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Mahnen und abwarten

Berliner Leseratten sind eine vergessliche Horde. Sie leihen sich jeden Tag bis zu 7000 Bücher oder Filme in der Zentral- und Landesbibliothek aus – und verschlafen dann gern die Rückgabefrist.

Von Jens Rosbach | 02.02.2012
    "Und ich sag manchmal auch schon immer: Nehmen Sie doch die Quittung! Machen Sie die mit einem Magneten an die Kühlschranktür! Und dann fällt Ihnen doch das Rückgabedatum auf. Die verpeilen es einfach. Nee. Das ist einfach schusselig."

    Das sind die Harmlosen. Die bösartigen Leseratten hingegen sind überzeugt, dass sie als Steuerzahler das Recht dazu hätten, das Geliehene stapelweise bei sich zu horten.
    "Oh, ja!"

    Martina Hennig ist die Chef-Mahnerin der Bibliothek. Ein Job direkt an der Bücher-front. Denn schreibt sie säumige Nutzer an, erntet sie häufig Zähnefletschen. Oder, so ein Anrufer, verursacht gar "Herzprobleme".


    "Und dann kam noch: Wenn er das nächste Mal die Bibliothek betritt, dann wird er sich nach mir erkundigen und das hat sich so fast angehört: mit Kalaschnikow und Sie überleben den Besuch nicht. Also Sie können hier in alle Abgründe schauen."

    Vor dem Abgrund wartet gemeinhin eine Mahngebühr in Höhe von 25 Cent pro Tag und Medium sowie ein Bearbeitungsobolus von 15 Euro. So schrieb die Berliner Zentral- und Landesbibliothek im vergangen Jahr rund 2300 Briefe und fast 900 Mahnbescheide. Außerdem mussten 401 Vollstreckungsbescheide erwirkt, 256 Klagen eingereicht und sogar Polizisten in die Spur geschickt werden. Martina Hennig:

    "Im letzten Jahr hatten wir 28 Haftbefehle beantragt."

    Bis zu 60.000 Euro spült das Mahnwesen jedes Jahr in die Kasse.

    "Die Mahnstelle einer Bibliothek ist die einzigste Stelle einer Bibliothek, die Geld einnimmt – und nicht ausgibt."

    Auf der anderen Seite entschwindet jedes Jahr– aus verschiedenen Gründen – eine vierstellige Zahl von Medien aus der Bücherei.
    Hennig kann endlos Mahngeschichten erzählen: Von Leihware, die dann bei Ebay auftaucht und von Ausleihern, die mitteilen, sie säßen angeblich und natürlich völlig unerwartet im Knast.

    "War mal ein Student, der hat mir einen fünf Seiten langen Brief geschrieben, warum er es nie geschafft hat, seine Medien abzugeben. Einmal hat’s geregnet. Das andere Mal war er krank. Und heute kann er ja die Medien wieder nicht abgeben, weil er mir ja den Brief schreiben muss."

    Irgendwann, sagt Martina Hennig, werde sie ein Buch über die säumigen Berliner Leseratten schreiben. Mal sehen, wie es diesem Werk in der Bibliothek ergehen wird.