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Maghreb-Staaten als sichere Herkunfsländer
"Ich gehe davon aus, dass es keine Zustimmung gibt"

Tunesien, Marokko und Algerien sollen nach dem Willen der Bundesregierung zu sicheren Herkunftsstaaten erklärt werden. Doch bei den Grünen gibt es Bedenken. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt glaubt nicht, dass die Pläne am kommenden Freitag im Bundesrat durchkommen. In den Maghreb-Staaten gebe es "gravierende Menschenrechtsverletzungen", sagte sie im DLF.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit Christoph Heinemann | 10.06.2016
    Katrin Göring-Eckardt spricht am Rednerpult des NRW-Landesparteitags
    Katrin Göring-Eckardt glaubt nicht, dass der Bundesrat der Einstufung der Maghreb-Staaten als sichere Herkunftsländer zustimmen wird. (dpa / Henning Kaiser)
    Die Lage in den Maghreb-Staaten Tunesien, Marokko und Algerien sei vielfach prekär - zum Beispiel seien die Rechte von Frauen, Homosexuellen, Oppositionellen und Menschenrechtlern nicht gesichert, sagte Göring-Eckart. Die Grünen hätten schon im Bundestag dagegen gestimmt, diese Länder zu sicheren Herkunftsstaaten zu erklären. Sie erwarte dasselbe im Bundesrat, sagte die Fraktionschefin: "Es geht um wirklich gravierende Menschenrechtsverletzungen in diesen drei Staaten und deswegen gehe ich davon aus, dass es hierzu keine Zustimmung geben wird."
    Stattdessen warb die Grünen-Politikerin dafür, die Dauer von Asylverfahren zu verkürzen. Das nehme Einwanderern den Anreiz, nur nach Deutschland zu kommen, um hier für die Dauer eines wahrscheinlich erfolglosen Asylverfahrens zu leben.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Die Grünen befinden sich im Bundestag in der Opposition, in zehn Bundesländern regieren sie allerdings mit. Dadurch können sie indirekt auch Einfluss auf die Gesetzgebung des Bundes ausüben, etwa im Bundesrat. Das könnte geschehen bei der Einstufung der Maghreb-Staaten Marokko, Algerien und Tunesien als so bezeichnete sichere Herkunftsländer. Der Bundestag hatte dies im Mai beschlossen, Ziel: Die Verfahren von Asylbewerbern aus diesen Ländern sollen beschleunigt werden. Union und SPD hatten damals auf die niedrige Anerkennungsquote für Flüchtlinge aus diesen Staaten verwiesen.
    (Einspielung eines einleitenden Gesprächs zwischen Christoph Heinemann und Deutschlandradio-Chefkorrespondent Stephan Detjen)
    Am Telefon ist Katrin Göring-Eckardt, die Co-Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Guten Morgen.
    Katrin Göring-Eckardt: Herr Heinemann, guten Morgen.
    Heinemann: Frau Göring-Eckardt, werden die Grünen am Schluss zustimmen?
    Göring-Eckardt: Ich sehe nicht, dass die... Erst mal muss man sagen: Die Grünen haben im Deutschen Bundestag nicht zugestimmt, aus guten Gründen. Herr Detjen hat jetzt viele davon gerade dargelegt in Ihrem Beitrag. Und wenn es um die Bundesländer geht, dann sehe ich nicht, dass es bei den Bundesländern dafür reichen wird, dass es eine Zustimmung gibt. Das ist was anderes als bei den Balkan-Staaten.
    Das System der sicheren Herkunftsländer und die geringen Anerkennungsquoten heißt ja im Umkehrschluss: Wenn so wenige anerkannt werden muss man besonders aufmerksam sein, um diejenigen dann auch zu finden. Genau darum geht es und es geht um wirklich gravierende Menschenrechtsverletzungen in diesen drei Staaten, und deswegen gehe ich davon aus, dass es hierzu keine Zustimmung gibt.
    Heinemann: Herr Kretschmann hatte bei den Westbalkan-Staaten zugestimmt, der Ministerpräsident von Baden-Württemberg. Warum nicht diesmal?
    Göring-Eckardt: Das müssen Sie zunächst mal Herrn Kretschmann fragen. Aber ich habe ja selbst auch gesagt, es gibt einen Unterschied. Natürlich gibt es auch auf den Balkan-Staaten an vielen Stellen Menschenrechtsverletzungen etc.
    Nichts desto trotz war es so, dass viele Menschen, die hier hergekommen sind, aus den Balkan-Staaten gekommen sind, weil sie ihre wirtschaftliche Situation verbessern wollten. Dort gab es eine Verhandlung mit der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien und das hat ergeben, dass es einen sogenannten Einwanderungskorridor zusätzlich gibt für die Westbalkan-Staaten.
