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Männer mittleren Alters

Man hat es ja schon selbst erlebt: Wenn Männer mittleren Alters morgens im Bad stehen, naht des Öfteren die Krise. Wer bist du, fragt sie lauernd, was hast du im Leben erreicht, wo sind deine Träume hin? Und: Du siehst ganz schön fertig aus, mein Lieber! – Axel Marquardt hat solche Situationen, scheint’s, bereits hinter sich und nun zu einem Roman verarbeitet.

Von Joachim Scholl | 12.05.2004
    Am Tag vor seinem dreiundvierzigsten Geburtstag kam in Hubert Rosebrock der Verdacht auf, dass er eine ausgesprochene Pfeife war.

    Dieser Fall bitterer Selbsterkenntnis ereignet sich in einem respektablen Kölner Eigenheim, wo der angesehene Bankier an einem Windsor-Krawatten-Knoten schmählich scheitert. Das ist der banale Anlass für tiefgehende Zweifel: an der gut gepolsterten materiellen Existenz, dem langweiligen Beruf und der Ehe mit Doris, die seit zwanzig Jahren ebenso unaufregend verläuft. Sein ganzes Leben erscheint Herrn Rosebrock mit einem Mal als elend lahmer Fluss, und ihm dämmert, dass etwas passieren muss. Nur was? Rosebrock ist kein Mann, der plötzlich die Puppen tanzen lassen könnte. Doch gottlob hat er einen verständigen Autor, der weiß, dass auch im Bergischen Land Spannung und Abenteuer loszutreten sind. Der Vorsatz, Neues zu erleben, enthusiasmiert die Hauptfigur hinfort zu allerlei mutigen Schritten, etwa einen zugelaufenen Hund zu adoptieren, in schäbigen Restaurants dubiose Gerichte wie "Zum lustigen Bosniak"zu verzehren, oder anstatt zu einem langweiligen Klassentreffen zu fahren, mit zwei alten Schulkameraden in die Spielbank Hohensyburg einzufallen. Solcher Wagemut wird prompt belohnt mit 6.800 Euro am Roulette – und der hinreißenden Schönheit Magda, die mit ihm, dem Unscheinbaren, im Casino flirtet. Hubert kann sein Glück kaum fassen.

    Wo er denn wohne, wollte sie wissen. "In Köln", sagte er und merkte, dass Wein und Armagnac ihre animierende Wirkung zu entfalten begannen. "Ich bin zu einem Klassentreffen nach Gummersbach gekommen, bin aber nicht hingegangen."Nein, in welchem Hotel er wohne. "Ich hab noch keins. Ob man hier wohl ein Zimmer bekommt?"Das glaube sie nicht. Er könne aber mitkommen. Zu ihr. Wenn er Lust habe. "Zu Ihnen? Aber mit dem größten Vergnügen. Es wäre mir eine Ehre.""Ich bin aber nicht billig."Hubert erholte sich überraschend schnell von dem Hammerschlag. "Ich bin auch nicht arm", sagte er.

    Solche Schlagfertigkeit deutet schon den mählichen Wandel an, der sich im Charakter des Helden Rosebrock vollzieht. Wenn er auch, wie die Liebesnacht dann zeigt, vom Status des Latin Lovers noch weit entfernt ist - Hubert kostet entzückt von den reichen Gaben, die ihm das Leben so unvermutet bietet. Mit sichtlichem Vergnügen organisiert Axel Marquardt eine umfassende Grand Tour, mit rausch-haften Aufschwüngen, aber auch kleinen, pädagogisch wertvollen Niederlagen: So kommt Hubert bei der 21-jährigen Yoko nicht zum Zug. Das hätte er sich auch denken können, mit seinen 43. Dieses Erziehungsprogramm ist vom Autor durchaus beabsichtigt.

    Es gibt zwei Dinge, die mir bei diesem Buch wichtig sind: Es geht mir erstens um das Inhaltliche, dass ich eine schöne runde Geschichte erzähle, und dann geht es mir um den Fall Rosebrock. Dass ein Mensch, der eigentlich nur eine einzige Welt kennt, nämlich die Welt der Bank, eine andere Welt kennenlernt, zu einem bestimmten Zeit- punkt seines Lebens, und es geht darum zu sehen: Wie kommt er mit dieser neuen Welt zurecht? Da gibt es dann immer die Möglichkeit des Zerbrechens oder des sich Aufrichtens, und in diesem Fall, würde ich sagen, sind beide Komponenten enthalten. Und zudem kommt noch ein hübsches Happy End heraus...

    ...das man auf keinen Fall verraten darf. Nur soviel: Hubert verstrickt sich in eine äußerst filigrane Kriminalgeschichte, wird zum Opfer und Täter zugleich, und in einem so verwegenen wie verblüffenden Finale auf ein Existenzniveau gebracht, das ihm früher nicht einmal im Traum eingefallen wäre.

    Nach seinem im vergangenen Jahr erschienenen Roman Anselm im Glück ist Axel Marquardt erneut groß in Form, auf dem literarisch heikelsten Feld: dem des Humors. Nichts ist schwerer als das Leichte, wusste schon der alte Goethe, der es gar nicht erst versuchte. Dass die Komik nicht lediglich drollig wirkt, sondern wahrhaftig aus dem Inneren von Handlung und Figuren resultiert, verdankt sich bei gelungener Humoristik allein dem Stil. Hier bekennt sich Axel Marquardt zu einer stabilen, mittlerweile auch neueren deutschen Tradition:

    Ich kann nicht anders als in der Schwebe zwischen Realismus und sagen wir mal: satirischen Einsprengseln schreiben. Das ist so eine Art, ohne die ich gar nicht auskommen kann. Man fußt natürlich immer auf irgendwelchen Vorbildern. Ein ganz großes Vorbild, möchte ich nennen, ist sicher Mark Twain, den ich nach wie vor für einen der größten Humoristen in der Weltliteratur halte. Und was man immer wieder bei mir heraushört, ist der Einfluss der sog. Neuen Frankfurter Schule, gegen die man einerseits ankämpft, die einen andererseits aber auch immer wieder einholt. Man versucht schon, ein bisschen daran vorbei zu schreiben und seinen eigenen Ton zu finden, aber ganz ohne diesen Einfluss wäre ich auch sicher nicht zum Schreiben gekommen.

    Mit Axel Marquardt verlängert sich die ehrwürdige Linie deutschen literarischen Humors von Eckhardt Henscheid, Robert Gernhardt, F.K.Wächter. Sie wissen, wie ernst die Komik im Grunde ist. Und alle sind sie nicht mehr jung. Vielleicht macht sie das gerade so souverän, im Umgang mit Romanfiguren wie Hubert Rosebrock. Morgens im Bad.

    Axel Marquardt
    Rosebrock
    Verlag Antje Kunstmann, 190 S., EUR 19,90