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Macrons politischer Kurs
"Er muss zunächst einmal 'Frankreich first' sagen"

Der französische Präsident Emmanuel Macron versuche derzeit vor allem, seine Position in Frankreich zu stärken, sagte der Politologe Albrecht von Lucke im Dlf. Denn nur dann könne er auch seine harten Reformen umsetzen. Dazu gehöre auch, dass er Deutschland politische Konzessionen abverlange.

Albrecht von Lucke im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.07.2017
    Albrecht von Lucke, Publizist und Politologe (8.9.2016).
    Albrecht von Lucke, Publizist und Politologe. (imago / Metodi Popow)
    Tobias Armbrüster: Es ist auf den ersten Blick eine sehr enge politische Partnerschaft, die die beiden da pflegen, Angela Merkel und Emmanuel Macron. Heute ist da wieder mal ein so symbolträchtiger Tag: Deutsch-Französischer Ministerrat, gemeinsame Kabinettssitzungen im Elysée-Palast, ganz großes Kino also in der deutsch-französischen Diplomatie. Aber es deuten sich auch schon Differenzen an. Macron hat in einem Zeitungsinterview heute zum Beispiel mehr deutsche Investitionen in Europa gefordert.
    Am Telefon ist jetzt der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke. Er ist Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik. Schönen guten Tag, Herr von Lucke.
    Albrecht von Lucke: Guten Tag, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr von Lucke, kann das für Emmanuel Macron funktionieren, eine enge Partnerschaft gleichzeitig mit Angela Merkel und mit Donald Trump?
    "Er versucht, seine Rolle in Frankreich zu stärken"
    von Lucke: Ich glaube, durchaus. Man sieht ja gegenwärtig, dass Macron vor allem eines im Schilde hat und führt: Er ist momentan, weil er natürlich weiß, dass er große Reformen in Frankreich anstreben muss, vor allem bemüht, auf internationaler Bühne die Reputation zu vergrößern. Das hat er in allen Bereichen getan. Erinnern wir uns, dass er vor Kurzem auch rote Linien in Syrien angekündigt hat. Das heißt, er versucht, ein Stück weit eine westliche Achse neu zu begründen, die ja seit dem Gaullismus höchst prekär ist. Frankreich war ja weit distanzierter gegenüber Amerika. Er mehrt also seine außenpolitische Reputation und versucht, auch auf diese Weise seine Rolle in Frankreich zu stärken. Denn der entscheidende Unterschied zwischen Macron und Merkel ist natürlich folgender: Er hat die Wahl bereits gewonnen. Er muss jetzt vor allem in Frankreich stark auftreten, um die harten Reformen durchzuführen, die ihm sicher von der Linken harten Protest einbringen. Deswegen kann er auch gegenüber Angela Merkel in der Frage der Finanzierung Europas sehr viel offensiver auftreten, während Angela Merkel ihre Wahl gewinnen muss und deshalb das Abrücken vom Austeritätskurs, der jetzt von Frankreich gefordert wird, ihr natürlich erheblich schwerer fällt.
    Armbrüster: Aber kann das denn funktionieren, dass er die deutsche Seite sozusagen umpolt und umstimmt?
    "Er muss Deutschland Konzessionen abverlangen"
    von Lucke: Ich glaube, er weiß eines: Er weiß zum einen, dass Angela Merkel weit bereitwilliger ist, spätestens nach der Bundestagswahl einiges zu ändern. Das hat sie bereits jetzt in den letzten Tagen ja auch deutlich gemacht. Die Frage beispielsweise, inwieweit der Internationale Währungsfonds, der bisher ja immer eine ganz harte klare Linie verfolgte in der Frage der Finanzierungsfähigkeit, in der Frage der Staatskürzungspolitik, inwieweit dieser in Zukunft gar nicht mehr dabei sein muss, hat Angela Merkel jüngst aufgerissen, also ein eigener Europäischer Währungsfonds an die Stelle treten würde, das zeigte bereits, dass Abweichungen vom Austeritätskurs spätestens nach der Wahl auch übrigens gegenüber Griechenland längst in Rede stehen.
