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Mängelbericht über die Bundeswehr

01.03.2002
    Birke: 18,6 Milliarden DM sind der Bundeswehr vor drei Jahren aus der mittelfristigen Finanzplanung gestrichen worden. Diese Zahl ist natürlich nicht neu und die Finanzmisere bei gleichzeitigem Reformzwang bei der Truppe ist schon häufig beklagt worden. Wie dramatisch sich der Geldmangel aber auf die Stimmung und Qualität der Soldaten auswirkt, das war bisher wenig bekannt und sollte wohl nach dem Willen des Generalinspektors Kujat auch ein Geheimnis bleiben. Dennoch sind einige Exemplare des Berichts des Ausbildungsbeauftragten, General Dieter Löchel in Umlauf gekommen. Das Bild, das er zeichnet, ist erschütternd. Die Motivation der Truppe bewegt sich zwischen Bitterkeit, Demotivation und Abwarten, heißt es dort. Die Frage nun an den verteidigungspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Zumkley: Stinkt der Fisch vom Kopf, denn es wird auch berichtet, dass Führungskräfte nicht mehr informieren, rücksichtsloser werden und es Vorbehalte gegenüber der politischen Leitung gäbe?

    Zumkley: Nun, der Bericht, der uns natürlich auch über die Presse bekannt geworden ist, zeigt Mängel auf, denen man nachgehen muss. Es ist übrigens auch in der Vergangenheit so gewesen, dass der Beauftragte für Erziehung und Ausbildung solche Jahresberichte geschrieben hat, und die sind in den vergangenen Jahren, was die Mängel angeht, durchaus ähnlich klar ausgefallen. Man muss das aufgreifen, was hier aufgeschrieben worden ist, prüfen und die Mängel natürlich auch abstellen.

    Birke: Sie plädieren also in jedem Fall für Veröffentlichung dieses Berichts?

    Zumkley: Er ist ja schon raus und ich bin der Meinung, dass zumindest der Verteidigungsausschuss damit beschäftigen muss - das wird er auch tun -, und wir werden uns das angucken und auch den Generalinspektor dazu anhören, denn es geht ja nicht darum, Mängel geheim zu halten, sondern, wenn Mängel da sind, zu prüfen: Wer ist dafür verantwortlich? Ist es die Truppe selber oder gibt es einen politischen Zusammenhang? Gibt es Versäumnisse in der Politik? Das muss aufgegriffen werden, aber lassen Sie mich gleich sagen, dass es die Bundeswehr jetzt natürlich sehr schwer hat. Sie befindet sich in der alten Struktur und geht in eine neue Struktur über, was immer schwierig ist, auch in der Vergangenheit immer schwierig war. Der Reformprozess läuft. Zugleich müssen die Auslandseinsätze durchgeführt werden - wie wir wissen, mit großem Erfolg der Truppe und mit hoher Anerkennung - und das führt zu enormen Belastungen und Unzulänglichkeiten, die dann natürlich auch möglicherweise die Motivation beeinträchtigen können. Das muss man sich angucken. Wir müssen dann natürlich versuchen, die politischen Rahmenbedingungen so zu stellen, dass das besser möglich ist, und die Vorgesetzten aller Dienstgrade sind gefordert, in besonderer Weise selber einen Beitrag dazu zu leisten, dass z.B. innere Führung und das innere Gefühl stimmt.

    Birke: Herr Zumkley, Sie haben es ja angesprochen, es gibt viele Auslandseinsätze und das sind ja sozusagen die Paradepferde. Wenn ich jetzt mal in den Bericht schaue und dann zitiere: "Mit graut, die ABC-Gruppe sei die bestausgebildetste und die bestausgerüstetste der Welt. Dabei sind wir nicht einmal in der Lage, einen einzigsten Trupp zusammen zu bekommen, der seinen Auftrag hundertprozentig erfüllen kann. Machen wir uns hier nicht was vor?"

    Zumkley: Nun, das sind Einzelmeinungen, die einfach die Stimmung wiedergeben. Wir finden es auch in der Truppe überall, dass es Mängel zu beklagen gibt. Ich würde mich dieser Beurteilung nicht anschließen. Aus meiner Kenntnis, ist die ABC-Truppe insgesamt gesehen und grundsätzlich gut ausgebildet und gut vorbereitet. Mag das im Einzelfall nicht so sein, muss man der Sache nachgehen. Aber ich warne davor, nun einzelne Aspekte hoch zu rechnen und zu sagen, dass alles so ist. Also, dieser Mängelbericht muss aufgegriffen werden und natürlich auch Folgen haben.

    Birke: Herr Zumkley, eines sollte doch sehr zu denken geben: Es heißt dort unter anderem auch, dass in der Bundeswehr praktisch nur noch der Bodensatz der Gesellschaft eingekauft würde, eben Soldaten rekrutiert werden, die beim Bundesgrenzschutz und bei anderen Einheiten durchgefallen sind. Wie kann man hier diesem Prioritäten-setzten, Quantität vor Qualität, entgegenwirken?

    Zumkley: Dem kann man entgegenwirken, indem wir die Attraktivität der Laufbahnen innerhalb der Bundeswehr, der Soldaten, verbessern. Da sind wir jetzt dran. Leider sind wir etwas in Verzug geraten - das ist durchaus Selbstkritik -, denn wir hätten es im letzten Jahr schon machen müssen. Jetzt sind die gesetzlichen Bestimmungen so weit gediehen und verabschiedet, dass wir in diesem Jahr 42 000 Betroffene haben werden, die in diesem Zusammenhang Verbesserungen erfahren. Ich hätte es im letzen Jahr lieber gehabt, um das früher zu tun. Wir müssen in der Tat, was die Laufbahn angeht, die Soldaten heranführen an das Niveau von Polizei, Bundesgrenzschutz. Dann bin ich sicher, werden wir in einer vernünftigen Konkurrenz-Situation auch die Soldaten bekommen, die wir brauchen. Aber, die freiwillig Wehrdienstleistenden, die ja auch im Bericht angesprochen worden sind, leisten einen hervorragenden Dienst - gerade im Ausland -, und auch hier würde ich davor warnen, eine Verallgemeinerung vorzunehmen. Wir haben hervorragende Wehrpflichtige - im übrigen ist das auch im Plädoyer für die Wehrpflicht eine solche Feststellung -, die sich wirklich auch in keiner Weise scheuen müssen, auch nicht Zeitsoldaten, und insofern plädiere ich dafür, nicht alles über einen Kamm zu scheren, sondern sich anzugucken, wo Mängel sind, wo sie auftreten und wo sie nicht sind. Das sind durchaus Unterschiede.

    Birke: Das war der Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion in verteidigungspolitischen Fragen, Peter Zumkley. Vielen Dank.