. Seine Unternehmen, die Unternehmen, wo er gearbeitet hat und auch dieses aktuelle Unternehmen Atos hatte oder bekommt ziemlich viele EU-Gelder und das wird natürlich Breton erklären müssen.
Tran: Also wieder kein Kandidat mit weißer Weste?
Demesmay: Ein Kandidat, der wirklich alle Kriterien erfüllt, ist in der Tat sehr schwierig. Und ich sehe das so, dass die oberste Priorität für Macron jetzt war, jemanden nach Brüssel zu schicken, der diese Erfahrung hat, der diese Kompetenzen hat, der mit diesen Kompetenzen einfach überzeugen kann und sagen kann: Gut, ich kenne mich mit Industriefragen, mit Verteidigungsfragen und mit Digitalisierung aus, um eben dieses Portfolio weiterhin behalten zu können und zwar in Gänze und nicht nur Teile davon.
Macron will den Binnenmarkt verändern
Tran: Die designierte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich ja Geschlechtergerechtigkeit auf die Fahne geschrieben. Jetzt schickt Macron diesmal keine Frau ins Rennen. Warum nicht?
Demesmay: Ja, das stimmt und auch für Macron war das eigentlich ein Ziel, weil das Ziel von Ursula von der Leyen hat er sich selbst auch zugeschrieben für die Regierung, für das Kabinett in Frankreich. Mann, Frau war jetzt, nach dem Scheitern von Sylvie Goulard kein Hauptkriterium mehr. Ich würde fast sogar sagen, das war überhaupt kein Kriterium mehr, weil, wie gesagt, die Hauptsache, die die große Priorität war, dass Frankreich dieses enorme Portfolio behält. Und man muss wirklich im Kopf haben, dieses Portfolio ist im Zentrum von der Strategie von Emmanuel Macron für die Europapolitik. Dieses Portfolio entspricht vollkommen seiner Agenda. Also er will damit auch den Binnenmarkt verändern. Er möchte, dass die EU viel stärker, viel bewusster eine Industriepolitik betreibt. Auch die Verteidigungspolitik ist ihm wichtig. Und der Posten in der Kommission soll dafür ein Hebel sein. Und klar, für Ursula von der Leyen ist das jetzt eine bittere Pille, weil sie kann eben nicht diese Kommission paritätisch haben. Macron muss die Pille selber nicht schlucken, und das lässt er auch sehr klar erkennen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.