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Madeira
Auswandern aus dem Ferienparadies

Die portugiesische Atlantikinsel Madeira hat eine Jugendarbeitslosigkeit von 53 Prozent. Die Zeit der großen Infrastrukturprojekte ist vorbei, der Staat als größter Arbeitgeber muss sparen. Vielen bleibt deshalb als Ausweg nur die Auswanderung.

Von Tilo Wagner | 12.01.2015
    Felsküste vor Madeiras Halbinsel Ponta de Sao Lourenco
    Ferienparadies mit hoher Arbeitslosenquote: Madeira (picture-alliance / ZB / Andreas Lander)
    Auswandern ist für Malbely Moreira keine Tragödie, sondern Teil der Familiengeschichte. Die 25-jährige Architektin ist in Venezuela geboren, wohin viele Madeirer in den 1960er- und 1970er-Jahren ausgewandet sind, als auf der Atlantikinsel noch große Armut herrschte. Mit dem Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft 1986 floss viel Geld nach Madeira. Und mit dem Wirtschaftsboom kam auch Malbelys Familie zurück in ihre Heimat.
    Malbely selbst hat im vergangenen Jahr ihr Architekturstudium in Coimbra, auf dem Festland, abgeschlossen und ist nach Madeira zurückgekehrt. Doch die Berufsaussichten für Architekten sind sehr schlecht. Das Baugewerbe, das jahrelang dank großzügiger Finanzspritzen aus Brüssel der Motor der Regionalwirtschaft war, steckt in einer tiefen Krise. Nun will es die junge Frau im Ausland probieren. Und sie weiß, dass das der endgültige Abschied von ihrer Insel seinen könnte:
    "Frühere Generationen von Auswanderern wollten immer irgendwann zurück auf die Insel. Und viele haben deshalb in ihren Gastländern gar nicht richtig Fuß gefasst. Meine Generation sieht das anders. Vielleicht kommen wir in den Ferien wieder nach Madeira, aber wenn wir einmal in ein anderes Land gehen, wollen wir dort auch bleiben. Schließlich suchen wir Stabilität. Und deshalb kommen wir wahrscheinlich nicht mehr zurück."
    Stadtverwaltung bietet Praktika
    Die Architektin macht in der Stadtverwaltung Funchal gerade ein neunmonatiges Praktikum, das vom Arbeitsamt finanziert wird. Nach Angaben der Zentralregierung in Lissabon wurden bereits über 50.000 junge Arbeitslose in Portugal in das Beschäftigungsprogramm aufgenommen. Auch in der Inselhauptstadt Funchal will Bürgermeister Paulo Cafôfo ein Zeichen gegen die Jugendarbeitslosigkeit setzen und hat Dutzende Stipendienplätze geschaffen:
    "Es bereitet mir große Sorgen, dass in unserer Inselregion die Hälfte aller jungen Arbeitnehmer arbeitslos ist und wahrscheinlich irgendwann auswandern wird. Wir haben hier in Funchal eine gute Universität, die dazu beigetragen hat, dass das Bildungsniveau stark angestiegen ist. Ich glaube, wir hatten noch nie eine so gut ausgebildete Generation. Und es kann doch nicht angehen, dass wir gerade diese jungen Menschen jetzt verlieren."
    Ob die vielen Praktika, die der Staat mithilfe von EU-Mitteln bezahlt, die jungen Arbeitslosen langfristig binden können, bleibt fraglich. Für Malbely Moreira ist das Praktikum eine gute Möglichkeit, um wichtige erste Arbeitserfahrungen zu sammeln. Sie bemängelt jedoch, dass ihr dadurch keinerlei Zukunftsperspektiven eröffnet werden:
    "Es wäre schön, wenn zumindest eine Chance bestehen würde, dass wir in der Stadtverwaltung weiterarbeiten können. Aber die öffentliche Verwaltung hat keine Möglichkeiten, uns nach dem neunmonatigen Praktikum weiter zu beschäftigen. Denn dann steht schon der nächste Praktikant vor der Tür. Und in der Privatwirtschaft sieht es für uns Architekten noch viel schlechter aus. Die Unternehmen haben noch nicht einmal Geld, um den kleinen Eigenanteil am Praktikumsgehalt zu übernehmen, zu dem sie verpflichtet sind. Oder sie stellen keine Praktikanten ein, weil sie keine Aufträge haben."
    Hohe Schuldenlast der Atlantikinsel
    2011 stand Madeira kurz vor dem Bankrott. Die Schulden der 800 Quadratkilometer kleinen Inselregion werden auf 7,5 Milliarden Euro geschätzt. Um finanziell zu überleben, hat die Regionalregierung mit der Zentralregierung in Lissabon einen Sparplan ausgearbeitet. Die Ausgaben im öffentlichen Sektor, in der Verwaltung, müssen zurückgefahren und Stellen gestrichen werden. Der Arbeitsmarktexperte Ricardo Fabrício warnt jedoch davor, Madeira die gleichen Rezepte aufzuzwingen, die im Süden Europas im Zusammenhang mit der Euro-Krise umgesetzt wurden:
    "Wir dürfen nicht vergessen, wo wir uns befinden. Wir leben auf einer Insel, 900 Kilometer vom europäischen Kontinent entfernt. Wir haben kein Öl oder andere Rohstoffe, wir leben vom Tourismus und ein bisschen von den Vorteilen eines Niedrigsteuergebiets. Und unser größter Arbeitgeber ist der Staat. Ein Viertel der Beschäftigten arbeitet in der Verwaltung. Aber was wäre mit ihnen, wenn sie nicht mehr für den Staat arbeiten würden? Das ist unser Dilemma. Entweder wir machen so weiter wie bisher, und das geht ja auch nicht, oder wir ertrinken im Atlantik."
    Nach 36 Jahren im Amt ist der Regionalregierungschef Alberto João Jardim nun zurückgetreten. Neuwahlen auf Madeira sind für Ende März geplant. Eines steht jetzt schon fest: Die neue Regierung hat eine sehr schwierige Aufgabe vor sich, um die Finanzen in den Griff zu bekommen und gleichzeitig die Wirtschaft anzukurbeln, damit nicht noch mehr junge Inselbewohner ihre Heimat verlassen.