    Macron macht mehr: Er will natürlich jetzt versuchen, in einer Zeit, in der die Wahl auf Deutschland zukommt, deutlich zu machen, dass er hier Deutschland etwas abverlangt. Er hat ja ein Plus. Er weiß um die Sympathien, die er auch in Deutschland genießt. Er weiß, dass Merkel jetzt vielleicht Konzessionen machen muss, auch deutlicher machen muss, die ihr dann nach der Wahl und ihm vor allem dann mehr Spielraum verschaffen. Sein Ziel besteht darin, die Franzosen zunächst zu gewinnen. Er muss ja die Konzessionen auch von Deutschland abverlangen im Sinne eines do ut des, die es ihm bei den Franzosen erleichtert, ihnen die harten Zugeständnisse abzuverlangen. Das ist seine Strategie und ich glaube, er spielt da recht klug, weil er auch weiß, er hat auch mit den Sozialdemokraten in Deutschland Koalitionspartner, die er übrigens längst nicht mehr, glaube ich, als potenzielle Gewinner bei der Wahl ansieht, aber die er zumindest jetzt ein Stück weit stärken kann, denn sie fordern ja vor allem in Person von Sigmar Gabriel schon lange ein Abrücken von der Austeritätspolitik.
    Armbrüster: Und was ist mit dem gemeinsamen europäischen Finanzminister? Ist das eine Forderung, die er tatsächlich ernsthaft auch gegenüber Deutschland aufrecht erhalten kann?
    "Merkel wird ihm entgegenkommen"
    von Lucke: Ja. Es gibt ja Positionen, übrigens beispielsweise auch von Wolfgang Schäuble, der da in dem Bereich schon lange Konzessionen gemacht hat. Die Frage ist natürlich nur, zu welchem Zeitpunkt erscheint Derartiges durchsetzungsmöglich. Sagen wir es so: Die große Problematik, aber auch eigentlich das, was potenzielles Win-Win-Verhältnis von Merkel und Macron sein könnte, besteht doch darin, dass Merkel auch weiß, dass nur ein gestärkter Emmanuel Macron in der Lage sein wird, eines Tages die deutsch-französische Achse wieder zum Funktionieren zu bringen, dass sie selber auch ein Interesse daran haben muss, ihn zu stärken. Insofern wird sie meines Erachtens Konzessionen wahrscheinlich jetzt schon vor der Wahl machen. Momentan steht sie übrigens auch in Deutschland so stark da, dass selbst das ihr die Sympathien bei der Wählerschaft nicht nehmen würde, zumal übrigens auch die SPD ja Abstriche bei der Austeritätspolitik verlangt. Das heißt, sie wird ihm entgegenkommen, um dadurch eine Stärkung der deutsch-französischen Achse zu bewerkstelligen und damit auch die Möglichkeiten zu verbessern, eine einheitliche Europapolitik, vielleicht sogar in Form eines zukünftigen EU-Finanzministers im Eurobereich zu ermöglichen. Das sind dann Gemeinsamkeiten, die natürlich aber erst einmal eine Stärkung überhaupt des Eurobereichs ermöglichen.
    Armbrüster: Das heißt, Herr von Lucke, Sie sagen, Deutschland ist bereit, solche Heiligen Kühe, sage ich mal, zu opfern, wie zum Beispiel die stabile deutsche Finanzpolitik, nur damit Frankreich besser dasteht und damit dieser Motor wieder läuft.
    "Wir haben uns Macron vielleicht zu sehr als einen Linken vorgestellt"
    von Lucke: Das wird alles keine Frage der sofortigen Lösung sein. Das hat Wolfgang Schäuble übrigens mehrfach angedeutet, der sich ja selber auf diese Überlegungen längst eingelassen hat, der selber sagt, es sind Überlegungen, die wir, die Deutschen bereits angestellt haben. Jeder weiß aber, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine weitere Vereinheitlichung oder möglicherweise die Schaffung neuer Institutionen in einer derart umstrittenen Lage in der Europäischen Union und in der Eurogemeinschaft gar nicht möglich sein werden. Aber mit Blick auf die Zukunft glaube ich ganz sicher, dass man dort gemeinsame Projekte, Visionen vielleicht sogar ausmalen wird, die so etwas ermöglichen wie eine Stärkung in der Zukunft. Dass das gegenwärtig nur Zukunftsmusik ist, das ist ganz klar.