    Über diesen Einwanderungskorridor sind inzwischen auch eine ganze Reihe von Menschen nach Deutschland gekommen, die hier arbeiten können und die hier genau das machen können, was sie nämlich wollten, ihre Situation verbessern, und das ist da der Weg.
    Das heißt nicht, dass ich das in dem Fall richtig finde.
    Ich fand auch da die Einstufung als sichere Herkunftsländer nicht gerechtfertigt.
    Aber hier gab es zumindest einen anderen Weg für Menschen, die ihre Situation verbessern wollten.
    Das ist bei den Maghreb-Staaten noch nicht mal im Ansatz der Fall. Es gab eine Entschließung des Bundesrates. Die Bundesregierung hat in keiner Weise darauf reagiert. Und die Situation in den Maghreb-Staaten ist auch deutlich härter. Es geht um Homosexuelle, es geht um Oppositionspolitiker, um Journalisten, um Blogger, um Menschenrechtsaktivisten, es geht häufig um die Situation von Frauen, und wenn die Bundesregierung in den Anfragen, die wir gestellt haben, dann beispielsweise darauf hinweist, dass in Marokko ja eine Verfassung existiere, die alles das ausschließt, dann kann man nur sagen: Na ja, in der DDR hat es auch eine Verfassung gegeben, die DDR hat sich auch nicht daran gehalten. Das reicht jedenfalls nicht!
    Heinemann: Stichwort Frauenrechte. Viele der Straftäter der Kölner Silvesternacht kamen aus den Maghreb-Staaten. Die "Bild"-Zeitung zitiert heute einen Bericht des Bundeskriminalamtes, nach dem viele der bisher ermittelten 62 Tatverdächtigen des Silvestermobs erst kurz vorher als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Das spricht jetzt nicht gerade für ein typisches Verhalten politisch Verfolgter.
    Göring-Eckardt: Nein, in der Tat, und das ist auch etwas, wovor man weder die Augen verschließen sollte, noch es klein reden.
    Heinemann: Machen Sie das nicht gerade?
    Göring-Eckardt: Nein, das tue ich gerade nicht, sondern im Gegenteil. Wir wissen auch bei den Tätern, dass es so ist, dass einige von denen sich gerade absichtlich nicht dazu entschlossen haben, Asyl zu beantragen, um eben nicht identifizierbar zu sein, und insofern hilft die Einstufung als sicheres Herkunftsland hier überhaupt nicht. Und die Frage, wie schnell man jemanden abschieben kann, hat auch nichts damit zu tun, ob und wie er straffällig wird. Es steht ja auch nirgendwo geschrieben, dass die Verfahren, dass die Asylverfahren in Deutschland zwölf Monate dauern müssen.
    Ich finde, wir haben an einigen Stellen (Heidelberg gehört dazu) gezeigt, dass die Asylverfahren insgesamt wirklich schneller stattfinden können und dass man dann auch entscheiden kann, wer zurück muss und wer da bleiben kann. Aber eine Antwort, eine sinnvolle Antwort auf die Vorgänge von Köln ist nicht, die Länder als sichere Herkunftsländer einzustufen, sondern die Verfahren zu beschleunigen, dafür zu sorgen, dass im Übrigen die Polizei das tut, was sie tun muss. Das ist ja das zentrale Problem gewesen in Köln.
    "Das Wecken von falschen Hoffnungen macht keinen Sinn"
    Heinemann: Ist es nicht viel sinnvoller, von vornherein dafür zu sorgen, dass die Menschen, die sowieso kaum Chancen haben, hier bleiben zu können, gar nicht erst reinkommen?
    Göring-Eckardt: In der Tat ist es richtig, dass das Wecken von falschen Hoffnungen keinen Sinn macht, und das ist, glaube ich, in den Maghreb-Staaten auch sehr deutlich geworden, weil die geringen Anerkennungsquoten sind ja bekannt. Das ist ja nichts, was man jetzt nicht weiß, sondern die sind bekannt und die Zahlen, die Herr Detjen gerade genannt hat, zeigen auch, dass das inzwischen keine Massen mehr sind, die aus den Maghreb-Staaten kommen.
    Asylverfahren müssen beschleunigt werden
    Heinemann: Aber schaffen die Grünen nicht gerade Anreize?
    Göring-Eckardt: Nee, eben nicht, sondern dazu gehört, dass die Verfahren insgesamt beschleunigt werden. Wenn jemand denkt, dass er über ein Jahr, über 18 Monate hier sein kann, weil die Verfahren so lange dauern, dann in der Tat wird man den Versuch starten und sagen, dann ist es wenigstens das eine Jahr oder diese vielen Monate.
