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Mafia
Die organisierte Kriminalität in Deutschland

Schwarzarbeit, Drogenhandel, Geldwäsche: Die Mafia ist in Deutschland aktiv und etabliert. David Schraven und Maik Meuser breiten die Einzelheiten in ihrem Buch aus; sie zeigen Verstrickungen in Politik und Wirtschaft. Der Bericht einer Kronzeugin bietet zusätzlich die Innenperspektive.

Von Manfred Götzke | 12.06.2017
    Bei einer Fehde unter italienischen Mafiosi wurden in Duisburg im Jahr 2007 sechs Männer erschossen.
    Bei einer Fehde unter italienischen Mafiosi wurden in Duisburg im Jahr 2007 sechs Männer erschossen. (dpa / picture alliance / Federico Gambarini)
    Schraven und Meusers Buch beginnt mit einem Pizzaessen. Maria Giordano feiert mit ihren Kindern den 18. Geburtstag ihres ältesten Sohnes in einer Pizzeria in Winnenden. Die Familie fiebert tagelang darauf hin, Essen gehen in der Öffentlichkeit ist für Giordano und ihre Kinder eine Ausnahme.
    Denn die 35-jährige Frau hat die Omertà gebrochen, das Schweigegelübde der Mafia. Sie war in Italien mit einem Mafioso der 'Ndrangheta verheiratet, hat ihn verlassen, gegen ihn und seine Leute ausgesagt. Sie ist Kronzeugin für die italienischen Mafia-Jäger und für die Autoren.
    David Schraven: "Du kannst nicht einfach aus der 'Ndrangheta oder aus der Mafia ausscheiden. Dadurch, dass sie einen Verrat begangen hat, eben mit der Polizei kooperiert hat, mit dem Staat kooperiert hat, ist sie eine Verstoßene. Da gibt's halt die Pflicht dessen, der mit ihr verheiratet war, sie zu töten. Und das ist 'ne Pflicht, die nehmen die Leute aus der 'Ndrangheta dummerweise verdammt ernst."
    Maria Giordano hat große Teile ihrer Kindheit in Deutschland verbracht – seit 2016 lebt sie wieder hier. Doch auch hier ist sie vor der Mafia nicht sicher. Einen Tag nach dem Geburtstagsessen meldet sich ihre Schwägerin. Ihr Ex-Mann habe ihre Adresse in Deutschland herausbekommen.
    Die Präsenz der Mafia in Deutschland
    In dem Buch wechseln sich kapitelweise Maria Giordanos Biografie und Schravens langjährige Recherchen über die Mafia in Deutschland ab. Die Autoren zitieren aus Polizeidokumenten, geben Abhörprotokolle von Gesprächen zwischen Mafiosi in Deutschland und Italien wieder. Sie berichten von Mafiamorden, porträtieren hier aktive Clans, treffen einen Mafiakiller. Und sie zeichnen so ein dramatisches Bild von Präsenz und Macht der 'Ndrangheta und der Mafia insgesamt hier in Deutschland.
    "Ich halte die für sehr mächtig. Ich glaube, die ist so gut wie in jeder Stadt vertreten, vielleicht nicht so in Ostdeutschland, weil es da relativ wenig Italiener gibt. Du hast Branchen, wo die Mafia ganze Bereiche beherrscht. Nehmen wir mal das Baugewerbe, im Bereich der Schwarzarbeit, da ist die Mafia extrem stark und da werden die Umsätze haben von einigen Milliarden im Jahr. Und dieses Geld setzen die ein zur Sicherung und Ausweitung ihrer Macht", sagt Schraven.
    Die Öffentlichkeit, womöglich auch die Polizei ahnen erst 2007, wie präsent etwa die 'Ndrangheta hierzulande ist. Bei den "Mafiamorden von Duisburg": In der Nacht auf den 15. August werden vor einer Duisburger Pizzeria sechs Männer von Kugeln durchsiebt. Alle gehörten einem 'Ndrangheta-Clan der kalabrischen Stadt San Luca an. Nach monatelangen Ermittlungen erfahren die Fahnder, dass es sich bei den Morden um eine Racheaktion eines verfeindeten Clans aus San Luca handelt. Eine Blutfehde, ausgetragen in Deutschland.
    "Der Begriff 'Mafiamord' eignete sich hervorragend, um Gefühle der Angst und fehlender Polizeipräsenz zu transportieren. Das Ruhrgebiet als Aktionsraum organisierter süditalienischer Kriminalität – diese Botschaft sollte auf keinen Fall hängen bleiben in der Bevölkerung. Im Dezember 2007 vereinbarte das Bundeskriminalamt mit dem italienischen Innenministerium eine Task Force."