    Man merkt aber vor allem eines gegenwärtig. Wir haben uns Macron vielleicht – übrigens auch die Linken in Deutschland – zu sehr manchmal als einen Linken vorgestellt. Macron ist natürlich auch ein Vertreter – gegenwärtig sieht man das übrigens auch, was die Kündigung der Finanztransaktionssteuer, die Aufkündigung der Pläne anbelangt -, er ist natürlich auch einer, der zunächst einmal "Frankreich first" sagen muss, vielleicht sogar, um die harten Konzessionen in Frankreich selber zu ermöglichen, um seine Reformen durchzusetzen. Das heißt, Deutschland weiß ganz genau und Angela Merkel mit Sicherheit, dass sie selber eine Stärkung Macrons betreiben muss, um ihn in der deutsch-französischen Achse nicht zu verlieren beziehungsweise ihn weiter zu stärken.
    Armbrüster: Wenn wir das jetzt sehen, Herr von Lucke, diese Absage an die Finanztransaktionssteuer, außerdem seine Schritte in Richtung einer, ich sage mal, deutschlandorientierten Arbeitsmarktreform, Stichwort Hartz IV, können wir dann sagen, dass Emmanuel Macron erst jetzt gerade sein wahres Gesicht zeigt?
    "Er wirbt als klassischer Wirtschaftsliberaler um die Banken"
    von Lucke: Nein! Wir machen es uns dann zu einfach, weil dieses wahre Gesicht hat er in vielerlei Hinsicht nie verhehlt. Er hat auf der einen Seite gesagt, dass er ein Europäer ist, aber es war ja immer auch die Kritik der radikalen französischen Linken, dass er bei Leibe kein Linker ist. Er hat im Wahlkampf genau damit geworben, dass er einen Kurs jenseits von links und rechts fährt. Deswegen hat er ja auch seinen enormen Erfolg ob der Schwäche der Linken wie der Konservativen eingefahren. Und jetzt zeigt er natürlich, dass er auf der anderen Seite weiter auch das ist, was er davor schon war: ein harter Wirtschaftsliberaler. Das ist ganz klar. Er wirbt mit der Preisgabe der Finanztransaktionssteuer, um die Banken, die auch nach Frankreich kommen sollen, übrigens mehr noch als gegen Deutschland gegen Luxemburg, die ja nicht interessanterweise an die EU-Finanztransaktionssteuer gebunden sein werden und von vornherein sagten, wir machen da nicht mit. Das heißt, er wirbt als klassischer Wirtschaftsliberaler um die Banken. Und ein zweites: Er wird natürlich – das hat er angekündigt – auch harte wirtschaftsliberale Reformen in Frankreich durchführen. Das heißt, wir haben es – so hat er es auch übrigens immer beschrieben – allenfalls mit einem Vertreter der Rocard-Linken, also der zweiten Linken zu tun. Man kann aber fast sagen, eher mit einem Gesamtkunstwerk, das sowohl Liberale, Wirtschaftsliberale, aber auch ja durchaus zum Teil sehr stark europaorientierte linke Teile beinhaltet.
    Armbrüster: Und die große Frage, die sich da ja stellt, ist dann: Kann er damit auch in Frankreich selbst Erfolg haben? Ich meine, da muss er ja erfolgreich sein, sonst lassen ihn die Wähler schon bald ähnlich hängen wie seinen Vorgänger.
    "Macron muss zunächst einmal die Franzosen gewinnen"
    von Lucke: Das ist genau der entscheidende Punkt und deswegen wird er genau und hat er ja bereits auch die Stimmung, die herrschende Stimmung in Frankreich aufgenommen, indem er jetzt fordert, der eigentliche Gewinner der letzten Jahre der Krisenpolitik, nämlich Deutschland, muss selber Konzessionen machen. Das ist der Grund, warum er Intervention und mehr Investition von Deutschland fordert, damit er auch die Stimmung in Frankreich stärkt, die es ihm ermöglicht, diese Reformen durchzusetzen. Denn das ist die eigentliche Klippe. Macron wird auch von den französischen Wählern gewählt, wie in Deutschland Frau Merkel von den Deutschen. Das heißt, er muss zunächst einmal die Franzosen gewinnen.
    Armbrüster: … sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke, Redakteur der Blätter für deutsche und internationale Politik. Vielen Dank, Herr von Lucke, für Ihre Zeit heute Mittag.
    von Lucke: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.