    Wenn die Verfahren sehr schnell gehen und das jeder weiß, das ist ja auch das, was auch dem Balkan geholfen hat, gar nicht so sehr die Einstufung als sichere Herkunftsländer, sondern dass die Leute dann wussten, das wird sehr schnell gehen mit den Verfahren und ich werde schnell wieder zurück müssen, es lohnt sich nicht, Hab und Gut zu verkaufen und loszugehen, das ist der entscheidende Punkt. Die Leute müssen wissen, das geht sehr schnell in Deutschland und der Weg lohnt sich nicht, wenn ich nicht eine reale Chance habe. Auf der anderen Seite müssen diejenigen, die nun aus guten Gründen gehen - und das sind wenige, aber die gehen dann wirklich aus guten Gründen -, die Chance haben auf ein anständiges Verfahren.
    "Am Menschenrecht auf Asyl ist nicht zu deuten"
    Heinemann: Ab wie viel Prozent AfD wären Sie bereit umzudenken?
    Göring-Eckardt: Ich mache meine politischen Entscheidungen und auch meine Überlegungen nicht davon abhängig, wie viel Prozent AfD wir haben, sondern hier geht es um unsere Verfassung und hier geht es um das Menschenrecht auf Asyl. Das ist ein Grundrecht in unserer Verfassung und daran ist nicht zu deuten und auch nicht dadurch, dass die AfD Prozente bekommt. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall. Wenn wir versuchen, der AfD hinterherzureden oder hinterherzuentscheiden, dann wird sie stärker. Wenn wir klar sind im Verteidigen unserer Verfassungsrechte, unserer offenen Gesellschaft, dann wird die AfD ein wirkliches Gegengewicht bekommen, und darum geht es. Alle Menschen, die ihnen hinterherreden, die machen sie nur stärker. Das haben wir zum Beispiel in Österreich sehr gut gesehen.
    "Ein Ergebnis bewusster Verunsicherung beispielsweise der AfD"
    Heinemann: Frau Göring-Eckardt, der Besuch von Selbstverteidigungskursen und Waffenkäufe nehmen in Deutschland stark zu. Ist das das Ergebnis schwarz-rot-grün-linker Zuwanderungspolitik?
    Göring-Eckardt: Nein, das ist nicht das Ergebnis davon. Das ist vielleicht das Ergebnis davon, dass wir nach wie vor nicht genügend Polizei haben, um zum Beispiel Einbruchsdiebstähle aufzuklären. Das ist ja eine der zentralen Fragen, die damit zusammenhängen. Und das ist sicherlich auch das Ergebnis von einer bewussten Verunsicherung beispielsweise durch die AfD. Das ist ein Ergebnis bewusster Verunsicherung durch solche Organisationen wie Pegida und andere, die versuchen, die Flüchtlingssituation mit Kriminalität in Zusammenhang zu bringen. Ich sage noch mal: Solche Vorgänge wie in Köln oder auch in Darmstadt, Einbrecherbanden, die unser Einwanderungsrecht nutzen etc., müssen bekämpft werden, und zwar mit aller Kraft des Rechtsstaates und mit allen Möglichkeiten des Rechts.
    Heinemann: Aber wir lassen Sie ins Land.
    Göring-Eckardt: Und wir werden weiterhin dafür sorgen, dass das Grundrecht auf Asyl bestehen bleibt. Aber wir tun nicht so, als ob Kriminalität dadurch steigt. Das sagen alle Statistiken aus. Herr de Maizière hat ja gerade die Statistiken vorgelegt.
    Heinemann: Genau! Und in diesen Statistiken steht zum Beispiel drin, dass eben Marokkaner, Algerier, Tunesier unter den Zuwanderern deutlich überproportional als Tatverdächtige aufgelistet sind.
    Göring-Eckardt: Angesichts der Zahl, die Sie bringen. Aber noch mal: Dann muss man dafür sorgen, dass die Verfahren schnell stattfinden können. Da helfen nicht die Herkunftsländer, sondern da hilft, dass das Bundesamt für Flucht und Migration nicht zwölf Monate braucht, sondern genügend Leute einstellt, und dann können diese Verfahren auch in sehr kurzer Zeit, aber unter rechtsstaatlichen Mitteln und ordentlich stattfinden.
    Das hängt nicht an den Herkunftsländern, sondern das hängt daran, dass es immer noch nicht gelungen ist, diese Zeiten zu verkürzen. Das kann man sehr schnell machen, dazu braucht man keine Symbolentscheidungen im Bundesrat, sondern genügend Personal und den Willen, das auch zu tun.
    Heinemann: Katrin Göring-Eckardt, Co-Vorsitzende der Grünen im Deutschen Bundestag. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Göring-Eckardt: Herr Heinemann, ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.