    Der Einfluss der Clans
    Die Ermittler finden schnell heraus, dass allein die beiden verfeindeten Clans in Deutschland 61 Restaurants betreiben. "Da die Mafia in Deutschland nicht ordentlich bekämpft wird, kann sie sich so subkutan immer weiter ausbreiten und stärker und fester werden. Und irgendwann ist sie stark genug, um politisch anzugreifen und sich Leute zu kaufen", so Meuser.
    In einigen Regionen Süddeutschlands ist das bereits der Fall. Dort agieren die Faraos, Deutschlands mächtigster Mafia-Clan. Er gilt als stärker als die anderen, größer und enger verflochten mit den Eliten.
    "Manche Ermittler vermeiden, offen über ihn zu reden, denn sie können nicht wissen, bis auf welche Ebene der Einfluss dieses Clans reicht. Es kursieren Bilder, Fotos von hohen Polizeibeamten im Kreise von Clanmitgliedern, aufgenommen in Restaurants in Süddeutschland, in den neuen Bundesländern."
    Ihr Geld machen die Mafiosi hier vor allem mit dem Verkauf von Kokain und anderen Drogen, eingeschleust aus Italien. Mario L., Unternehmer aus Süddeutschland gelte als graue Eminenz des Clans, schreiben die Autoren. Er habe Kontakte bis in höchste politische Kreise. Der heutige EU-Kommissar Günter Oettinger bezeichnete ihn einmal als seinen Freund. Mario L. richtete im Auftrag von Oettinger in den 90ern "kalabrische Abende" für die baden-württembergische CDU-Landtagsfraktion aus und kassierte für die Feste umgerechnet 20.000 Euro. Zu dem Zeitpunkt habe er von Ls. Kontakten zur Mafia allerdings nichts gewusst, sagt Oettinger heute.
    Schwerpunkt Schwarzgeld
    Ein besonders spannendes Kapitel beschäftigt sich mit der Bau-Mafia in Deutschland: Strohmänner aus Italien gründen Scheinfirmen, schreiben Scheinrechnungen und waschen so Millionen Euro Schwarzgeld – mit dem zum Beispiel Schwarzarbeiter bezahlt werden. In den Papieren der Auftraggeber sieht dann alles sauber aus. Das sei Praxis an fast jeder Baustelle in Deutschland – Staat und Sozialkassen würden so jedes Jahr um etwa 3,5 Milliarden Euro betrogen, schreiben die Autoren. Eine Strukturanalyse über die "Organisierte Kriminalität im Baugewerbe" legt nahe, dass die meisten illegalen Machenschaften auf dem Bau tatsächlich auf das Konto der italienischen Mafia gehen.
    "Schwerpunktmäßig Täter sizilianischer Herkunft organisieren gewerbliche Schwarzarbeit über ein System von Strohmannfirmen in großen Teilen von NRW. Zur Sicherung des lukrativen Marktes werden von den Tätern Gewalt- und Einschüchterungsmaßnahmen angewendet. Gewaltdelikte sind ebenso deutlich zu erkennen wie die regionalen Bezüge nach Sizilien."
    Die Innenperspektive
    Eindringlicher als die faktenorientierten Kapitel ist die Geschichte der Kronzeugin, Maria Giordano. Sie erzählt von ihrem freudlosen Leben in Deutschland und Italien, von Kinderarbeit in einer deutschen Fabrik, der Zwangsverheiratung mit einem Mafioso.
    "Der Mafioso ist in der Organisation aufgestiegen und ist irgendwann zu einem Boss geworden in der 'Ndrangheta. Der hat mit Waffen gehandelt, mit Drogen. Und sie war immer dabei, musste teilweise selbst mitarbeiten, wurde schwerst misshandelt. Als sie sich irgendwann abgewandt hat, weil sie es nicht mehr ertragen hat, gab es mehrere Anschläge auf sie, ihr Mann hat versucht sie mit Säure umzubringen", so Schraven.
    Maria Giordano beginnt, mit der Polizei zu kooperieren, sie sagt gegen ihren Mann aus, wird ins Zeugenschutzprogramm aufgenommen. Doch auch der italienische Staat kann ihr keine Sicherheit bieten. Schließlich flieht sie mit ihren Kindern nach Deutschland. Auch hier wird sie von der Mafia bedroht – bis heute.
    David Schraven und Maik Meuser ist ein hochinformatives und spannendes Buch gelungen – das aufklärt über den Einfluss der Mafia in Deutschland und das erzählt vom grausamen Alltag an der Seite eines Mafioso.
    David Schraven, Maik Meuser: "Die Mafia in Deutschland. Kronzeugin Maria G. packt aus"
    Econ Verlag, 283 Seiten, 18 Euro.